Süddeutsche Zeitung

Bundespräsidentenwahl:Eins, zwei oder drei?

Lesezeit: 4 min

An der Wahl von Christian Wulff besteht kein Zweifel. Ob er aber schon im ersten oder erst im dritten Wahlgang Bundespräsident wird, hängt von den Unzufriedenen in der CDU ab.

Lilith Volkert und Thorsten Denkler

Spätestens am Mittwochabend werden bei den Berliner Weinhändlern einige Sonderbestellungen eintrudeln. Dann gilt es Wettschulden einzulösen, die auf den diversen Sommerfesten entstanden sind, auf denen sich die politische Klasse der Hauptstadt in den vergangenen Tagen verlustierte.

Die entscheidende Frage: Wird Christian Wulff, der Koalitionskandidat für das Amt des Bundespräsidenten, von der Bundesversammlung im ersten, im zweiten oder erst im dritten Wahlgang gewählt?

Eine Botschaft lässt sich aus den Wetten ablesen: Von einem Sieg Wulffs wird ausgegangen. So töricht, eine Flasche edlen Tropfens auf Joachim Gauck, den Kandidaten von SPD und Grünen, zu setzen, dürften nur sehr wenige gewesen sein. Die entscheidende Frage lautet also: Wie viele Runden benötigt Wulff?

Warum Christian Wulff sicher im ersten Wahlgang gewählt wird:

Dass Christian Wulff zum nächsten deutschen Bundespräsidenten gewählt wird, ist sicher, in welchem Wahlgang das geschieht, ist eine Frage der Disziplin. Eine Eigenschaft, durch die sich die schwarz-gelbe Koalition bisher nicht ausgezeichnet hat. Lieber beschimpften sich die Koalitionäre gegenseitig als "Wildsau" und "Gurkentruppe".

Trotzdem werden sich die von CDU, CSU und FDP entsandten Mitglieder der Bundesversammlung bei der Wahl des Bundespräsidenten zusammenreißen und ihren Kandidaten in der ersten Runde zum Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland machen.

Schwarz-Gelb hat in der Bundesversammlung die satte Mehrheit von 21 Stimmen. Bei der Auswahl der Wahlmänner und -frauen wurde penibel darauf geachtet, das Risiko von Abweichlern zu minimieren. Gauck-Anhänger wie die CDU-Politikerin Dagmar Schipanski, die selbst 1999 Kandidatin für das höchste Amt im Staate war, wurden diskret von der Liste gestrichen. Politiker, die erst nach der Aufstellung ihre Sympathie für Joachim Gauck offenbarten - wie der ehemalige frühere brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm - wurden entsprechend bearbeitet.

So sieht Teamgeist aus

Es ist auch kein Zufall, dass FDP-Chef Guido Westerwelle seine Mannschaft wenige Tage vor der Wahl zur Klausur nach Berlin bestellte, wo sie auf Machterhalt getrimmt wurde. Das gemeinsame Mitfiebern beim WM-Spiel Deutschland-England am Sonntag mag dazu beigetragen haben: So sieht Teamgeist aus, Leute!

Neben der Handvoll angekündigter Abweichler - etwa der sächsische FDP-Fraktionsvize Tino Günther und der Bremer FDP-Chef Oliver Möllenstädt - mag sich noch der eine oder die andere dafür entscheiden, sich bei der Kanzlerin für ihre parteitaktische Kandidatenauswahl oder andere Interna zu rächen, indem er nicht für Wulff stimmt.

Doch die Versuchung, Denkzettel zu verteilen, wird bei den meisten kleiner sein als die Angst vor dem Imageschaden, der entsteht, wenn Wulff ein- oder sogar zweimal durchfällt. Die schwarz-gelbe Regierung muss zeigen, dass sie - entgegen dem Eindruck, den sie die in letzter Zeit vermittelt - durchaus handlungsfähig ist und den eigenen Kandidaten ohne Probleme durchsetzen kann. Daran hat auch der einzelne Abgeordnete Interesse. Nach dem Euro-Rettungsschirm wäre die rasche Wahl von Christian Wulff die erste bedeutende Entscheidung, bei der die Koalition nach anfänglichen Diskussionen Geschlossenheit bezeigt hat.

