Süddeutsche Zeitung

Justizkrimi in der Schweiz:Das Drama um den bekanntesten Häftling der Schweiz

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Es war die Justiz-Nachricht der vergangenen Woche: Der einstige Jugend-Intensivtäter Brian K., für den sich sogar die UN einsetzten, soll nach fünf Jahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Warum daraus nun doch nichts wird.

Von Isabel Pfaff, Bern

Es sah so aus, als hätte der Kanton Zürich nun die große Wende eingeleitet: Vor einer guten Woche teilte das Obergericht des Kantons mit, dass Brian K. aus der Sicherheitshaft entlassen werden soll, und zwar "in den kommenden Tagen". Das war spektakulär.

Seit mehr als fünf Jahren sitzt Brian K., dessen Geschichte die ganze Schweiz kennt, ununterbrochen in Untersuchungs- respektive Sicherheitshaft. Von 2018 bis Januar dieses Jahres war der 27-jährige Schweizer noch dazu isoliert: allein in einer Zelle der JVA Pöschwies, 23 Stunden am Tag. Eine Stunde durfte er draußen im Hof verbringen, ebenfalls allein. Die Haftbedingungen, die sowohl von der Schweizer Folterkommission als auch vom UN-Sonderberichterstatter für Folter kritisiert wurden, begründeten die Behörden mit Brians Gefährlichkeit. Anfang des Jahres dann die erste Überraschung in dem Fall: Die Justizbehörden verlegten Brian K. von Pöschwies in ein Untersuchungsgefängnis in Zürich, wo er wieder unter normalen Bedingungen inhaftiert wurde.

Nun also sogar die Freiheit? Das Obergericht Zürich begründete seine Entscheidung damit, dass Sicherheitshaft nicht länger dauern darf als die zu erwartende Freiheitsstrafe. Denn Brian K. sitzt ja seit 2017 nicht als Verurteilter im Gefängnis, sondern als Beschuldigter. Das Verfahren gegen ihn zieht sich seit Jahren über mehrere Instanzen hin, im Moment ist es vor dem Obergericht hängig. Und so sitzt Brian mittlerweile länger in Untersuchungshaft, als er laut des erstinstanzlichen Urteils ins Gefängnis müsste.

33 neue Delikte, begangen im Gefängnis

Am vergangenen Montag sollte er rauskommen. Doch wenige Tage vor der geplanten Freilassung wird bekannt, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft das verhindern will. Es gelingt ihr: Am Dienstag entscheidet das Strafmaßnahmengericht Zürich, das für die Verhängung von Untersuchungshaft zuständig ist, auf Antrag der Staatsanwaltschaft, Brian K. von Neuem zu inhaftieren.

Die erneute Untersuchungshaft betrifft nicht das bekannte Verfahren, bei dem es um Vorfälle aus dem Jahr 2017 geht, sondern ein gänzlich neues. "Dem Beschuldigten werden ... insgesamt 33 Delikte zur Last gelegt, welche er im Zeitraum von 22.11.2018 bis 28.06.2022 begangen haben soll", schreibt die Staatsanwaltschaft. Es gehe dabei unter anderem um versuchte schwere Körperverletzung, mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Sachbeschädigung. Gegen Brian soll also erneut Anklage erhoben werden, wegen Vorfällen, die sich ausschließlich im Gefängnis abgespielt haben.

Eine dramatische Wendung in der Geschichte, die auch sonst nicht arm ist an bösen Überraschungen. Zusammengerechnet hat Brian K., Sohn eines Zürchers und einer Kamerunerin, mehr als ein Drittel seines Lebens in Gefängnissen und geschlossenen Anstalten verbracht. Er hat in der Schweiz traurige Berühmtheit erlangt - erst als jugendlicher Straftäter, dann als einer, dessen Resozialisierung den Staat zu viel Geld kostet, und schließlich als renitenter Dauerhäftling. Brian K. hat tatsächlich Gewaltdelikte begangen - doch gleichzeitig ist ihm immer wieder Unrecht durch die Behörden geschehen. Mehrmals saß er widerrechtlich im Gefängnis. Schon als Jugendlicher wurde er teils grausam diszipliniert. Und seine Einzelhaft dauerte sehr viel länger als die völkerrechtlich akzeptablen 15 Tage.

Verteidiger planen Anfechtung

Das Unrecht, das Brian K. angetan wurde, wird in der Schweiz inzwischen lautstark thematisiert - sogar von einer Instanz wie dem Bundesgericht. Seine mutmaßlichen Vergehen sind längst nicht mehr von seiner Haftgeschichte und damit vom Vorgehen der Justizbehörden zu trennen.

Brian K.s Verteidiger - unter ihnen namhafte Schweizer Menschenrechtler - wollen nun die Verfügung des Zwangsmaßnahmengerichts anfechten. Sie weisen die neuen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück. "Wir werden uns dafür einsetzen, dass Brian die Chance auf ein Leben in Freiheit erhält", schreiben sie in einer Mitteilung, "auch wenn die Staatsanwaltschaft ihm jeden erdenklichen Stein in den Weg legt."

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