Süddeutsche Zeitung

Volksbegehren Mietenstopp:"Wir brauchen eine Ruhepause"

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Mit Pathos und Paragrafen streiten Mieterschützer und Freistaat vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof, ob das Volksbegehren "Sechs Jahre Mietenstopp" nicht doch zulässig ist. Am 16. Juli wollen die Richter ihr Urteil verkünden.

Von Stephan Handel, München

Blau sind die Roben, dunkelblau der Samtbesatz darauf, und auch, dass neun Menschen am Richtertisch Platz nehmen, deutet darauf hin, dass nicht Alltägliches geschieht: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof tagt, das kommt nicht sehr oft vor. Da wird es schon mal ehrfürchtig im größten Gerichtssaal des Justizpalasts am Stachus.

Es geht an diesem Donnerstagvormittag um das Volksbegehren "Sechs Jahre Mietenstopp". Dafür haben sich SPD und Grüne zusammengetan, die Linke, Gewerkschaften, Sozialverbände, Mieterbund und Mieterverein. Sie haben einen Gesetzentwurf erarbeitet und um Unterstützung geworben, die ihnen 52 000 Bürger in Form ihrer Unterschrift auch gewährt haben. Der Gesetzentwurf sieht unter anderem ein Verbot vor, innerhalb bestehender Mietverträge die Miete zu erhöhen. Als die Initiatoren aber den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens einreichten - da sagte das Innenministerium: nein. Nicht zulässig.

In solchen Fällen, wenn also das Ministerium die Zulassung eines Volksbegehrens ablehnt, sieht das Gesetz zwingend vor, dass sich der Verfassungsgerichtshof die Sache noch einmal anschaut. Dafür sind sie zusammengekommen im Justizpalast: neun Richter, vier von Beruf, fünf andere, das sind Rechtsanwälte, eine Notarin, ein Richter am Landgericht a. D. Den Vorsitz hat Peter Küspert, er ist, wenn er sich nicht der bayerischen Verfassung annimmt, Präsident des Münchner OLG. Für das Ministerium sind Volkhard Spilarewicz und Cornelius Thum gekommen, ein Ministerialdirigent und ein Ministerialrat. Die Sache des Volksbegehrens vertreten Volker Rastätter, Geschäftsführer des Münchner Mietervereins, sowie zwei Professoren: Franz Mayer und Markus Artz, beide lehren Rechtswissenschaften an der Uni Bielefeld.

Mayer erhält als Erster das Wort, und er greift gleich zum großen Besteck: "Jede Verfassung", ruft er, "enthält auch eine Erzählung und eine Verheißung über eine bessere Welt. Eine Welt, wie sie sein sollte." Von da kommt er zwanglos zur Verfassung des Freistaats Bayern und deren Artikel 106: "Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung." Wer aber, so sagt Mayer, zum Beispiel in München eine Wohnung sucht oder Angst hat, seine Wohnung zu verlieren, der werde diesen Satz "nicht nur als Verfassungsfolklore lesen".

Mayers Kollege Markus Artz sagt zunächst, er sei ja Zivilrechtler, und als solcher blute ihm gewissermaßen das Herz, wenn in die Vertragsfreiheit, das Recht der Menschen, untereinander Verträge zu schließen, wie sie wollen, "mein geliebtes BGB", mit ordnungsrechtlichen, staatlichen Mitteln eingegriffen werde. Das sei aber, blutendes Herz hin oder her, hier notwendig: Der soziale Frieden sei gefährdet, wenn zum Beispiel "Lehrer, Ärzte, Krankenschwestern nicht mehr dort wohnen können, wo sie ihren Dienst tun, weil sie sich die Miete nicht leisten können". Und Volker Rastätter vom Mieterbund weist daraufhin, dass das Problem schon längst nicht mehr nur eines von Menschen mit geringem Einkommen ist: "Es ergreift immer größere Bevölkerungsschichten. Wir brauchen eine Ruhepause."