Und wenn der Kandidat selbst in Interviews Zweifel daran äußert, dass es schon in der ersten Runde klappt, dann kokettiert er mit dieser Unsicherheit, um nicht allzu siegessicher zu wirken. Als Kandidat von Merkels Gnaden verspottet zu werden, war ihm schon unangenehm genug.

Warum Christian Wulff sicher erst im zweiten oder dritten Wahlgang gewählt wird:

Die Wahl des Bundespräsidenten - und das ist in den vergangen Wochen etwas untergegangen - ist eine geheime. Niemand kann hinterher nachprüfen, wer in welchem Wahlgang für wen gestimmt. hat. Darüber ließe sich nur spekulieren. Wie fast immer bei geheimen Wahlen nutzen sogenannte Heckenschützen solche Wahlen gerne, um irgendwem eins auszuwischen. Sie können dabei die Gewissheit haben, nicht erwischt zu werden.

In diesem Fall ist nicht so sehr Wulff das Ziel als vielmehr Kanzlerin Angela Merkel. Zunächst aber gibt es einige wenige aus dem schwarz-gelben Lager, die sich bereits offenbart haben, mehr Sympathien für Gauck als für Wulff zu hegen. Bis zu fünf, manche gehen von sieben Wahlmännern und -frauen in der FDP aus, haben schon auf Grund ihrer Lebensgeschichte eine größere Nähe zum konservativ geprägten ehemaligen DDR-Bürgerrechtler. Damit schmilzt die Mehrheit von 21 Stimmen, die das schwarz-gelbe Lager rechnerisch hat, auf 14 bis 16 Stimmen zusammen.

Das würde immer noch satt für den ersten Wahlgang reichen. Was aber die CDU-Leute so nervös macht, sind die Unzufrieden aus den Landesparlamenten, die Merkel gerne einen Schuss vor den Bug versetzen würden. Gründe hätten sie genug: Der verkorkste Regierungsstart, die miesen Umfragezahlen, die fehlende Führungsstärke der Kanzlerin, die Art der Auswahl von Wulff zum Kandidaten für das Präsidentenamt - all das liegt vielen von Merkels Parteigängern schwer im Magen. Jetzt haben sie die Gelegenheit, diesem Unmut Luft zu machen, mit einem kleinen Kreuz an der falschen Stelle.

Natürlich ist Druck aufgebaut worden auf bekanntermaßen unsichere Kantonisten, die es auch in der Unionsfraktion gibt. Da wäre zum Beispiel Tankred Schipanski, 1976 geborener CDU-Bundestagsabgeordneter aus Gotha. Er ist der Sohn von Dagmar Schipanski, die einst als Präsidentschaftskandidatin der Union gegen Johannes Rau verlor. Dass es zur Kandidatin gereicht hat, aber nicht zur Wahlfrau in der Bundesversammlung, kann etwas damit zu tun haben, dass sie sich schnell wohlwollend gegenüber Gauck äußerte. Ihr Sohn Tankred dürfte also einigen Anlass haben, im Sinne der Mutter nicht für Wulff zu stimmen.

Das Argument mancher Koalitionäre, die Regierung stünde auf dem Spiel, wenn Wulff nicht sauber durchkommt, zieht übrigens nicht. Von Neuwahlen würden im Moment weder CDU noch SPD profitieren. Die FDP müsste gar um den Einzug in den Bundestag fürchten. Abweichler müssen also keine Sanktion fürchten und ein politisches Erdbeben werden sie auch nicht auslösen. Es spricht also alles dafür, es Merkel mal zu zeigen.

Wenn es so kommt, dann bleibt nur die Frage, ob sich die Abweichler mit einem Warnschuss zufriedengeben oder im zweiten Wahlgang gleich einen hinterhersetzen. Auch im zweiten Wahlgang ist die absolute Mehrheit nötig. Erst im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit, die Wulff sicher hat.

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