Süddeutsche Zeitung

Horn von Afrika:Eine Chance auf Frieden in Äthiopien?

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Die abtrünnige Region Tigray bietet einen Waffenstillstand an. Eine Reaktion des Friedensnobelpreisträgers und Regierungschefs Abiy steht noch aus.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Im äthiopischen Bürgerkrieg hat die Führung der abtrünnigen Region Tigray einen Abzug ihrer Truppen aus dem restlichen Äthiopien angekündigt und bietet einen sofortigen Waffenstillstand an. "Ich habe den Einheiten der Armee von Tigray, die sich außerhalb der Grenzen von Tigray befinden, befohlen, sich mit sofortiger Wirkung in die Grenzen von Tigray zurückzuziehen", schrieb Debretsion Gebremichael, der Präsident der Region, am Sonntag in einem Brief an UN-Generalsekretär António Guterres.

Der Bürgerkrieg begann Anfang November 2020, seitdem sind wahrscheinlich Zehntausende Menschen ums Leben gekommen, Hunderttausende sind auf der Flucht, Millionen leiden unter Mangelernährung.

"Keine Seite kann der anderen ihren Willen durch militärische Dominanz aufdrängen", schrieb Debretsion an den UN-Chef. Es handele sich um einen "nutzlosen Krieg".

Die Spannungen hatten mit dem Amtsantritt von Abiy Ahmed im Jahr 2018 begonnen. Zuvor hatte die zur Partei gewordene Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) fast 30 Jahre lang Politik und Wirtschaft in Äthiopien dominiert, obwohl die Volksgruppe der Tigray nur sechs Prozent der Bevölkerung Äthiopiens stellt. Unter der TPLF-Führung wuchs die Wirtschaft viele Jahre auf Rekordniveau, Korruption und Menschenrechtsverletzungen unter dem Regime der Einheitspartei wurden aber immer schlimmer. Nach jahrelangen Protesten übernahm mit Abiy erstmals ein Vertreter der größten Volksgruppe der Oromo die Macht, die Elite der Tigray verlor an Einfluss, Macht und auch Reichtum, viele ihrer Führer zogen sich in den Norden zurück und sabotierten die Politik von Abiy.

Beiden Seiten werden schwere Gräueltaten vorgeworfen

Der hatte 2019 den Friedensnobelpreis für seine Aussöhnung mit dem alten Erzfeind in Eritrea bekommen, mit den Tigray dagegen gab es keine Aussöhnung. Zusammen mit den Truppen aus dem Nachbarland besetzten Abiys Truppen und zahlreiche Milizen die Region Tigray und begingen Massenvergewaltigungen und -erschießungen. Später drehte sich das Pendel, im November befanden sich die Truppen der TPLF auf dem Vormarsch in Richtung der Hauptstadt Addis Abeba, westliche Botschaften begannen bereits damit, ihre Mitarbeiter in Sicherheit zu bringen. Auch der TPLF werden mittlerweile schwere Gräueltaten vorgeworfen.

Seit einigen Wochen ist die TPLF wieder in der Defensive, verlor einige strategisch wichtige Städte und Gebiete. Debretsion machte dafür zumindest indirekt die Aufrüstung der äthiopischen Regierungsarmee verantwortlich, die in den vergangenen Monaten Drohnen aus der Türkei, Iran und den Emiraten bekommen haben soll. Das Friedensangebot entspricht der Dynamik des Konflikts; vor einem halben Jahr hatte Abiy, als sich seine Truppen in der Defensive befanden, ebenfalls einen einseitigen Waffenstillstand angeboten, den die Tigray damals ablehnten.

Am Montagabend wollte sich der UN-Sicherheitsrat mit der Situation in Äthiopien beschäftigen, die die ganze Region am Horn von Afrika zu destabilisieren droht. Die Regierung von Abiy reagierte zunächst nicht auf den Rückzug und das Angebot zum Waffenstillstand. In den vergangenen Monaten hatten sich bereits zahlreiche Vermittler ergebnislos um eine Lösung des Konflikts bemüht, der nicht ganz freiwillige Rückzug der TPLF bietet dazu die beste Chance seit Langem. Ob Abiy aber überhaupt noch die Macht hat, die Dynamik des Konflikts zu stoppen, ist fraglich.

Die jüngsten Erfolge gehen nicht unbedingt auf das Konto der Bundesarmee; sie sind Ergebnis der Mobilisierung von Milizen und Sondereinheiten aus der Region Amhara, Heimat der zweitgrößten Volksgruppe des Landes. Die streiten mit den Tigray schon lange um von beiden Seiten beanspruchte Gebiete und auch die Zukunft des gesamten Förderalstaates. Ein großer Teil der Führung der Amharen ist nicht verhandlungsbereit, sie will die Tigray vernichten. "Wenn Abiy mit der TPLF verhandelt, ist er nicht mehr unser Präsident", sagte ein hoher Amhara-Funktionär der SZ.

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