Volkhard Spilarewicz, der Ministerialdirigent, hält sein Eröffnungsstatement weitgehend frei von Pathos, was auch richtig ist, er hat das Ganze ja juristisch zu bewerten. Kurz gesagt: Das Recht der Mietverträge ist im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, und das ist Bundesrecht - das schließe eine eigene Gesetzgebungskompetenz Bayerns auf diesem Gebiet aus. "Ein Landesgesetz", sagt Spilarewicz, "kann nicht damit begründet werden, dass ein Land das Bundesgesetz für unzureichend hält."

Von da an wird's hochjuristisch, und zwar so sehr, dass die Zuhörer, unter ihnen auch Natascha Kohnen, die bayerische SPD-Chefin, nicht immer den Eindruck machen, sie würden alles verstehen. Hat nicht der Bund, als er 2015 das Gesetz zur Mietpreisbremse verabschiedete, die Länder in die Pflicht genommen, als er sie verpflichtete, per Verordnung jene Regionen festzulegen, die unter einem angespannten Mietmarkt leiden? Und zeige diese Beteiligung der Länder nicht, dass der Bund gerade nicht alles abschließend regeln wollte, sondern den Ländern Raum zur eigenen Gestaltung ließ? Nein, findet Ministerialdirigent Spilarewicz, das sei überhaupt nicht miteinander vergleichbar, schon deshalb, weil die Mietpreisbremse nur für Neuverträge gelte, während der Gesetzentwurf des Volksbegehrens ja auch in bestehende Verträge eingreife.

Ja, ruft Markus Arntz, aber es gebe doch auch andere Eingriffe in die Vertragsfreiheit zum Zwecke des Mieterschutzes, um das naturgemäße Ungleichgewicht zwischen Wohnungsbesitzer und Wohnungssuchenden auszugleichen. Und Franz Mayer meint, er finde nirgends, nicht in Gesetzen, nicht in Kommentaren, irgendetwas, das man als Sperre ansehen könne, einen Satz, der Bayern ein eigenes Gesetz verbieten würde. Seine Conclusio daraus ist wieder sehr hochstehend, bedeutet aber eigentlich: Wenn etwas nicht verboten ist, dann ist es erlaubt.

Von Berlin ist erstaunlicherweise wenig die Rede. Dort wurde ein Mietenstopp vor einiger Zeit beschlossen, mit sehr viel weitergehenden Regelungen als der bayerische Vorschlag. Dieses Berliner Gesetz liegt momentan beim Bundesverfassungsgericht, das soll überprüfen, ob es gegen Bundesrecht verstößt. Das bringt den Rechtsprofessor Mayer zu einem interessanten Appell an die bayerischen Verfassungshüter: Wenn diese, so Mayer, das Volksbegehren zuließen und Karlsruhe entscheide demnächst anders, dann wäre überhaupt nichts verloren, dann würde das Verfahren einfach gestoppt. Wenn die Bayern das Volksbegehren aber verbieten und Karlsruhe fände später das Berliner Modell zulässig - "dann hätten die bayerischen Mieter unendlich viel Zeit verloren". Also sollten sich die Damen und Herren in den blauen Roben doch einen Ruck geben.

Von einem Ruck ist zumindest während der Gerichtsverhandlung nichts zu sehen bei den Damen und Herren in den blauen Roben. Am Ende sagt Peter Küspert, der Vorsitzende, nur noch, dass ein Urteil am 16. Juli verkündet werden wird, in vier Wochen also, wie es das Gesetz vorsieht. Natascha Kohnen, die SPD-Chefin, schickt am Nachmittag eine Pressemitteilung des Inhalts, dass die Rechtslage komplex sei, dass der Staat, also Bayern, dennoch steuernd eingreifen müsse, weil viele Bürger nicht wissen, wie sie sich in Städten wie München eine angemessene Wohnung leisten können. Zum Ausgang des Verfahrens wagt Kohnen keine Vorhersage - nur so viel: "Für das Gericht gab es heute viele wichtige Denkanstöße."

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SZ vom 19.06.2020
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