Süddeutsche Zeitung

European-Championships-Rennen:Spitzensport und Blaskapelle

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Auf dem Weg zum Europameistertitel müssen die Radsportler bei 30 Grad auch den steilen Eurasburger Schloßberg hinauf. Für das Publikum gibt es bayerische Gemütlichkeit. Ein Bericht von einem zünftigen Sportevent.

Von Veronika Ellecosta, Eurasburg

Es könnte auch ein Volksfest auf dem Eurasburger Schloßberg sein. Die Menschen teilen sich den Sonnwendfeuerplatz mit Kühen, jenseits der Weide spielt die örtliche Kapelle. Unter den Zelten werden um elf Uhr vormittags die ersten Bierkrüge platziert und der Sportverein Eurasburg hat bereits den Grill angeschmissen. Hobbyradfahrer, die keuchend den Schloßberg hinauf strampeln, werden für ihre Mühe belohnt: mit einem grandiosen Blick ins Voralpenland, und mit Sportnahrung Wurstsemmel und Bier.

Aber der erste Eindruck täuscht. Hinter den Feierlichkeiten steckt mehr Radler als das Biermischgetränk. Die derzeit in München stattfindenden European Championships haben das Straßenradrennen der Herren auf Oberbayern ausgeweitet. 209 Kilometer verläuft die Strecke von Murnau, den Walchensee entlang, durch die Jachenau, über Bad Tölz und schließlich am Starnberger See entlang nach München. Um Mittag herum, zwischen 12.30 und 13 Uhr, passieren die Athleten den Schloßberg in Eurasburg - ein Höhepunkt der Strecke. Der Hügel geht zwar nicht als Bergstrecke durch, aber mit knackigen 18 Prozent Steigung wird er den Herren unweigerlich Schweiß aus den Poren treiben.

Ein gacher Berg sei das schon, bestätigt Sofie. Mit ihren beiden Freundinnen Tanja und Sabine ist die junge Frau aus Eurasburg - mit dem Rad - auf den Schloßberg gekommen, um sich das Rennen anzuschauen, die Stimmung zu genießen und ein bisschen mitzufeiern. Mit dem Rad sind alle drei auch gern in ihrer Freizeit unterwegs. Aber den Schloßberg, diesen gachen Berg, haben sie bisher noch nicht bezwungen. Ab der Kurve wird geschoben, lacht Tanja. Lieber nehmen sie die weniger steile Strecke über die Rückseite der Erhebung. Über diesen Weg sind auch Gertraud und Schorsch aus Degerndorf gekommen. Bald wird Gertraud 85, deshalb erlaubt sie sich das E-Bike. Vom Radsport versteht sie nichts - sie ist hier, weil sie einen schönen Sonntagsausflug machen will.

Dennoch wagen sich nicht wenige Hobbyradlerinnen und -radler auch heute an den Schloßberg heran. Noch bevor die Polizei die Strecke für das Peloton absperrt, kommen nassgeschwitzte und rotbackige Männer und Frauen auf dem Plateau an, fotografieren die Berglandschaft oder reihen sich in die wachsende Schlange für die Essensausgabe ein. Ein Radler hat sich in Tracht gekleidet und kombiniert Sport mit Tradition. Ein Hobbyteam aus München schießt eben noch ein Gruppenfoto, bevor sich die jungen Männer ebenfalls mit Getränken versorgen wollen. Sie sind hier, um neben dem Training auch ihre Idole anzufeuern, der Niederländer Fabio Jakobsen ist ihr Favorit. "Einmal bin ich abgestiegen", gibt einer von ihnen mit Blick auf die knackige Steigung vom Schloßberg zu. Aber es stehen bereits viele Leute an beiden Seiten der Straße und feuern an. Das motiviert, noch einmal alles zu geben, fügt er hinzu.

Die Stimmung ist gut, bestätigt auch Michael Gründl vom Burschenverein Eurasburg zufrieden. Gemeinsam mit dem hiesigen Sportverein ist er zuständig für die Feierlichkeiten am Sonnwendfeuerplatz, kümmert sich um Ausschank und darum, dass das Bier bei den 30 Grad kühl bleibt. Und besonders darum, dass die Feier heute ein "griabiges Beinandersein" wird, wie er sagt. Zwischen Schaulustigen, Radsportlern und Frühschoppen.

Mit dem Beinandersein vergeht die Zeit, die Blaskapelle verstummt vorübergehend und der Moderator kündigt das Peloton an. Noch sieben Kilometer fehlen den Athleten bis zum Schloßberg, man kann schon den Hubschrauber hören, der das Geschehen von oben begleitet. Auch bei den Gästen steigt die Hektik, die meisten verlassen die Zelte, um noch ein gutes Plätzchen im Schatten zu erhaschen, und sie reihen sich am Straßenrand auf. Alfons Schmidmeier, 83, erfahrener Rennradfahrer vom RSC Wolfratshausen, steht in kurzen Radlerhosen ebenfalls am Straßenrand. Er ist heute Morgen um neun bereits von Kochel bis hierher geradelt, zufrieden, aber noch etwas aus der Puste. Die Begeisterung im Publikum ist enorm, sagt er, viel besser als die Male, als er den Giro d'Italia und die Tour de France gesehen habe. Nur Aushänge zum Wettbewerb und Teilnehmerlisten vermisst er. Er beginnt, mit einem anderen Radsportler über die Positionierungen in der Spitzengruppe zu diskutieren. Dann verschwindet Schmidmeier in der Menge, er sucht einen guten Platz zum Zuschauen am Straßenrand.

Von diesem Moment an geht alles schnell: Polizeikonvois kündigen die Sportler an. Es wird gejubelt und gejohlt, als die Spitzengruppe mit Lukas Pöstlberger im österreichischen und Silvan Dillier im Schweizer Dress den Berg hinaufjagt und einige Zeit später das Hauptfeld hinterherradelt. Der Jubel hält an, bis auch der letzte Sportler den Sonnwendfeuerplatz passiert hat. In wenigen Minuten ist alles vorbei, die Menge löst sich langsam wieder auf. "Kommen Sie gut nach Hause", hallt noch die Abmoderation durch die Lautsprecheranlage. In München wird am Ende der Niederländer Fabio Jakobsen Europameister und in Eurasburg geht es zurück zum Volksfestpart.

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