Süddeutsche Zeitung

Unwetter:Der Winter zeigt seine raue Seite

Lesezeit: 4 min

In Schneebergen vergrabene Autos, stillstehende Busse und Bahnen und eine Befreiungsaktion in luftiger Höhe: Ein heftiger Schneesturm tobt über der Mitte Deutschlands. Räumfahrzeuge kommen kaum hinterher.

Von Peter Burghardt, Kerstin Lottritz, Antonie Rietzschel und Christian Wernicke

Wenn Autobahnen so verschneit sind, dass selbst Räumfahrzeuge die Schneemassen nicht mehr bewältigen und Züge wegen eingefrorener Oberleitungen nicht mehr fahren können, ist es vorbei mit dem Winterspaß. Am Wochenende ist ein heftiger Schneesturm über die Mitte Deutschlands gezogen. Besonders schlimm traf das Tief Tristan am Sonntag Nordrhein-Westfalen, wo teilweise die höchste Unwetter-Warnstufe galt. Bis zu 32 Zentimeter Neuschnee und Windböen von bis zu 80 Kilometer pro Stunde hatten für meterhohe Schneeverwehungen gesorgt. Bei der Bahn gab es im Regional- und Fernverkehr große Einschränkungen.

Im Ruhrgebiet wurden zeitweise Autobahnen wegen gefährlicher Glätte aufgrund von Eis und einer festgefahrenen Schneedecke gesperrt. Vereisungen an den Oberleitungen zwangen die Deutsche Bahn, ihren Betrieb regional auszubremsen. Auf der Strecke zwischen Duisburg und Essen - einer der meistbefahrenen Strecken der Republik - wurde sämtlicher Verkehr von Fernzügen wie S-Bahnen eingestellt. Auch in Gelsenkirchen und Bochum fielen die Züge aus. In Duisburg kam ein Auto aus ungeklärter Ursache von der Straße ab, Rettungskräfte versuchten vergeblich, den Mann wiederzubeleben.

Bei Bielefeld sperrte die Polizei am Sonntagmorgen stundenlang die Autobahn A2, immer neue Schneeverwehungen hatten den Räumdienst überfordert. Busse und Bahnen fielen aus, immer wieder appellierten Stadt, Polizei und Feuerwehr an die Bewohner, zu Hause zu bleiben. Das für Sonntagabend angesetzte Bundesligaspiel von Arminia Bielefeld gegen Werder Bremen fiel aus - der vereiste Rasen war unbespielbar.

Streifenwagen bleiben stecken

60 Kilometer westlich legte das Schneechaos auch die Uni-Stadt Münster lahm. Der für die Region ungewohnte Schneeeinbruch machte am Sonntag fast sämtliche Straßen unbefahrbar. Wo der kalte Ostwind den Schnee auftürmte, blieben sogar Streifenwagen der Polizei und drei städtische Räumfahrzeuge stecken. Im benachbarten Kreis Coesfeld appellierte die Kreisverwaltung an über 80-Jährige, für die am Montag die Corona-Schutzimpfungen beginnen sollten, ihren Besuch im Impfzentrum zu verschieben: Wer Sorge habe, das Impfzentrum nicht zu erreichen, der könne auch einen Tag später kommen - "ohne Terminabsprache", versprach Landrat Christian Pellengahr.

In Wuppertal musste die Feuerwehr am Sonntagmorgen sechs Passagiere über Drehleitern aus der Schwebebahn befreien - der Waggon hing über der Wupper fest, weil die Stromschiene vereist war. Im benachbarten Hagen brach ein Zirkuszelt unter der Schneelast zusammen, die Feuerwehr rettete die unter den Planen kauernden 13 Tiere. Menschen kamen nicht zu Schaden.

In vielen NRW-Städten suchten Polizei, städtische Mitarbeiter sowie Freiwillige nach Obdachlosen, um diese rechtzeitig in warme Unterkünfte zu bringen. Bereits am Samstag hatte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker alle Bürger aufgerufen, die städtische Winterhilfe zu alarmieren, falls sie Wohnungslose entdeckten.

