Süddeutsche Zeitung

AfD:Selbstverschuldet in einer existenziellen Krise

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Die AfD steht nach einem bizarren Machtkampf vor einem Scherbenhaufen. Abschreiben sollte die Partei trotz sinkender Umfragewerte allerdings niemand.

Kommentar von Markus Balser

Lange ist es noch nicht her, dass die größte Oppositionspartei im Bundestag ein selbstbewusstes Ziel formulierte: Auf dem Parteitag Ende November erklärte sich die AfD, beseelt von hohen Umfragewerten, kurzerhand für regierungsfähig. Der Parteichef stufte sie gar als unverzichtbar ein: "Es läuft alles auf uns zu", orakelte Jörg Meuthen. Doch gerade mal vier Monate später stehen er und seine Partei vor einem Scherbenhaufen. Die Alternative für Deutschland verliert sich in der größten Krise des Landes seit Jahrzehnten in einem bizarren Machtkampf und stürzt sich selbst in eine existenzielle Krise. Und auf Meuthen selbst läuft derzeit allein das jähe Ende seiner politischen Karriere zu.

Das Hauen und Stechen, das sich gerade unter den Rechtspopulisten abspielt, ist ohne Beispiel. Im Kern geht es um den Umgang mit dem nun sogar amtlich vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften "Flügel" und seinen Führungsfiguren wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Ende März entschied die AfD-Spitze, die rechtsextremen Kräfte nicht etwa auszugrenzen, sondern den "Flügel" aufzulösen und in der Partei aufgehen zu lassen. Die Volte machte eindrucksvoll klar, dass die Partei die Radikalen in den eigenen Reihen nicht ernsthaft stoppen, sondern integrieren will.

Selbst dem Parteichef war das zu wenig. Jörg Meuthen schlug daraufhin völlig überraschend und offenbar ohne große Rücksprache vor, die AfD in einen konservativ-freiheitlichen Teil und den "Flügel" zu spalten und so die Rechtsextremen aus der Partei zu bugsieren. Ihn treibt zu Recht die Sorge um, die Nähe zu Rechtsradikalen schrecke bürgerliche Wähler ab. Die AfD könnte in Umfragen noch stärker verlieren. Meuthen scheiterte kläglich. Seine übermächtigen Gegner in der Parteispitze lancierten einen Aufruf zur Einheit der Partei. Meuthen musste sich per Vorstandsbeschluss am Montag für einen "großen Fehler" entschuldigen. Deutlicher kann die Demütigung eines Parteichefs kaum ausfallen.

Die beschworene Einheit der Partei könnte ihr zum Verhängnis werden

Der Machtkampf in der AfD ist damit entschieden. Die Partei hat nun auch ganz offiziell beschlossen, politische Abgründe weiter in ihren Reihen zu dulden. Selbst wenn der "Flügel" sich als Netzwerk auflöst, was nicht sicher ist - das Gedankengut seiner Mitglieder bleibt. Rechtsextremisten wie Björn Höcke sollen im Osten Deutschlands weiter Rekordergebnisse für die AfD bei Wahlen holen, so lautet die weitverbreitete Hoffnung in der Parteispitze.

Die Folgen dieser Entwicklung reichen weit. In der AfD werden die Grenzen zwischen gemäßigten und radikalen Kräften in Zukunft noch stärker als bisher verschwimmen. Das schafft ein neues Problem. Geht der "Flügel" wirklich in der Partei auf, müsste der Verfassungsschutz, der die AfD-Strömung gerade zum Beobachtungsobjekt erklärt hatte, seine Gangart fast schon zwangsläufig auch gegen die gesamte Partei verschärfen. Die von der Führung beschworene Einheit der Partei könnte ihr dann zum Verhängnis werden. Vor allem Beamte, eine wichtige Stütze der Partei, könnten dann kaum noch Mitglieder bleiben. Der Aderlass wäre groß.

Abschreiben allerdings sollte die AfD trotz sinkender Umfragewerte sieben Jahre nach ihrer Gründung niemand. Es ist zu befürchten, dass die drohende Wirtschaftskrise der Nährboden für neue populistische Tendenzen wird.

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SZ vom 08.04.2020
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