Süddeutsche Zeitung

Grün-Schwarz:Baden-Württemberg soll Antidiskriminierungsgesetz bekommen

Lesezeit: 3 min

In Berlin können Bürger vor Gericht ziehen, wenn sie sich von Behörden oder der Polizei diskriminiert fühlen. Baden-Württemberg will nun nachziehen. Das stellt Innenminister Thomas Strobl und die CDU vor Probleme.

Von Jan Heidtmann, Berlin, und Claudia Henzler, Stuttgart, Berlin/Stuttgart

Es war im Sommer 2020, kurz nach der sogenannten Krawallnacht, als ein 14-Jähriger in Stuttgart auf dem Weg ins Jugendzentrum von der Polizei kontrolliert wurde. Dort angekommen erzählte er den Sozialarbeitern aufgelöst, dass er seine Hose herunterziehen musste - und dass die Freunde, die ihn begleitet hatten, nicht in dieser Weise kontrolliert worden seien. Er hatte den Eindruck, dass er anders behandelt wurde, weil seine Haut dunkel ist.

Für Baden-Württembergs Bürgerbeauftragte Beate Böhlen waren die Schilderungen so glaubwürdig, dass sie die Polizei um Aufklärung bat. Die grün geführte Landesregierung hat das Amt der Bürgerbeauftragten vor einigen Jahren geschaffen, um Konflikte zwischen Bürgern und Behörden zu lösen. Die Bürgerbeauftragte ist beim Landtag angesiedelt und hat das Recht, alle Behörden des Landes um Auskünfte und Akteneinsicht zu bitten. Beschwerden über die Polizei und Diskriminierungsfälle machen nur einen Teil ihrer Arbeit aus. Bei den etwa 600 Anfragen im Jahr geht es auch um Konflikte mit Schulen, Sozial- oder Ordnungsämtern. Oft reicht dabei schon ein Gespräch, um Ärger aus der Welt zu räumen.

Im Fall des 14-Jährigen hatte Böhlen jedoch keinen Erfolg. Denn das Landespolizeipräsidium schilderte den Vorgang anders: Man habe an dem Tag Drogenkontrollen durchgeführt, drei Beamte hätten die Gruppe kontrolliert. Kein Polizist habe jemandem die Hose heruntergezogen, es sei lediglich der Hosenbund abgetastet worden. Und alle Jugendlichen seien gleichbehandelt worden. Für den Jungen und seine Mutter sei diese Stellungnahme mehr als enttäuschend gewesen, sagt Böhlen. "Sie waren geschockt." Von dem Gesprächsangebot der Polizei hätten sie sich dann nichts mehr erhofft.

In Berlin hätten der Junge und seine Familie den Fall von einem Gericht prüfen lassen können. Berlin hat vor einem Jahr als erstes Bundesland ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet. Seitdem können Bürger dort gegen die Behörden auf Schadenersatz klagen, wenn sie sich durch deren Handeln diskriminiert fühlen. Sei es bei der Fahrscheinkontrolle in der U-Bahn, durch die Polizei auf einer Demonstration oder einfach beim Behördengang für einen neuen Personalausweis. Betroffene können ihre Anliegen vor Gericht auch von einem anerkannten Antidiskriminierungsverband vertreten lassen.

Vor einem Jahr noch hatte Strobl über das Gesetz gewettert

Nun soll es solch ein Gesetz auch in Baden-Württemberg geben. Darauf haben sich Grüne und CDU im Koalitionsvertrag verständigt. Böhlen, die Mitglied der Grünen ist, hält den Gerichtsweg für eine sinnvolle Ergänzung. "Wir begrüßen das sehr", sagt sie. Es wird jedoch noch etwas dauern, bis das Innenministerium einen Gesetzentwurf vorlegt. Denn das Projekt stellt den Innenminister und CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl vor ein kommunikatives Problem: Vor einem Jahr hatte er über das Gesetz gewettert und damit gedroht, keine Polizisten mehr zu Einsätzen nach Berlin zu schicken (wovon inzwischen keine Rede mehr ist).

Die Polizeigewerkschaften in Baden-Württemberg befürchten noch immer, dass Polizisten handlungsunfähig werden könnten, weil sie ständig mit Beschwerden rechnen müssten. Strobl hat sich nun in die Zusicherung geflüchtet, dass man nicht das Berliner Gesetz übernehmen werde, sondern ein anderes, irgendwie besseres Werk vorlegen wolle.

Das dürfte seine Mitarbeiter Hirnschmalz kosten. Denn auch Baden-Württemberg will sich am Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) orientieren, das der Bundestag 2006 beschlossen hat. Es gilt bundesweit, regelt aber nur den zivilrechtlichen Bereich, etwa Diskriminierungen am Arbeitsplatz oder bei der Wohnungssuche, nicht aber das öffentlich-rechtliche Handeln. Auch im AGG findet sich der Passus zur Beweiserleichterung, der in Stuttgart als dreiste Zumutung des rot-rot-grün regierten Berlins dargestellt wurde: Wenn der Betroffene seine Vorwürfe so glaubhaft machen kann, dass ein Verstoß aus Sicht des Gerichts wahrscheinlich ist, muss die Behörde beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag.

In Berlin zeigt die Bilanz des ersten Jahres: Eine Klageflut ist ausgeblieben. 315 Beschwerden sind bei der Ombudsstelle eingegangen, die zunächst nach Lösungen jenseits des Klagewegs sucht. 50 Beschwerden richteten sich gegen die Polizei, darunter auch wegen des Vorwurfs des Rassismus. Andere Beschwerden wandten sich gegen Finanzämter, Gerichte, die Verkehrsbetriebe oder die Bürgerämter. Dass nur wenige den Rechtsweg beschreiten, erklärte Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle, auch so: "Die Leute wollen ja gar nicht klagen, die Leute wollen eine Anerkennung der Erfahrung und eine Entschuldigung."

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