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Tichanowskaja in Deutschland:Grüne fordern Unterstützung für Opposition in Belarus

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Die Partei verurteilt die Brutalität des Regimes in Belarus - und verlangt mehr Hilfe für Oppositionsführerin Tichanowskaja, die am Dienstag von Kanzlerin Merkel empfangen wird.

Von Daniel Brössler, Berlin

Bundesregierung und Bundestag reagierten schnell. "Der Deutsche Bundestag erkennt die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen nicht an; sie waren weder frei noch fair und es gab erhebliche Abweichungen von den Standards demokratischer Wahlen", hieß es in einer Entschließung zu den Vorgängen in Belarus. Nachdrücklich verurteilt wurde das "brutale Vorgehen der belarussischen Miliz gegen Führungskräfte und Anhänger der Opposition".

Das klingt schrecklich vertraut, ist aber eine Weile her. Der Beschluss stammt vom Februar 2011. Schon damals hatte Präsident Alexander Lukaschenko Proteste gegen Manipulationen bei der Wahl im Dezember niederknüppeln und 700 Menschen einsperren lassen. Nach nur wenigen Wochen verhängte die Europäische Union Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen 170 Vertreter des Regimes. Der Bundestag sagte den "Opfern der Repression jede mögliche finanzielle und rechtliche Unterstützung" zu, vor allem auch durch Visa, damit sie sich in der Europäischen Union in Sicherheit bringen können.

Die Bundeskanzlerin trifft Swetlana Tichanowskaja, die den Diktator herausgefordert hat

Fast zehn Jahre danach ist die Brutalität des Regimes noch erbarmungsloser, die Reaktion Deutschlands und der EU aber weit weniger entschlossen. Das zumindest beklagen die Grünen im Bundestag. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die an diesem Dienstag, von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen wird, müsse deutlich mehr Unterstützung zugesagt werden. "Wir wollen, dass Deutschland, ähnlich wie bereits Polen und Litauen, mehr macht, um diesen Menschen vor Ort und im Exil konkret zu helfen", sagt Manuel Sarrazin, osteuropapolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

Sarrazin verweist auf eine für viele Menschen untragbare Lage. Schließlich seien in Belarus "nicht nur Verhaftungen, Verschleppungen und Folter durch die Behörden des Landes an der Tagesordnung". Das Regime exmatrikuliere auch Studierende, die bei den Protesten teilgenommen haben, bedrohe Familien und Angehörige oder sorge für Probleme am Arbeitsplatz. 2011 hatte die damalige Koalition aus Union und FDP dazu bekannt, dass Verfolgte aus Belarus "unbürokratisch und möglichst mit gebührenfreien Visa in die EU einreisen können". Das müsse auch jetzt wieder gelten, fordert Sarrazin.

In der Koalition stößt das durchaus auf offene Ohren. "Wir sollten unbürokratisch und niederschwellig helfen", sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Das Ziel seien "konkrete Hilfen wie vor zehn Jahren". Das reiche von der unbürokratischen Visavergabe über finanzielle Hilfe bis zur Unterstützung unabhängiger Medien, die zum Teil vom Exil aus arbeiteten. In der Koalition werde nun darüber beraten, wie das auf den Weg gebracht werden könne.

Neben erleichterten Visaverfahren müsse für Verfolgte auch Rechtshilfe bereitgestellt, medizinische und psychologische Hilfe organisiert und Studienstipendien auf den Weg gebracht werden, fordert der Grüne Sarrazin. Erforderlich sei auch die strukturelle Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen "vor Ort und im Exil". Bereits geholfen hat die Bundesregierung Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Ihr war mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) die Ausreise nach Berlin ermöglicht worden.

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SZ vom 06.10.2020
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