Sorge um Obdachlose

Einen ähnlichen Appell veröffentlichte am Sonntag auch Markus Lewe, der OB des verschneiten Münsters: "Für obdachlose Personen in unserer Stadt kann die aktuelle Wetterlage lebensgefährlich werden", sagte Lewe, "zeigen wir auch heute wieder, dass Münster zusammenhält." Letztlich brachte Köln in der Nacht zum Sonntag 43 Männer und sechs Frauen in zwei Notunterkünften unter, zudem wurden 80 Zugewanderte aus EU-Ländern humanitär versorgt.

In Berlin wurde ein großes Obdachlosen-Camp geräumt, was auch auf Kritik stieß. Die Menschen sollen von der provisorischen Unterbringung in einer Traglufthalle an Hostels weitervermittelt werden. Linke Gruppen hatten am Samstag zum Protest aufgerufen und gefordert, dass die ehemaligen Bewohner des Camps dorthin zurückkehren dürfen.

In Hamburg blies am Sonntag zunächst nur ein schneidend eisiger Wind, und am Hauptbahnhof standen mehrere Fernzüge still. In den angrenzenden Bundesländern machte sich der Winter derweil sichtbar breit, wenn auch nicht so dramatisch wie befürchtet. Angesichts heftigen Schneetreibens oder gefrierenden Regens und glatter Straßen stellte die Bahn den Verkehr in Niedersachsen, Bremen und einigen Regionen Schleswig-Holsteins teilweise ein.

Mancherorts tobten Sturmböen aus Richtung Osten bis Nordosten und drückten wie in Eckernförde Wasser in die Häfen. Einige Straßen bei Flensburg waren wegen der Schneeverwehungen für Pkws kaum mehr passierbar, eine Frau rutschte mit ihrem Fahrzeug in einen Bach. Ein Baum fiel auf eine Bushaltestelle, Unfälle wurden gemeldet. Der Deutsche Wetterdienst riet ohnehin, auf Autofahrten zu verzichten.

Lebensgefahr in den Wäldern

Besonders das mittlere und südliche Niedersachsen erwachte verschneit, das betraf auch weite Passagen der Landstraßen und Autobahnen. Die Polizei warnte vor Ausflügen in den Oberharz, wo in der Nacht 30 Zentimeter Neuschnee gefallen waren, wegen des Schnees und des Windes bestehe in den Wäldern sogar Lebensgefahr. Hannovers Herrenhäuser Gärten wurden geschlossen, eine geplante Demo gegen Corona-Maßnahmen wurde abgesagt. Das ganz große Chaos, das tagelang hinaufbeschworen worden war, blieb hier aber fürs Erste aus.

In Thüringen herrschten am Sonntag teilweise minus 20 Grad. Aufgrund der extremen Wetterlage entschied Bildungsminister Helmut Holter (Die Linke), die Schulen am Montag für den Präsenzunterricht zu schließen. Die Abschlussklassen müssen deswegen zu Hause bleiben, auch eine Notbetreuung wird es nicht geben.

In Sachsen-Anhalt sorgte der Wintersturm dagegen für Chaos. Die Deutsche Bahn hatte Fernverbindungen ab Halle komplett gestrichen, und auch der Regionalverkehr war nahezu lahmgelegt. In Magdeburg und Halle versuchten die Verkehrsbetriebe, liegen gebliebene Straßenbahnen mit schwerem Gerät aus den Schneewehen zu befreien. Weil der Räumdienst kaum hinterherkam, wurden zahlreiche Landstraßen gesperrt und kleinere Ortschaften wie Radegast bei Dessau komplett von der Außenwelt abgeschnitten.

In Sachsen war vor allem der Norden vom Unwetter betroffen. In Leipzig fuhren am Sonntag kaum noch Busse oder Straßenbahnen. Der Bahnhof Leipzig, zentraler Knotenpunkt für Verbindungen nach Berlin oder Hamburg, wurde kaum noch angefahren, der Zugverkehr nach Dresden ist gestört.

Meteorologen warnten am Sonntag, der Schneesturm sei noch nicht vorbei. Das Ruhrgebiet etwa müsse in den kommenden Nächten Temperaturen bis minus 20 Grad verkraften. Dies dürfte den Bahnverkehr zwischen Duisburg und Dortmund erneut lähmen. Die Behörden appellierten an die Bürger, auf Autofahrten zu verzichten. In der Nacht werde es vor allem im Norden Bayerns, im Süden Thüringens und in Südwest-Sachsen schneien.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5198953
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.