Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr: Debatte um Gorch Fock:Was soll Guttenberg mehr machen?

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Skandal um die "Gorch Fock": Gute Führung bedeutet, Soldaten als Menschen zu achten. Die Opposition spielt nun Verantwortung vor. Sie sollte die Kirche im Dorf lassen.

Klaus Naumann

Drei örtlich und zeitlich getrennte Vorfälle in den letzten drei Monaten - zwei tödliche Unfälle und eine Verletzung des Briefgeheimnisses - haben zu einer heftigen Diskussion über den Verteidigungsminister, seine Informationspolitik, über die Ausbildung in der Bundeswehr, insbesondere auf dem Segelschulschiff Gorch Fock, und über die Zukunft dieses Schiffes geführt.

Es ist eine Diskussion zwischen denen, die Verantwortung tragen, und denen, die Verantwortung überwiegend darin sehen, durch Forderung nach zusätzlicher Information einen populären Minister in Aktionismus zu treiben. Zusammen mit fast nur an Quoten und Auflagen interessierten, in der Qualität aber bedenklich abnehmenden Medien will man ihn von seinem richtigen Weg - Aufklären, Abstellen, Konsequenzen - abbringen.

Gipfel dieses folgenlosen Vorspielens von Verantwortung war die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss, erhoben von einer Partei, für die Sicherheitspolitik nur notorische Verantwortungsverweigerung ist. Hoffentlich nimmt man in Berlin nun eine Auszeit und findet zur Sachlichkeit. Das schuldet man den jungen Soldaten, die ihr Leben verloren, deren Angehörigen, aber auch der Truppe, die überwiegend in Ordnung ist.

Die Vorfälle müssen lückenlos aufgeklärt werden. Bei schuldhaftem Verhalten ist hart durchzugreifen, um Wiederholungen auszuschließen. Zusätzlich sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften abzuwarten, bevor man Konsequenzen ziehen kann. So wurde bei dem tragischen Unfall in Afghanistan gehandelt, doch auch hier muss man einigen Abgeordneten raten, die Kirche im Dorf zu lassen.

Ergibt sich denn Handlungsbedarf für das Parlament, wenn das Ministerium sagt, ein Soldat sei vermutlich durch einen Kameraden versehentlich erschossen worden, aber Vermutung zu erwähnen vergisst, dies sei durch spielerischen Umgang mit der Waffe geschehen? Die Ermittlungen sind abzuwarten, politischer Handlungsbedarf besteht nicht, da Herumspielen mit Waffen und Munition in der Bundeswehr verboten ist. Daraus mangelnde Unterrichtung des Parlaments herauslesen zu wollen, grenzt ans Lächerliche und zeigt, dass es der Opposition nur darum geht, den Minister zu beschädigen. Als Wähler fragt man sich, für wie dumm man eigentlich gehalten wird, und als Soldat, für wen man denn da dient.

Anders liegt der Unfall auf der Gorch Fock. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum mehr als zwei Monate nach dem tragischen Tod einer jungen Frau die Umstände des Todes und der Vorfälle danach der militärischen Führung nicht im Detail bekannt sind und dem Minister nicht längst lückenlos vorgetragen wurden. So spät eine Untersuchungskommission in Marsch zu setzen, wirft kein gutes Licht auf die Marine. Hätte man sofort untersucht, dann könnte man heute zu Berichten der Boulevardpresse Stellung nehmen, die wohl auf Einlassungen von Soldaten beruhen, die nicht den Mut hatten, Missstände ihren Vorgesetzten zu melden. Doch die Berichte stehen im Raum, sie erzeugen Handlungsdruck, und der ist oft die Mutter aller Fehler.

Unterstellt, alles sei wahr, dann war auf der Gorch Fock eben nicht alles Gold, was glänzt. Eine Karnevalsparty vier Tage nach dem Tod einer Kameradin ist unentschuldbar. Der Kommandant hätte sie verbieten müssen. Stimmt das, was über den Ton der Ausbilder gesagt wird, dann besteht Handlungsbedarf. Ausbilden heißt anleiten, helfen, fordern und fördern. Wenn ein Soldat am Rande der Erschöpfung ist, sorgt man dafür, dass er wieder zu Kräften kommt, statt zu brüllen, und geht dann erst mit ihm in die Wanten.

Führung heißt, nie etwas zu verlangen, was man nicht selbst zu tun bereit ist, und Ausbildung heißt, künftige Offiziere an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu führen. Nur wenn sie die kennen, wissen sie, was sie von ihren Soldaten verlangen können, nur dann werden sie im Einsatz, wenn es um Leben und Tod geht, den klaren Kopf behalten, den sie brauchen, um Wege aus der Gefahr zu finden.

Harte Ausbildung ist für eine Armee im Einsatz unverzichtbar, sie ist Fürsorge, ja ein Stück Lebensversicherung. Harte Ausbildung heißt aber nicht rüder Ton und Erniedrigung. Der Vorgesetzte, der hart fordert, aber Herz für seine Soldaten zeigt, kann sicher sein, dass sie mit ihm durch dick und dünn gehen, selbst dann, wenn der Klabautermann schon von der Rah grinst. Ausbilder, die ihre Soldaten als Mitmenschen achten, werden auch sexuelle Übergriffe nie dulden, nicht einmal sexistischen Ton. Diese Vorwürfe sind nicht erwiesen, doch Prüfung und eventuell Ahndung sind geboten.

Man sagt, wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Ob Rauch ausreicht, den Kommandanten des Kommandos zu entheben, kann nur beurteilen, wer mehr als Medienberichte kennt. Ich kenne den Minister lang genug, um zu wissen, dass Gerechtigkeit für ihn ein hohes Gut ist.

So bleibt der Vorwurf, der Minister habe sein Ministerium nicht im Griff, ein tolles Eigentor der Opposition. Was soll er denn mehr tun, als Einschalten der Staatsanwaltschaft, Anordnen von Untersuchungen, Unterrichtung des Parlaments und Veränderung der Informationswege? Hat man vergessen, dass es die Regierung Schröder war, die das Ministerium durch zusätzliche Stäbe noch unüberschaubarer statt führbarer machte? Der Minister ist dabei, seine Ankündigung wahrzumachen und die Informationswege des Ministeriums neu zu ordnen, also abwarten.

Man wird nun die Bundeswehr nach "Ritualen" überprüfen. Vielleicht nicht verkehrt, obwohl es, richtige Dienstaufsicht vorausgesetzt, ausreichend Kontrolle gibt und dem Wehrbeauftragten Rituale kaum entgehen dürften.

Man wird, wieder einmal, die Gorch Fock auf den Prüfstand stellen. Man wird prüfen, was man in der Ausbildung wie in der Sicherheit verbessern muss und Missstände beseitigen. Worauf man aber nicht verzichten sollte, ist, künftige Seeoffiziere, so unmittelbar, wie man das wohl nur auf einem Segler kann, mit der Gewalt der See zu konfrontieren. Da lernen sie, dass man in schwerer See den Nächsten, das Team braucht, und da begreifen sie, was es heißt, Verantwortung für Leben zu übernehmen. Ich hoffe, die Gorch Fock bleibt uns erhalten, als bewährter Ort, an dem aus einer Gruppe junger Frauen und Männer eine Crew Marineoffiziere wird, die ein ganzes Berufsleben lang zusammenhalten, die füreinander einstehen und die, wie 52 Jahre Gorch Fock gezeigt haben, doch fast alle unserem Land treu gedient haben.

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Quelle:
SZ vom 27.01.2011
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