Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Wie AKK weiter aufsteigen könnte

Lesezeit: 3 min

Von Robert Roßmann, Berlin

Walter Scheel war Bundespräsident, Außenminister, Vizekanzler, FDP-Chef und manches mehr. Vielen ist er auch wegen seiner Interpretation des Volksliedes " Hoch auf dem gelben Wagen" in Erinnerung, damit schaffte er es immerhin auf Platz fünf der Singlecharts. Im August 2016 starb Scheel im Alter von 97 Jahren. Ein Detail aus seinem langen Leben ist aber weitgehend in Vergessenheit geraten: Scheel war auch geschäftsführender Bundeskanzler. Nach dem Rücktritt Willy Brandts wegen der Guillaume-Affäre hatte ihn der Bundespräsident beauftragt, die Geschäfte bis zur Wahl eines neuen Kanzlers fortzuführen.

Das war bereits 1974, aber diese Episode ist in Berlin gerade Anlass für Spekulationen. Denn mit der Funktion "geschäftsführende Kanzlerin" könnte es auch Annegret Kramp-Karrenbauer schaffen, ohne Wahl durch den Bundestag ganz nach oben zu kommen. Aber wie soll das gehen?

In einem ersten Schritt könnte "Angela Merkel nach einem Auszug der SPD aus der Bundesregierung Kramp-Karrenbauer zur Vizekanzlerin ernennen", sagt der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis. Der Posten wäre dann ja frei. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass die Kanzlerpartei nach dem Auszug eines Koalitionspartners auch die Funktion des Vizekanzlers für sich reklamiert. Als Vizekanzler Erich Mende und seine FDP 1966 die Regierung verließen, ernannte Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU) Hans-Christoph Seebohm zu seinem Stellvertreter. Und als 1982 die FDP die sozialliberale Koalition aufkündigte, machte Helmut Schmidt den Sozialdemokraten Egon Franke zum Nachfolger Hans-Dietrich Genschers als Vizekanzler.

"Kramp-Karrenbauer wäre dann in einer starken Position"

Während Minister auf Vorschlag des Regierungschefs vom Bundespräsidenten ernannt werden, ist der Kanzler bei der Auswahl seines Stellvertreters frei. Er kann ihn ohne Mitwirkung des Bundespräsidenten selbst ernennen. Einzige - und naheliegende - Bedingung ist, dass der Kanzler seinen Stellvertreter aus dem Kreis der Bundesminister wählen muss. Aber zu diesem Kreis gehört Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin jetzt ja.

Nach einer Ernennung der CDU-Chefin zur Vizekanzlerin sei "verfassungsrechtlich auch ein Szenario, Merkel tritt zurück, der Bundespräsident ernennt Kramp-Karrenbauer zur geschäftsführenden Kanzlerin, zulässig", sagt Professor Battis. Kramp-Karrenbauer wäre "dann in einer starken Position - theoretisch könnte sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben". Der Weg, "über eine gescheiterte Vertrauensfrage eine vorgezogene Neuwahl zu erreichen, wäre jedenfalls versperrt", denn eine geschäftsführende Kanzlerin dürfe keine Vertrauensfrage stellen.

"Die Amtszeit einer geschäftsführenden Bundeskanzlerin Kramp-Karrenbauer würde also erst enden, wenn sich im Bundestag eine Mehrheit für einen anderen Kanzler oder eine andere Kanzlerin findet", sagt Battis. Und wenn Kramp-Karrenbauer selbst eine Mehrheit hinter sich bringe, "würde aus der geschäftsführenden Kanzlerin wieder eine gewählte Regierungschefin mit allen Rechten".

Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags schließen ein derartiges Szenario nicht aus. In einer auf Grundgesetz-Kommentare gestützten Ausarbeitung zum Thema "Amtsbeendigung des Bundeskanzlers" verweisen die Experten jedoch darauf, dass der Bundespräsident zunächst den zurückgetretenen Kanzler ersuchen muss, die Geschäfte weiterzuführen, bis ein Nachfolger gewählt ist. Die Experten betonen außerdem, dass der bisherige Kanzler prinzipiell verpflichtet sei, diesem Ersuchen auch nachzukommen. Allerdings könne sich der ausscheidende Kanzler darauf berufen, "dass die vorübergehende Fortführung der Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers unzumutbar sei", heißt es in dem Gutachten. Wenn dem tatsächlich so sei, habe "der Bundespräsident sein Ersuchen an den bisherigen Vizekanzler zu richten". Dabei verweist das Gutachten, es stammt aus dem Jahr 2007, auf den Fall Brandt/Scheel. 1974 verzichtete der Bundespräsident darauf, Brandt mit der Fortführung der Geschäfte zu beauftragen - und hielt sich stattdessen an den damaligen Vizekanzler Scheel.

"Es reicht nicht zu sagen: Ich habe eine Allergie gegen das Kabinett"

"Normalerweise beauftragt der Bundespräsident einen Kanzler, der zurücktritt, damit, sein Amt bis zur Wahl eines Nachfolgers geschäftsführend fortzuführen", sagt auch Professor Battis. "Wenn Frau Merkel das ablehnt", brauche sie "dafür triftige Gründe". Der Bundespräsident müsse diese Gründe dann auf ihre Plausibilität prüfen, aber das sei "bei Frank-Walter Steinmeier in guten Händen, der weiß, wie das geht". In jedem Fall gilt laut Battis: "Auch Gesundheitsgründe, die angeführt werden, müssen natürlich tatsächlich vorhanden sein - es reicht nicht zu sagen: Ich habe eine Allergie gegen das Kabinett." Ein Verweis auf das bisher erlebte Zittern bei öffentlichen Auftritten reicht also nicht.

Auf den liberalen Vizekanzler Erich Mende ...

... folgte 1966 Hans-Christoph Seebohm von der CDU.

Der Sozialdemokrat Egon Franke wurde 1982 für 15 Tage anstelle ...

... Hans-Dietrich Genschers Vizekanzler. In beiden Fällen war der Auszug der FDP aus der Bundesregierung der Anlass.

Und damit ist man schon bei den Gründen, warum das Szenario "geschäftsführende Kanzlerin Kramp-Karrenbauer" zwar möglich, aber unwahrscheinlich ist. Zumindest bisher gibt es kein Anzeichen dafür, dass Merkel so ernsthaft erkrankt ist, dass sie ihr Amt nicht mehr führen könnte. Die Kanzlerin hat in den vergangenen Monaten ein Pensum absolviert, das sogar die meisten völlig Gesunden nicht geschafft hätten. Außerdem gilt es als unwahrscheinlich, dass Merkel ihre Amtszeit mit einem politischen Trick beenden will. Glaubt man ihren Leuten, möchte sie sogar überhaupt nicht vorzeitig aussteigen, sondern bis 2021 im Amt bleiben. Und es gibt bisher auch kein Indiz dafür, dass das geschäftsführende-Kanzlerin-Modell ein Grund für Kramp-Karrenbauers Entscheidung war, nun doch ins Kabinett zu gehen.

Eines ist aber sicher: Allein diese Möglichkeit stärkt die Position der beiden Christdemokratinnen. Denn die SPD muss zumindest die Sorge haben, mit einem Auszug aus der großen Koalition den ins Stocken geratenen Aufstieg Kramp-Karrenbauers wieder zu beschleunigen.

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Quelle:
SZ vom 26.07.2019
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