Süddeutsche Zeitung

Horn von Afrika:"Es geht jetzt nicht um Politik, es geht ums Überleben"

Lesezeit: 6 min

Von Isabel Pfaff

Man kann den Hunger riechen. Irgendwo im Hinterland ist der Geruch plötzlich da, dort, wo der salzige Duft des Meeres verschwindet und die Schirmakazien ihr letztes Grün verloren haben. Es riecht nach dem Aas, das die Straßen säumt. Ziegen, Schafe, Esel, manchmal ein Kamel. Einige Kadaver sind so dürr, dass sie sich kaum vom Boden abheben, andere sehen durch die Verwesungsgase aus wie aufgeblasen.

Asmahan Ahmed hat den beißenden Geruch seit Monaten in der Nase. 80 Schafe und Ziegen hat die Nomadin einmal besessen. Doch seit zwei Jahren hat es in Somaliland bis auf wenige Tage nicht geregnet, die Sträucher sind grau, die Erde rissig. Seither stirbt ein Tier nach dem anderen. Fünf Ziegen sind Asmahan Ahmed und ihrer Familie geblieben. "Ich habe eine solche Dürre noch nie erlebt", sagt sie.

Zuerst stirbt das Vieh, dann kommt der Hunger.

Viele Flüsse führen schon lange kein Wasser mehr.

Die Dürre am Horn von Afrika bedroht das Leben vieler Menschen, unter ihnen die Nomadin Asmahan Ahmed und ihre Kinder.

Trotzdem kommt die Hilfe - wie hier im Süden von Somaliland - nur spärlich.

Der Klimawandel trifft die Menschen in Somaliland besonders hart

Ein heißer Märzmorgen in Somaliland, jener Region am Horn von Afrika, die sich Anfang der 1990er von Somalia abgespalten hat. Viel Niederschlag gab es hier noch nie, in guten Jahren regnet es zwei Mal ein paar Wochen lang, im April und im Oktober. Die knapp vier Millionen Somaliländer kamen damit aus. Etwa drei Viertel von ihnen leben von der Viehzucht. Sie haben sich angepasst, ziehen mit ihren Tieren in immer neue Weidegründe und leben monatelang von dem Regenwasser, das sie in Auffangbecken sammeln.

Doch die Regenzeiten fallen immer öfter aus. Der Klimawandel trifft die Menschen hier so hart wie kaum irgendwo. Anders als im Südsudan oder in Jemen ist die Not in Somaliland nicht menschengemacht, im Gegenteil. Obwohl die internationale Gemeinschaft die Unabhängigkeit des Landes nicht anerkennt, haben die Bewohner hier in 26 Jahren einen recht gut funktionierenden Staat aufgebaut. Es gibt Wahlen, manchmal sogar einen Machtwechsel. Und es herrscht, im Gegensatz zum Rest Somalias, Frieden. Doch das Klima belohnt die Leistung der Somaliländer nicht. Es bedroht stattdessen ihr Leben.

Asmahan und ihre Familie leben vom Mitleid der Dorfbewohner

Asmahan Ahmed ist eine kräftige Frau, 36 Jahre alt, raue Stimme. Seitdem sie denken kann, zieht sie mit Ziegen und Schafen durch die staubigen Ebenen, auf der Suche nach dem bisschen Grün, das die Pflanzen hier hervorbringen. Sie liebt das Umherziehen, das Fleisch, die Milch, die Butter. Das Gefühl, auf eigenen Füßen zu stehen. "Jetzt müssen wir um Wasser und Essen betteln." Sie sitzt müde auf einem leeren Kanister, im Schoß ein winziges schlafendes Baby, manchmal rauscht hinter ihr ein Lastwagen vorbei. Vor einem Monat haben sie und ihr Mann entschieden, dass es nicht mehr geht. Ihre Vorräte waren aufgebraucht, die Tiere konnten kaum noch laufen, Asmahan war hochschwanger mit dem sechsten Kind.

