Süddeutsche Zeitung

Moses-Mendelssohn-Medaille:Viel Herzenswärme für Rachel Salamander

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Luftküsse, Umarmungen, Applaus: Hunderte Gäste strömen zum Festakt im Alten Rathaus. Ein besonderer Abend in schwierigen Zeiten.

Von Jutta Czeguhn

Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Nelly Sachs, Hilde Domin oder die Berliner Salonnière Rahel Varnhagen, zu deren Kreis auch Dorothea Schlegel, die Tochter Moses Mendelssohns, gehörte. Sie alle dürfen nicht fehlen an diesem Dienstagabend im Festsaal von Münchens Altem Rathaus, wo Rachel Salamander die Moses-Mendelssohn-Medaille für ihr Lebenswerk verliehen wird. An ihrem 75. Geburtstag. Die Namen der großen jüdischen Literatinnen zieren Tischkärtchen auf den langen, festlich geschmückten Tafeln. Damit ist es ein wenig so, als wären auch sie zu Gast.

Eine von ihnen, die Lyrikerin Hilde Domin, konnte man in Salamanders Literaturhandlung ja noch erleben. So viele waren es im Laufe der vergangenen 42 Jahre, seit Rachel Salamander ihr Buchgeschäft in der kleinen Fürstenstraße 17 gegründet hatte. An der Saalwand läuft, wie bei einem familiären Dia-Abend, ein Erinnerungsstream: Rachel Salamander mit Marcel Reich-Ranicki, mit Hilde Spiel, mit Jürgen Habermas. Szenenapplaus, wenn einfach nur sie zu sehen ist, diese kluge, stets elegante Frau. Die vor 75 Jahren in einem Displaced-Persons-Lager in Deggendorf geboren wurde, die als Kind nur Jiddisch sprach, später Germanistik studierte. Und die es mit ihrer Fachbuchhandlung für Literatur zum Judentum vermochte, die Verbrannten, Ermordeten, Verjagten in Form ihrer Schriften, ihrer Worte wieder einzubürgern. In Deutschland. So hat sie es einmal formuliert.

Mehrere Hundert Menschen sind zum Festakt in den Ratssaal gekommen, das Geburtstagskind hat versucht, am Treppenaufgang alle mit Handschlag zu begrüßen: Charlotte Knobloch, OB Dieter Reiter, Israels Botschafter in Deutschland Ron Prosor, Michael Wolffsohn, Alt-OB Christian Ude, viele Stadträte, Kammerspiele-Intendantin Barbara Mundel, Schauspieler Stefan Hunstein, Vertreterinnen der Monacensia, der sie ihr Archiv vermacht hat und die das Preisgeld der Mendelssohn-Medaille bekommt, der Dichter Albert Ostermaier, der ihr zum 40. Geburtstag der Literaturhandlung einst eine Ode schrieb, Konzertveranstalter Marek Lieberberg.

Die meisten könne sie alle gar nicht namentlich begrüßen, obwohl ihr das Herz überlaufe, wird Salamander später in ihrer Rede bedauern. Einige "alte Freunde" nennt sie dann doch, ihre Laudatoren, den Vorstand der Moses-Mendelssohn-Stiftung und Ur-Ur-Enkel des großen Aufklärers, Julius H. Schoeps, und den Rechtsphilosophen Reinhard Merkel. Extra aus Berlin angereist ist der Historiker Dan Diner. Und dann ist da noch einer, über dessen Erscheinen sie sich besonders freut, Charles Schumann, dem sie einen Luftkuss zuwirft: "Bei ihm gibt's für mich immer ein Stück Heimat."

Heimat. Deutschland. In den Reden des Abends, aber auch an den Tischen, hört man große Besorgnis, jüdische Existenz ist wieder gefährdet. Wo bleibt die Hoffnung? Das Diplomatische Quartett mit Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, an der zweiten Geige, spielt zum Schluss Kurt Weills "Youkali". Ein Stück, das der Komponist 1934 auf der Flucht vor den Nazis im französischen Exil verfasste, über ein utopisches Land, in dem jeder willkommen ist. Ein zärtlicher, trotziger Tango.

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