Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Hundert Maßnahmen für weniger Müll in München

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Unverpackt-Wochenmarkt, "Wastefluencer" und Baustellen-Kontrollen: Mit solchen Ideen will München "Zero-Waste-City" werden und bis 2035 die Haushaltsabfälle um 15 Prozent reduzieren.

Von Andrea Schlaier

Das Sparziel reicht bis nach Österreich, zumindest bildlich gesehen: Bis 2035 sollen die Haushaltsabfälle in München um 15 Prozent pro Jahr sinken. Macht statt 366 Kilo (2019) dann 310 Kilo für jeden Einzelnen. Die Menge würde knapp 7000 Güterwaggons füllen, die von München bis Innsbruck, also auf einer Länge von bald 100 Kilometern, in der Schlange stehen.

Diese Rechnung hat am Dienstagmittag Kommunalreferentin Kristina Frank (CSU) aufgemacht, sie ist auch die Chefin des Abfallwirtschaftsbetriebes München (AWM). Gemeinsam mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) stellte sie das in ihrem Haus konzipierte Zero-Waste-City-Konzept für die Landeshauptstadt vor. Die Kommune soll keinen nicht verwertbaren Müll mehr produzieren. Dieses Ziel hat der Stadtrat vor zwei Jahren ausgegeben.

Der Status quo, der zuletzt vor der Pandemie in einer Statistik erfasst wurde, sei alles andere als "prickelnd", so Frank. 720 000 Tonnen "Siedlungsabfälle" produzierten die Münchner 2019, seit Corona nahmen die Mengen noch erheblich zu. 43 Prozent davon landeten in der schwarzen Restmüll-Tonne. Darunter sehr viel, was nicht hineingehört: Kleider, Kartons und auch "extrem viel Biomüll", listet die AWM-Leiterin auf. Dieser Restmüllanteil sei der "problematischste, weil er in die thermische Verwertung", sprich Verbrennung geht und damit auch den hehren Kreislauf der Wiederverwertung durchbricht. Wie also davon runter kommen, lautete die Aufgabenstellung des Stadtrats an die Adresse des AWM.

Aus Beratungen mit der Wissenschaft, konkret dem Wuppertal Institut, einer gemeinnützigen Forschungseinrichtung für Klima, Umwelt und Energie, dem Münchner Verein rehab republic für mehr Nachhaltigkeit sowie Münchnerinnen und Münchnern, die sich 2021 an entsprechenden Workshops beteiligt haben, ist ein Katalog mit 400 Maßnahmen erwachsen, die Franks Behörde auf 100 destillierte. Maxime: Vermeiden, wo immer es geht. Und was doch in die Tonne muss - bitteschön in die richtige stecken.

Die Handlungsfelder erstrecken sich letztlich über alle Lebensbereiche: Die städtischen Referate und Eigenbetriebe rechnet Frank auch dazu, hier soll 50 Prozent weniger Müll produziert werden. Einwurf vom Oberbürgermeister: "Ausgedruckte Mails zum Beispiel sind nicht die Idee von Digitalisierung. Aber gelebte Praxis." Im Gewerbebereich brauche es eine systematischere Erfassung von Abfällen aus der Produktion und mehr Wiederaufbereitung. Gleiches gelte im Grunde für den Bausektor.

"Wir haben im Moment keine Daten," sagt Frank. "Das Gewerbe kann sich aussuchen, wer seinen Müll abholt, meistens der günstigste Anbieter." Reiter denkt laut über eine "Regulatorik" nach und Vergaberichtlinien als kommunale Gestaltungsmöglichkeit. Im Bausektor schwebt Franks Haus außerdem die Erfassung von Münchner Bauschuttmaterialien vor - auch in einer sogenannten Baustoff-Bibliothek, die aufzeigt, "wie die Stoffströme verlaufen", was abtransportiert wird und wohin. Und welche Materialien wiederverwendet werden können. Für Frank ist das eine von "40 Top-Maßnahmen".

Auch "Wastefluencer" in sozialen Medien soll es geben

Zu diesem Paket gehört auch die Erweiterung des Gebrauchtwarenkaufhauses Halle 2, das Pop-up-Läden in anderen Quartieren erhalten soll, eine bessere Aufklärung in möglichst vielen Sprachen über eine "Zero-Waste-App", der Pilotversuch ab 2024 mit der gelben Tonne für Verpackungsmüll und probeweise die Einführung eines Unverpackt-Wochenmarktes. Wie auf der Wiesn solle künftig bei Events der Stadt und auf städtischen Flächen auf Mehrweggeschirr geachtet werden, bis hin zum Marathon. Zero-Waste-Schulen, probeweise mal ein Straßenzug, wo sich alle Nachbarn der Idee verschreiben, Großwohnanlagen, Plattformen für Textilien-Kreisel, selbst "Wastefluencer" in sozialen Medien soll es geben.

An diesem Donnerstag stimmt der Kommunalausschuss im Stadtrat über das detailreiche Konzept ab. "Meine Stimme haben sie schon", die seiner Fraktion auch, sagt Reiter zu Frank bei der ersten gemeinsamen Pressekonferenz der beiden. 1,8 Millionen Euro soll die Umsetzung mit Start 2023 kosten. Fünf bis sieben Stellen bräuchte es noch für eine Fach-Gruppe, drei davon direkt an die AWM-Leitung angeschlossen, sagt Frank.

Bei all dem Kreislaufeifer taucht bei der Pressekonferenz dann noch die Frage auf, ob es nicht so ist, wie manch einer befürchtet: Die Münchner sortieren und sortieren, und am Ende wird alles zusammengeschüttet? Leidenschaftliche Gegenwehr der Kommunalreferentin: Alles bleibe in der angelegten Spur. Einzige offene Flanke sei der Verpackungsmüll, für dessen Entsorgung in Deutschland per Gesetz das privatwirtschaftliche Duale System zuständig ist. "Ich kann für die nicht sagen, wohin das Plastik geht, weil die darüber keine Auskunft geben."

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