Jetzt steht ihr mobiles Gehöft - vier Zelte, umgeben von einem Zaun aus Dornenzweigen - in Yirowe, einem Dorf im Zentrum von Somaliland, direkt an einer Straße. Außer ihren Ziegen haben sie nichts mehr, sie leben vom Mitleid der Dorfbewohner. Und sie sind nicht die einzigen, die vor dem Hunger fliehen. Täglich, erzählt Asmahan, kommen mehr Nomaden nach Yirowe. 1300 Familien leben normalerweise hier. In den vergangenen Monaten sind fast 500 dazugekommen.

Die Hungersnot 2011 kostete Hunderttausende Menschenleben

Auf den Karten der Vereinten Nationen (UN) ist die Region um Yirowe seit Februar orange eingefärbt - Hungerphase 3, Krisengebiet. Nur im schwer zugänglichen Osten von Somaliland geht es den Menschen noch schlechter, dort ist die Karte rot, Phase 4, "emergency". In ganz Somalia sind laut UN fast drei der zwölf Millionen Menschen akut vom Hunger bedroht. Vor Kurzem meldete die Regierung in Mogadischu die ersten Toten.

Daud Hersi, ein drahtiger Mann in weißem Kittel, schüttelt den Kopf. "Gestorben ist in Yirowe noch niemand", sagt er. Der Krankenpfleger leitet die kleine Klinik im Dorf, einen Arzt gibt es hier nicht. "In den letzten Wochen habe ich aber einige Kinder gesehen, die dem Tod nahe waren." An den Wänden der Klinik hängen Jahresübersichten, die Pfleger notieren mit schwarzem Filzstift, wie viele Kinder zu ihnen kommen und in welchem Zustand sie sind: 370 Kinder mit Anzeichen von Mangelernährung im Jahr 2016. 2017 waren es schon in den ersten beiden Monaten fast 300. "Die Lage ist schlimmer als 2011", sagt der Klinikchef. 2011, das war die bisher letzte Hungersnot am Horn von Afrika, in Somalia kostete sie etwa 260 000 Menschen das Leben.

Die Kinder, die zu Daud Hersi in die Klinik kommen, sind nicht nur schlecht ernährt. Viele leiden auch an Lungenentzündung, Hautkrankheiten oder Durchfall.

Krankheiten, die mit dem Wassermangel zu tun haben, mit schlechter Hygiene und dem vielen Staub. Auch die Haut der Kinder von Asmahan Ahmed ist wie von einem grauen Schleier überzogen. "Wenn ich zur Klinik gehe, sagen sie mir jedes Mal, dass meine Kinder zu wenig essen und trinken", sagt die Mutter. Sie spürt es selbst, wenn sie die Kleinen hochhebt, ihre Ärmchen anfasst.

Als Asmahan mit dem Baby in einem der Zelte verschwindet, schlurft ihr zweitjüngstes Kind, ein Mädchen, in viel zu großen Gummisandalen hinterher. Die Anderthalbjährige trägt nur einen rosa Pullover, sonst nichts, ihre nackten Beine sind mit Verbrennungswunden übersät, bis hinauf in den Genitalbereich. "Heißer Tee", sagt Asmahan. Sie hat keine Medikamente für das Kind, auch das Wasser zum Waschen ist knapp. Sie hofft einfach, dass die offenen Stellen trotz Staub und Schmutz heilen. Die Kleine lacht, lässt sich am Hals kitzeln. Erst als sie pinkeln muss, fängt sie an zu weinen, so sehr brennt es. Ihr Vater, ein stiller, sanfter Mann, nimmt sie sacht auf den Arm, setzt sich mit ihr in eines der Zelte und vertreibt die Fliegen aus ihren Wunden.

Die Hilfe reicht nicht, und sie kommt zu langsam an

Dörfer wie Yirowe haben eine immer größere Last zu tragen. Obwohl sie täglich neue Dürreflüchtlinge aufnehmen, bekommen sie nur wenig Hilfe von außen. In den Städten sammeln wohlhabende Somaliländer zwar Spenden und schicken Lkw mit Wasser, Reis und Mehl in die Provinzen. Doch die Hilfe reicht nicht, und sie kommt zu langsam an. Immer wieder sieht man liegen gebliebene Wasser-Trucks, die sich auf den Sandpisten festgefahren haben.

