Süddeutsche Zeitung

USA in Afghanistan:Schweigen zum Vormarsch der Taliban

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US-Präsident Biden hält am Truppenabzug fest, während die Taliban weitere Städte einnehmen. Unter Militärexperten herrscht allerdings Skepsis.

Von Christian Zaschke, New York

Falls es noch eines Beweises bedurft haben sollte, dass die USA ihr Engagement in Afghanistan tatsächlich beenden, dann wurde dieser das vergangene Wochenende erbracht. Nachdem die Taliban mehrere Städte im Norden des Landes eingenommen hatten, war die offizielle Reaktion in Washington vor allem: Schweigen. Inoffiziell ließ die US-Regierung verlauten, dass es nun an den afghanischen Regierungstruppen sei, sich den Taliban entgegenzustellen.

Im April hatte Präsident Joe Biden angekündigt, dass sämtliche US-Truppen bis zum 11. September abgezogen würden, bis zu dem Datum also, an dem vor 20 Jahren islamistische Terroristen in den USA mehrere Flugzeuge kaperten und unter anderem in die Türme des World Trade Center flogen. Mittlerweile hat Biden den Stichtag auf den 31. August vorverlegt.

Schon jetzt sind allerdings nur noch 650 US-Soldaten in Afghanistan stationiert. Seit die Amerikaner ihren Luftwaffenstützpunkt in Bagram im vergangenen Monat offiziell an die afghanischen Regierungstruppen übergeben haben, ist der Einsatz de facto vorbei. US-Unterstützung für die afghanische Armee kommt jetzt allenfalls noch aus der Luft, von Stützpunkten in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder von einem in der Region stationierten Flugzeugträger.

Der frühere Verteidigungsminister Leon Panetta sagte am Sonntag, er habe mehr Unterstützung aus der Luft im Kampf gegen die Taliban erwartet. Allerdings gehe er nicht davon aus, dass mehr Luftschläge die Situation entscheidend verändert hätten. "Das Beste, auf das wir jetzt hoffen können, ist eine Art Patt zwischen den Taliban und den afghanischen Truppen", sagte Panetta.

Was passiert mit den afghanischen Helfern?

Aus dem Pentagon verlautete, dass man nicht beabsichtige, wieder aktiver einzugreifen. Regierungssprecherin Jen Psaki hatte bereits am Freitag gesagt, dass Biden nicht vorhabe, seine Marschroute zu ändern. "Der Präsident hat klargemacht, dass es nach 20 Jahren an der Zeit ist, dass die amerikanischen Truppen nach Hause kommen", sagte sie im Weißen Haus. Die afghanische Armee habe nach Ansicht Bidens sowohl die Ausbildung als auch die Ausrüstung, den Kampf gegen die Taliban alleine fortzuführen.

Biden war schon als Vizepräsident unter Barack Obama ein Befürworter des Abzugs aus Afghanistan. Seinerzeit ist er von Obama überstimmt worden. Dass er den Abzug nun als Präsident vollzieht, wird von einer Mehrheit der Demokraten und der Republikaner in Washington begrüßt. Unter Militärexperten herrscht allerdings Skepsis. Es wird befürchtet, dass die USA bei weiteren militärischen Erfolgen der Taliban gezwungen sein könnten, ihr Engagement wieder auszuweiten.

Einem Bericht der Vereinten Nationen (UN) zufolge sind von Anfang Mai bis Ende Juni 2400 Zivilisten in Afghanistan getötet worden. Das ist die höchste Zahl seit Beginn der UN-Erhebungen im Jahr 2009. Befürchtet wird, dass darunter viele Menschen sein könnten, die den USA als Übersetzer, Fahrer und in anderen Funktionen geholfen haben. Die Taliban hatten Vergeltung angekündigt.

Der US-Kongress hat jüngst 1,1 Milliarden Dollar bewilligt, um die Helfer und deren Angehörige in die USA zu bringen. Präsident Biden hatte vor wenigen Wochen gesagt: "Diejenigen, die uns geholfen haben, werden wir nicht zurücklassen." Damit reagierte er darauf, dass es in der Vergangenheit monatelang, teils jahrelang dauerte, bis die Asylanträge bearbeitet wurden.

Mittlerweile hat der Kongress die Zahl der Visa für Helfer von 11 000 auf 19 000 aufgestockt. Diese Aufstockung verdankt sich vor allem der Arbeit einer Gruppe von US-Parlamentariern namens "Honoring Our Promises Working Group", der zehn Demokraten und fünf Republikaner angehören. Da die Helfer ihre Angehörigen mitbringen dürfen, könnten laut dem demokratischen Senator Tim Kaine bis zu 50 000 Afghanen in die USA übersiedeln. Laut New York Times plant das Pentagon sogar mit bis zu 100 000 Menschen.

Allerdings sollen nicht alle Helfer direkt in die USA gebracht werden. Geplant ist, viele von ihnen zunächst in Drittländer zu bringen, während ihre Anträge bearbeitet werden. Unklar ist, was mit denen passiert, deren Anträge abgelehnt werden. Es steht vor allem die Frage im Raum, ob diese Menschen zurück nach Afghanistan geschickt werden sollen.

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