Süddeutsche Zeitung

Deutsche Reaktionen auf Johnsons Brexit-Coup:"Putsch von oben"

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Von Daniel Brössler, Berlin

Vor ein paar Wochen, als Großbritanniens Premierminister Boris Johnson seinen Antrittsbesuch in Berlin absolvierte, empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel den Gast mit der Botschaft, dass man in Deutschland auf alles vorbereitet sei - einschließlich eines ungeregelten Brexit ohne Austrittsabkommen. Nun ist es Johnson doch noch gelungen, die Politik in Berlin kalt zu erwischen. Nachdem der Premierminister das britische Parlament durch eine Zwangspause zeitweise auszuschalten scheint, muss sich die Bundesregierung in zweifacher Hinsicht positionieren? Zum einen: Was heißt Johnsons Schachzug für den Brexit-Prozess? Andererseits aber auch: Was bedeutet er für die britische Demokratie?

Es handele sich um ein "mehr als fragwürdiges Manöver und das im Mutterland der Demokratie", urteilt der CSU-Europapolitiker im Bundestag, Florian Hahn. Das lasse "Böses erahnen, sollte Boris Johnson sich als Premier behaupten können". Es seien nun "alle demokratischen Kräfte" und Gegner eines Brexit ohne Deal in Großbritannien gefragt. Sie könne die "Wut meiner britischen Kolleginnen und Kollegen nachempfinden", sagt die Europa-Expertin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner. Die Suspendierung des Parlamentes sei das höchste Maß der Geringschätzung der Demokratie" und "ein Skandal". Um den Brexit durchzusetzen, stürze Johnson sein Land in eine historische Verfassungskrise. "Das britische Unterhaus mit der Parlamentsschließung in der Brexit-Frage zu lähmen, kommt einem Putsch von oben gleich", meint auch der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Link.

Die Bundesregierung müsse "initiativ werden", fordert ein SPD-Parlamentarier

Zu spüren ist in Berlin aber nicht nur Empörung, sondern auch Ohnmacht. Vom europäischen Festland aus lasse sich wenig ausrichten gegen Johnsons ruchlose Politik, ist zu hören. "Wir können die Zukunft des britisch-europäischen Verhältnisses nicht in die Hand dieses Populisten legen. Wir dürfen Premierminister Boris Johnson nicht gestatten, das britische Parlament zu erpressen", fordert allerdings der Brexit-Beauftragte der SPD-Fraktion, Metin Hakverdi.

Deshalb solle die Bundesregierung "initiativ werden". Hakverdi wünscht sich ein "deutliches Signal" des Europäischen Rates an die britischen Parlamentarier, dass die EU-Staaten einer Verlängerung der Austrittsfrist über den 31. Oktober hinaus zustimmen würden. Möglich wäre das allerdings nur nach einem Antrag aus London. Soll heißen: Wenn eine Mehrheit aus Opposition und Tory-Rebellen Johnson stürzt, soll sie sich der Unterstützung aus Brüssel sicher sein können.

"Die britischen Abgeordneten sollen wissen: Wir unterstützen sie und wollen nicht, dass sie durch ihre eigene Regierung erpresst werden", formuliert es Hakverdi. "Wenn sich in den jetzt wenigen verbleibenden Sitzungstagen eine neue parteiübergreifende Mehrheit gegen Johnson findet und einen Beschluss für eine Verschiebung des Brexits fasst, dann könnte die EU darauf eingehen", meint auch FDP-Mann Link. Allerdings nur dann, "wenn diese neue Mehrheit auch sagt, was sie will - also zum Beispiel ein zweites Referendum oder schnellstmögliche Neuwahlen oder die Annahme des Deals, der auf dem Tisch liegt".

Wie es denn mit dem Brexit nun weitergehe, wird Merkel am Donnerstag beim Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis gefragt. Die Verhandlungen liefen ja nicht zwischen Deutschland und Großbritannien, sondern zwischen Großbritannien und der EU-Kommission, sagt sie nur. Einen "neuen Sachstand" habe sie nicht seit dem Besuch des britischen Premierministers. Aber sie gehe davon aus, "dass dort gearbeitet wird".

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