Süddeutsche Zeitung

Ukrainische Gemeinden:Zwischen Krieg und Osterfrieden

Lesezeit: 4 min

Mitglieder der katholischen und der orthodoxen ukrainischen Gemeinden in München bereiten sich auf das Osterfest vor. Eine Herausforderung in Anbetracht des Krieges. Doch die vertrauten Traditionen sollen den vielen Geflüchteten Halt geben.

Von Andrea Schlaier

Nadia Halaburda ist ein Pop-up-Wunder. Innerhalb von zwei Minuten breitet sie auf dem schlichten Tisch im holzgetäfelten Pfarrsaal, in dem noch der Essensduft aus der angrenzenden Küche hängt, eine sehr alte und sehr kunstvolle Tradition ihrer Heimat aus: Pysanka, Eier, die in der Ukraine zu Ostern in Wachs-Batik-Technik nicht bemalt, sondern "beschrieben" werden. Unmöglich zu sagen, was hier mehr Ehrfurcht einflößt: die Akkuratesse der Zeichnungen oder die Angst vor einer falschen Bewegung. Vorsichtig bettet Halaburda die mitgebrachten vielfarbigen Schätze auf ein besticktes Tuch, für die kleine Präsentation hat sie sich eigens ihre "ukrainische Bluse" mit den indigoblau bestickten Ärmeln angezogen. "Am reinen Donnerstag, wie euer Gründonnerstag bei uns heißt, wurde bei uns das Haus geputzt und an diesem Tag wurden auch Pysanki geschrieben", erklärt sie.

Jede Region in der Ukraine hat ihre eigenen Motive. "In den Karpaten", erzählt die Künstlerin, "sind die Farben ganz hell, vor allem Gelb und Orange als Sonnenfarben, in der Westukraine gibt es überwiegend geometrische Symbole, und je mehr man in den Osten geht, desto ornamentaler werden sie." Nadia Halaburda lehrt die Technik in eigenen Workshops auch in ihrer Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche Maria Schutz und Hl. Apostel Andreas in Untergiesing, dem mit 2500 Mitgliedern größten kulturellen Zentrum der Münchner Ukrainer.

"Diese Tradition hat überlebt, obwohl sie wie alle religiösen Bräuche in der Sowjetzeit verboten war", sagt Halaburda. An der Wand gegenüber hängt ein Bild von Taras Schewtschenko. "Sänger der Freiheit" wird der ukrainische Nationaldichter auch genannt, im 19. Jahrhundert forderte er das Ende der russischen Gängelung und "Versklavung" der Ukraine. Seine Gedichte wurden während der Proteste auf dem Maidan 2014 gelesen. Ein Nationalheld, bis heute. In diesem unscheinbaren Pfarrsaal ist auch in Woche sieben des russischen Angriffskriegs alles Politik.

Neben Halaburda hat Lesya Shramko-Kerres Platz genommen, sie sitzt im Vorstand des Dachverbands ukrainischer Organisationen in Deutschland und hält außerdem ungeheuer viele Fäden in der Hand, hier, wo auch Sitz der Bischofskirche der Apostolischen Exarchie für Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien ist. Und wo nach julianischem Kalender gerechnet "Welykdenj", also Ostern, erst eine Woche später gefeiert wird, am 24. April.

Die beiden Frauen haben sich fürs Gespräch aus der Chorprobe ausgeklinkt, "Pokrow" heißt ihr Ensemble, das mit Konzerten durch ganz Europa tourt und laufend neue Mitglieder bekommt. "Fast jede Woche", hat Dirigent Wasyl Zakopets vor Probenbeginn erzählt, kommen neue Geflüchtete dazu. "Sie können hier mal ein, zwei Stunden abschalten, die Seele ein bisschen beruhigen." Bewusst werde nicht nach Kriegserfahrungen gefragt. "Man zeigt einfach Liebe", sagt Shramko-Kerres, "und dass sie willkommen sind."

