Süddeutsche Zeitung

Kaukasus:Fast 50 Tote in Armenien nach aserbaidschanischen Angriffen

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Im jahrzehntealten Konflikt kommt es wieder zu schweren Kämpfen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen. Die Attacken dauern trotz einer angeblichen Feuerpause an, die Konfliktparteien beschuldigen sich gegenseitig.

Bei neuen schweren Kämpfen zwischen Armenien und Aserbaidschan im Südkaukasus sind auf armenischer Seite nach offiziellen Angaben mindestens 49 Soldaten getötet worden. Aserbaidschan nannte keine konkreten Opferzahlen, räumte aber ebenfalls "personelle Verluste" ein.

Russland, die USA und die EU zeigten sich besorgt und forderten einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen. Das mit Armenien verbündete Russland erklärte, man habe eine Feuerpause vermittelt, die seit dem Vormittag gelte und einzuhalten sei. Doch nach aserbaidschanischen Angaben wurde gegen die Vereinbarung nur 15 Minuten nach Inkrafttreten wieder verstoßen. Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte russischen Medienberichten zufolge im Parlament, die Kämpfe würden zwar mittlerweile weniger intensiv ausgefochten, hielten aber in einigen Gegenden noch an.

Im Schatten des Krieges in der Ukraine waren in der Nacht wieder schwere Gefechte zwischen den beiden verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken ausgebrochen. Aus Armeniens Hauptstadt Eriwan hieß es, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. In Baku erklärte das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum, mehrere Stellungen seiner Streitkräfte seien von der armenischen Armee beschossen worden.

Ministerpräsident Paschinjan telefonierte bereits mit dem Präsidenten der Schutzmacht Russland, Wladimir Putin, mit dem er vereinbarte, im Kontakt zu bleiben, und mit EU-Ratspräsident Charles Michel. Er sprach von einem aserbaidschanischen Angriff, auf den es eine internationale Reaktion geben müsse, und alarmierte außerdem den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, wie armenische Medien berichteten. Nach Angaben aus Eriwan hat Armenien offiziell die von Russland geführte Militärallianz Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) um Hilfe angerufen. Die Türkei, eine Verbündete Aserbaidschans, warf wiederum Armenien "Provokationen" vor. Eriwan solle sich auf Friedensverhandlungen mit Baku konzentrieren, schrieb der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auf Twitter.

Die beiden Länder bekriegen einander seit Jahrzehnten wegen des Gebiets Bergkarabach (auch Republik Arzach). Allerdings wurde nach armenischen Angaben diesmal nicht das verbliebene Territorium Arzachs angegriffen, die Attacken trafen Stellungen bei den Städten Goris, Sotk und Dschermuk. Diese liegen auf dem Gebiet Armeniens.

Das umstrittene Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sicherten sich armenische Kräfte in einem Krieg von 1992 bis 1994 die Kontrolle über das Gebiet. 2020 verbesserte Aserbaidschan seine Position in einem vier Monate langen Krieg, der mehr als 5000 Soldaten und Hunderte Zivilisten das Leben kostete. Den nach vier Monaten vereinbarten Waffenstillstand überwacht Russland, die Schutzmacht der christlichen Armenier. Auch die Europäische Union unternahm seitdem viele Anstrengungen, den Konflikt zu lösen.

Das Auswärtige Amt mahnte Deutsche in der Region zur Vorsicht, eine Ausweitung der Kämpfe sei nicht ausgeschlossen. Wer in einem von Kampfhandlungen betroffenen Gebiet sei, solle sich an einen geschützten Ort begeben und dort warten, bis man ihn sicher verlassen könne. Gerade Dschermuk ist bei ausländischen Touristen beliebt, dort befindet sich ein bekanntes Mineralbad.

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