Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Frost über dem Kanal

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London und Brüssel streiten darüber, wie die Brexit-Regelungen in Nordirland umgesetzt werden. Und auch sonst gibt es einigen Ärger zwischen den frisch Geschiedenen.

Von Björn Finke und Matthias Kolb, Brüssel

Beim Brexit gibt es viele wichtige Fristen und Daten: Ausgetreten aus der EU sind die Briten am 31. Januar 2020. Spürbar für Bürger und Firmen ist das aber erst seit dem 1. Januar 2021, weil das Königreich bis Jahreswechsel in Zollunion und Binnenmarkt der EU geblieben war. Und in Nordirland soll der 31. März ein weiteres einschneidendes Datum sein. Dann enden die ersten Übergangsphasen für Warenlieferungen zwischen Großbritannien und Nordirland. Unternehmen, die danach Güter von Schottland, Wales und England in die einstige Unruheprovinz verkaufen, droht neue Zollbürokratie.

Wirtschaftsverbände und die britische Regierung warnen, die Betriebe bräuchten mehr Zeit zur Vorbereitung - und fordern eine Verlängerung dieser und anderer Übergangsfristen für Nordirland bis mindestens Anfang 2023. Das jedoch geht der EU-Kommission deutlich zu weit. Am Mittwoch tagte daher der Gemeinsame Ausschuss per Videokonferenz. Dieses Gremium begleitet die Umsetzung des Austrittsabkommens. Geleitet wird es vom zuständigen Kommissions-Vizepräsidenten Maroš Šefčovič und dem britischen Minister Michael Gove.

Hinterher teilten beide Seiten mit, sich weiter mit Wirtschaftsverbänden und anderen Gruppen in Nordirland austauschen zu wollen. London versprach, mehr in IT-Lösungen für Exporteure zu investieren. Großbritannien und die EU wollten beide schnell vorankommen, weswegen sich der Ausschuss bald wieder treffen werde, hieß es.

Dann allerdings ohne Minister Gove. Von März an wird Lord David Frost im britischen Kabinett für die Beziehungen zur EU zuständig sein. Frost, ein Vertrauter von Premier Boris Johnson, hat den Handelsvertrag mit der EU ausgehandelt und steht für einen konfrontativen Kurs gegenüber Brüssel. Das wird die komplizierte Partnerschaft zwischen den Frisch-Geschiedenen nicht vereinfachen.

Der Ärger in Nordirland entzündet sich an Regelungen des Protokolls zu Irland und Nordirland, einem Teil des 2019 geschlossenen Austrittsvertrags. Es soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich Nordirland trotz des Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist aber, dass Warenlieferungen von England oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Schließlich kann alles, was in nordirischen Häfen anlandet, danach ohne weitere Kontrollen in den Süden Irlands und damit den EU-Binnenmarkt transportiert werden.

Die neue Zollbürokratie führte dazu, dass zu Jahresbeginn einige Waren in nordirischen Geschäften knapp wurden. Nach Auslaufen der ersten Übergangsfristen Ende März könnten sich diese Probleme verschärfen. Bis dahin müssen Spediteure bei Lebensmittel-Lieferungen für Nordirlands Supermärkte nicht belegen, dass die Waren EU-Gesundheitsstandards genügen. Und Pakete, deren Wert 160 Euro unterschreitet, benötigen keine Zollerklärung. Das wird sich ändern.

Kommissions-Vize Šefčovič schloss kürzlich in einem Brief an Gove nicht vollends aus, Fristen zu verlängern, verlangte jedoch zunächst, dass die Briten einige Verpflichtungen aus dem Nordirland-Protokoll vollständig umsetzen. So seien Kontrollposten an den nordirischen Häfen noch nicht komplett einsatzfähig.

Dem EU-Vertreter bleiben die Rechte verwehrt, die Diplomaten laut der Wiener Konvention zustehen

Unter den EU-Mitgliedern ist Irland am meisten von dem Streit betroffen. Außenminister Simon Coveney hält "maßvolle Verlängerungen" für vorstellbar und wirbt für "Flexibilität innerhalb der Grenzen", die das Protokoll setzt. Auch der CDU-Europaabgeordnete David McAllister plädiert für Pragmatismus, lehnt aber eine Änderung oder grundlegende Überprüfung des Protokolls ab. "Das eigentliche Problem ist der harte Brexit, den London wollte. Das Protokoll ist Teil der Lösung, und die Briten müssen ihre Versprechen einhalten. Unternehmen und Bürger wurden von London offenbar nicht hinreichend auf die Änderungen vorbereitet", sagt er im SZ-Gespräch. McAllisters Wort hat Gewicht: Er leitet neben dem Auswärtigen Ausschuss im EU-Parlament auch das Gremium für die Beziehungen zu Großbritannien.

Dass dieses Verhältnis so schwierig ist, liegt nicht nur an Nordirland: So besteht die Johnson-Regierung darauf, den Leiter der EU-Vertretung in London, den Portugiesen João Vale de Almeida, schlechter zu behandeln als die Botschafter von Nationalstaaten. Ihm bleiben die Rechte verwehrt, die Diplomaten laut der Wiener Konvention zustehen. Die Kommission ist stinksauer, und auch McAllister sagt: "So etwas kann die EU nicht akzeptieren." In Brüssel wird darauf verwiesen, dass die EU weltweit 143 Vertretungen unterhalte, und nirgends gäbe es solche Probleme.

Die Reaktion: Der neue Chef der britischen Vertretung in Brüssel genießt weniger Zugänge als üblich. Dass Lindsay Appleby etwa keine Termine beim Büroleiter von Ratspräsident Charles Michel erhält, unterstützten alle 27 EU-Mitglieder, denn man wolle keinen Präzedenzfall schaffen, berichten EU-Diplomaten. "Die Briten haben sich da ziemlich tief eingegraben", sagt einer. Man werde wohl warten müssen, bis London zu einem "U-Turn" bereit ist.

Was den Briten gefällt: der Austausch in kleinen Runden

Bedauerlich findet man es in Brüssel, dass die Briten in der Außen- und Sicherheitspolitik momentan nicht mit der EU institutionell kooperieren wollen. Noch 2019 hatten beide Seiten in einer politischen Erklärung eine "ehrgeizige, enge und dauerhafte Zusammenarbeit" angestrebt, doch auch hier vollzog Johnson eine Kehrtwende. Die EU betont, dass viele Angebote weiter gelten würden: etwa zur Teilnahme an Pesco-Projekten, also bei der ständigen strukturierten Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Die Antwort aus London? Danke, kein Interesse.

Was den Briten hingegen gefällt, ist der Austausch im E3-Format, also mit Deutschland und Frankreich. Dies hat sich im Rahmen des Iran-Atomabkommens bewährt, allerdings ist man sich in Berlin der Gefahr bewusst, die ohnehin nicht immer einheitliche EU-Außenpolitik so zu untergraben, zumal etwa Italien, Polen und Spanien das E3-Format skeptisch sehen. Auch McAllister warnt vor einer Spaltung und appelliert an die EU-Staaten, möglichst geschlossen gegenüber London aufzutreten.

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