"Christos Woskres", Christus ist auferstanden, dringt gedämpft vom Nebenraum herüber. "Wir alle leben gerade in mehreren Welten parallel", sagt Shramko-Kerres, die in München Politikwissenschaften studiert hat. "Wir haben unseren Job, den wir erfüllen müssen, weil wir davon leben. Wir finanzieren sehr viele Familien, Medikamente, Hilfsgüter. Parallel bekommen wir Nachrichten über die Ukraine, Verwandte, Freunde, gleichzeitig ruft jemand an und braucht eine Übersetzung oder Kontakte, dann kommen Interviews, Demos, man hat kein Wochenende, keine freie Zeit." Die Kirchengemeinde hat auch noch den Verein "München hilft Ukraine e.V." gegründet, der die unter dem Krieg leidenden Menschen mit Sach- und Geldspenden unterstützt. Es ist eine atemlos vorgetragene Liste.

Weil Shramko-Kerres aber überzeugt ist, dass zur Grundversorgung der Geflüchteten in München auch vertraute Traditionen zählen, organisieren die Gemeindemitglieder 500 Osterpakete, die am Ostersonntag vor der Kirche geweiht und verteilt werden. Die Zahl der Kirchenbesucher ist sprunghaft angestiegen, viele neue Gesichter, "sie sollen sich an Ostern nicht benachteiligt fühlen, wenn wir mit unseren großen Körben kommen". Drin ist alles, was Geschichte hat: "Krashanyk", rot gefärbte Eier, die das Blut Jesu symbolisieren, ein ungeschältes Ei, das so klein geschnitten wird, dass es für alle, die an einem Tisch sitzen, reicht. Dann goldbraunes Osterbrot aus Hefeteig, das "Babky", Frischkäse, Butter, Salz, Schinken, Wurst, frischer Meerrettich, geweihte Zweige und eine Kerze. Der zentrale Gottesdienst beginn am Ostersonntag um sechs Uhr und dauert vier Stunden.

Die Tür geht auf im Pfarrsaal, der Hausherr, Pfarrer Wolodymyr Viitovich, steckt den Kopf herein. Rote Augen, flackernder Blick. Kurz nach 21 Uhr. Wieder ein Tag ohne Pause. Ostern feiern in diesen Zeiten? "Für mich ist es schwierig, den Gottesdienst zu gestalten, weil, egal mit welchem Thema man sich auseinandersetzt, da sitzen Menschen vor dir, die mit sehr viel Leid und sehr viel Schmerz konfrontiert sind." Da jeden Sonntag Hoffnung und Trost zu predigen, sei schwer.

"Ich glaube, in dieser Zeit ist es wichtig, dass wir als Seelsorger einfach da sind, wo Menschen sind, offen für ihre Fragen, und ihnen das Gefühl geben, da ist jemand da, der dieses Leid noch trägt." Es ist besser eine Kerze anzuzünden, statt sich ständig über die Finsternis zu beklagen, wird einem später Viitovichs Chef, Bischof Bohdan Dzyurakh, schreiben und damit auf das Oster-Evangelium in der byzantinischen Tradition verweisen. "Können wir uns erlauben, in einer solchen Zeit Ostern ,normal' zu feiern?", fragt er. Menschen bräuchten auch "in dunkelsten Umständen ein Stück Normalität, um daraus die Kraft zum Überleben zu schöpfen".

Valentin Smoktunowicz teilt diese Überzeugung. Der Pfarrer der ukrainisch-orthodoxen Kirche mit Sitz in der Siedlung Ludwigsfeld betreut mehrere Gemeinden in und um München. Auch hier wird am 24. April Ostern gefeiert, mitten in der Nacht von 23 Uhr bis zwei Uhr. "Unsere Kirche ist klein, sie wird wieder überfüllt sein, manche müssen draußen bleiben. Nach dem Gottesdienst nehmen wir uns so viel Zeit, wie sie brauchen." Not wecke Glauben. "Die Menschen brauchen das jetzt. Sie können sonst nichts tun für die Ukraine und ihre Familien dort." In seiner Kirche gebe es die Tradition, dass Angehörige dem Pfarrer einen Zettel reichten, auf dem der Name eines nahen Menschen steht, für den gebetet werden solle. "Früher hatte ich in einem Gottesdienst 15 Zettel, jetzt sind es hundert."

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