Süddeutsche Zeitung

Stuttgart:Gericht verurteilt gewalttätigen Polizisten

Lesezeit: 3 min

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Es geschah am 19. Februar 2017 in der Willy-Brandt-Straße in Stuttgart. Ausgerechnet vor dem Innenministerium, das für die Polizei in Baden-Württemberg verantwortlich ist. Nach einem Autounfall eskalierte ein Konflikt zwischen einem Beteiligten und einem Polizisten, am Ende lag der 37-jährige Mann auf dem Boden. Zwei Beamte knieten auf ihm. Ein Dritter schlug dem sich weiterhin wehrenden Mann mit einem Schlagstock mehrmals von hinten auf den Oberschenkel, und ein vierter Polizist hieb ihm mehrmals mit der Faust auf den Kopf.

Ein Journalist filmte die Szene und veröffentlicht sie im Internet. Es ist ein brutales Video, und man muss nun nicht erklären, welche Reaktionen so ein Film auslöst. Die Frage ist jetzt: Waren die Prügel eine angemessene Reaktion auf provokantes oder gar aggressives Verhalten des Unfallbeteiligten? Oder handelt es sich um Polizeigewalt? Das Amtsgericht Stuttgart hat sich in vier Verhandlungstagen mit dem Fall beschäftigt, am Donnerstag verurteilte es den Polizisten, der mit der Faust zuschlug, zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt.

In der Urteilsbegründung bestätigte der Richter, das spätere Opfer habe sich durchaus aggressiv verhalten habe. Der 37-Jährige, ein ehemaliger Ringer, habe sich zunächst geweigert, einen Atemalkoholtest zu machen und seine Zigarette auszudrücken. Stattdessen habe er sich vor dem Polizisten aufgebaut. Danach habe er sich gegen das Anlegen von Handschellen gewehrt, dabei sei der Polizist zu Fall gekommen und mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufgeschlagen. Aber rechtfertigt das, mit massiver Gewalt auf den Mann einzuschlagen?

Trotz des Widerstandes seien die späteren Faustschläge "zu viel des Guten" gewesen, sagte der Richter. Denn zum Zeitpunkt der Schläge sei der renitente Kontrahent bereits von den vier Polizisten auf dem Boden fixiert gewesen. "Da sind drei weitere Beamte an ihm dran", sagte der Richter und sprach den Angeklagten direkt an: "Wenn Sie ehrlich sind, haben Sie in der Situation nicht mehr zu befürchten, dass ein Angriff stattfinden würde."

Der 30-jährige Angeklagte sitzt mit hellblauem Hemd und akkurat getrimmtem Dreitagebart zwischen seinen beiden Verteidigern. Weil der Mann so aggressiv aufgetreten sei, habe er ihn "zum Eigenschutz" aufgefordert, die Zigarette auszumachen. Das tat der 37-Jährige nicht. Stattdessen habe er nach Aussage des Angeklagten mit der Zigarette herumgefuchtelt, ihn bedroht und ihm Rauch ins Gesicht geblasen. Sein Kontrahent, der auch Nebenkläger ist, bestreitet das.

Sind Schläge gegen den Kopf angemessen?

Jedenfalls kam es zum Gerangel, bei dem der Mann den Polizisten zu Fall brachte und verletzte. Sogleich kamen drei weitere Beamte zu Hilfe. Auch mit vereinten Kräften taten sie sich schwer, den bulligen Ex-Ringer unter Kontrolle zu bekommen. Deshalb bezeichneten die Anwälte des Polizisten die Faustschläge als gerechtfertigt. Dies habe ein Polizei-Ausbilder bestätigt. "Wenn es anders nicht möglich ist, den Widerstand zu brechen, sind auch Schläge gegen den Kopf angemessen", sagte der Zeuge. Die Verteidiger plädierten deshalb auf Freispruch.

Die Staatsanwältin beantragte dagegen eine achtmonatige Bewährungsstrafe. Sie bezeichnete die Schläge als "völlig unverhältnismäßig, sowohl in der Art als auch in der Anzahl". Faustschläge gegen den Kopf seien "immer kritisch". Zu Gunsten des Angeklagten zog sie in Betracht, dass er sich in einer Stresssituation befand und kurz zuvor mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufgeschlagen war. Der Polizist war nach dem Kampf suspendiert worden, inzwischen ist er krankgeschrieben. Mit der Bewährungsstrafe bleibt er im Dienst, ab einer einjährigen Haftstrafe wäre er seinen Job los gewesen. Zivilrechtlich hatten sich das Land und das Opfer in einem Vergleich auf 1500 Euro Schmerzensgeld geeinigt.

Der Vertreter des Opfers forderte eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr. Er warf dem Angeklagten vor, die Aggression sei von ihm ausgegangen. "Er hat meinen Mandanten von hinten umgerissen." Zu diesem Zeitpunkt habe das Opfer die Zigarette längst nicht mehr in der Hand gehabt. "Der Angeklagte wollte meinem Mandanten eine Abreibung verpassen." Im übrigen hätten auch mindestens zwei der anderen drei Polizisten gewusst, dass die Diensthandlung unrechtmäßig gewesen sei. Das Verfahren gegen die anderen Beamten wurde eingestellt.

Ohne das Video wäre sein Mandant wohl wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verurteilt worden. Nur wegen des Filmes sei ihm geglaubt worden, betonte der Anwalt.Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Anwalt des Nebenklägers bezeichnete es als "wahrscheinlich", dass er Berufung einlegen werde.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4386621
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Sz.de/dpa/stma/aner
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.