Auch professionelle Helfer werden nun aktiv. Zumeist sind es lokale Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Wasser und Lebensmittel verteilen, finanziert von internationalen Gebern. Doch die Mittel sind knapp. "Früher haben wir in Dürrezeiten viel Geld aus dem Ausland bekommen", sagt Abdirizak Bashir. Er ist Chef von Candlelight, der größten NGO des Landes. Diesmal sei es anders: "Unsere Partner sagen, sie haben nicht genug Geld für Somaliland. Andere Krisen saugen die gesamte Aufmerksamkeit auf."

Immerhin, gerade haben sie Mittel von der deutschen Kindernothilfe erhalten, um zehn Dörfer einen Monat lang mit dem Nötigsten zu versorgen: Mehl, Reis, Milch, süße Datteln für die Kinder. Und Wasser, Wasser, Wasser. Neben der Kindernothilfe hat noch eine zweite Organisation auf Bashirs Hilferufe reagiert. Seine anderen Partner haben abgelehnt.

Somaliland ist als Staat nicht anerkannt - Hilfe kommt nur indirekt an

Und die Regierung von Somaliland? "Wir tun, was wir können", beteuert Shukri Bandare. Die kleine Frau mit dem leuchtend weißen Kopftuch ist Umweltministerin. Sie kommt gerade von einer Sitzung des nationalen Dürre-Komitees und sitzt nun im Innenhof ihres Ministeriums in der Hauptstadt Hargeisa. Natürlich schicke man Wasser und Essen in die Dörfer, fast zwei Millionen Dollar habe die Regierung seit November für Nothilfe ausgegeben. Das sei viel bei dem winzigen Budget, das Somaliland zur Verfügung habe.

Tatsächlich hat die Regierung ein Geldproblem. Weil Somaliland als Staat nicht anerkannt ist, erhält es keine Mittel von anderen Ländern oder Organisationen. Hilfsgelder kommen hier nur indirekt an - über NGOs wie Candlelight. Natürlich sei das frustrierend, sagt Shukri Bandare, wenn das eigene Land in den Augen der Welt einfach nicht existiert. Viel schlimmer aber findet sie, dass die Welt nun auch die NGOs hängen lässt. "Es geht jetzt nicht um Politik", sagt Shukri Bandare, "es geht ums Überleben unserer Leute."

"Wenn ich Geld hätte, würde ich ihnen die Uniform kaufen, die Hefte und Stifte"

Zumal die Dürre das Land doppelt trifft: Nicht nur die Nomaden leben vom Vieh, auch die Regierung finanziert sich mehrheitlich über Steuereinnahmen aus dem Viehexport. Bis zu 75 Prozent der Staatseinkünfte hängen davon ab, dass es den Tieren im Land gut geht.

Immer mehr Somaliländer spüren, dass das Land umsteuern muss. Zu viele Menschen sind von der Viehzucht abhängig, zu viele geraten in Not, wenn der Regen mal wieder ausbleibt. "Wir versuchen es mit Bildung", sagt Abdirizak Bashir, der NGO-Chef. In Zeiten wie diesen, wenn die Nomaden in die Siedlungen fliehen, versuchen seine Mitarbeiter, die Kinder zum Schulbesuch zu überreden. Aus den Viehhirten sollen so Studenten, Handwerker, Geschäftsleute werden.

Doch auch das geht nicht ohne Unterstützung. Asmahan Ahmed würde ihre Kinder gern in die Schule schicken. "Wenn ich Geld hätte, würde ich ihnen die Uniform kaufen, die Hefte und Stifte", sagt sie. Doch Asmahan Ahmed hat kein Geld. Nur fünf dürre Ziegen und ein bisschen gespendetes Wasser.

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Quelle:
SZ vom 18.03.2017
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