Süddeutsche Zeitung

Missbrauchsfall Lügde:Minister Reul widerspricht Staatsanwaltschaft

Lesezeit: 2 min

Von Jana Stegemann, Düsseldorf, und Britta von der Heide, Lügde

Bei den Ermittlungen zum mutmaßlich tausendfachen Kindesmissbrauch im nordrhein-westfälischen Lügde gibt es offenbar einen Konflikt zwischen dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft Detmold darüber, ob weitere Durchsuchungen auf dem Campingplatz "Eichwald" nötig sind. Im Interview mit Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), er wolle das Areal weiter durchsuchen lassen.

Die Staatsanwaltschaft Detmold hatte vor neun Tagen mitgeteilt, die bei Abrissarbeiten in den vergangenen Wochen aufgetauchten Datenträger und VHS-Kassetten besäßen keinerlei strafrechtliche Relevanz, man habe ausreichend Beweismaterial, um die Täter zu überführen. Die Polizei hatte 3,3 Millionen Bilder und 86 300 Videos sichergestellt, die aktuell ausgewertet werden. Die Ermittlungen sollten sich auf die vorhandenen Beweise konzentrieren. "Jeder denkbare Fund kann uns helfen, auch in anderen Fällen. Das ist unser Auftrag und darum wird es gemacht", sagt Reul hingegen nun.

Reul kritisiert Lügde-Ermittler

Beim Abriss der Behausung des Hauptverdächtigen Andreas V. auf dem Campingplatz in Lügde waren vorletzte Woche CDs, Disketten und Videokassetten gefunden worden - aber nicht von der Polizei, sondern von einem privaten Abrissunternehmer. Und das, obwohl der mutmaßliche Haupttatort zuvor mindestens sechsmal durchsucht worden war, sogar Deutschlands einziger Datenspürhund kam dabei zum Einsatz.

Außerdem war nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR von dem Abrissunternehmen ein Geräteschuppen entrümpelt worden, der vom Hauptbeschuldigten Andreas V. genutzt worden war - den die Polizei aber bisher nicht durchsucht hatte. Der Inhalt des Schuppens wurde verbrannt. NRW-Innenminister Reul sagte, die Polizei sei der Auffassung gewesen, dass der Schuppen nicht zum Gelände des Beschuldigten gehöre: "Ich halte das für eine Fehleinschätzung", sagte Reul jetzt. Der 66-Jährige gibt aber auch zu Bedenken, dass die neuen Funde auch Manipulationen sein könnten: "Die Sachen könnten sogar theoretisch hingelegt worden sein."

Die Entscheidung darüber, was in dem Lügde-Verfahren gemacht werde, treffe aber die Staatsanwaltschaft in Detmold, betonte der Minister: "Die Polizei ist Hilfsleister, wenn man so will."

Auf Anfrage teilte der leitende Oberstaatsanwalt Ralf Vetter mit, dass es "nach hiesiger Auffassung" keinen Konflikt zwischen Staatsanwaltschaft und Inneministerium gebe. Beide wollten das gleiche, "den Fall Lügde mit allen Mitteln, die die Strafprozessordnung zu Verfügung stellt, aufzuklären". Sollten weitere Durchsuchungen nötig sein, werde die Staatsanwaltschaft "soweit strafprozessual zulässig, Durchsuchungsbeschlüsse bei dem zuständigen Amtsgericht beantragen".

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen sieben Tatverdächtige

Wegen der zahlreichen Ermittlungspannen im Fall Lügde stehen Innenminister Reul und die Polizei unter erheblichem Druck. Der SPD-Innenexperte Hartmut Ganzke hatte nach den neuerlichen Funden Reuls Rücktritt gefordert. Die Ermittlungsfehler könnten laut Ganzke auch den Strafprozess zu dem Fall gefährden.

Im Februar hatte Reul im Landtag versprochen: "Wir drehen jeden Stein auf dem Campingplatz um. Notfalls wird jeder Stein auch geröngt."

Auf dem Campingplatz in Lügde soll der 56-Jährige Haupverdächtige Andreas V. mit seinem 34-jährigen Komplizen Mario S. über Jahre hinweg mindestens 40 Kinder sexuell missbraucht und dabei gefilmt haben. Die Opfer sollen zur Tatzeit zwischen drei und 14 Jahren alt gewesen sein. Die beiden Verdächtigen sowie ein 48-Jähriger aus dem niedersächsischen Stade sitzen in Untersuchungshaft. Außerdem wird gegen vier weitere Tatverdächtige wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch und Strafvereitelung ermittelt.

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