Süddeutsche Zeitung

Ausnahmezustand im Wohnungsamt:Hunderte Geflüchtete warten stundenlang vor der Behörde

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Manche haben Decken dabei, andere sogar Campingstühle: In Ramersdorf stehen Menschen aus der Ukraine in langen Schlangen, um sich das ihnen zustehende Geld auszahlen zu lassen. Denn das Wohnungsamt ist völlig überlastet.

Von Bernd Kastner und Nadja Tausche

Seit vier Uhr morgens steht Maria Tkachenko in der Schlange. Wie die anderen Ukrainerinnen und Ukrainer hier will sie Kleidung abholen, Geld und einen Krankenschein, den sie beim Arzt vorlegen kann, falls es nötig ist. Die Menschentraube reicht bis weit vor das Gelände des Amtes für Wohnen und Migration in der Werinherstraße in Ramersdorf. Es ist Dienstagmittag, viele stehen seit Stunden hier, es dürften Hunderte sein. Manche haben sich Decken um die Schultern gewickelt, an einem Stand verteilen Ehrenamtliche Tee und Kakao. Die Menschen stehen an, um sich Bargeld auszahlen zu lassen, das steht ihnen als Geflüchteten zu. Allein, sie brauchen viel Geduld.

Tkachenko ist mit ihrer vierjährigen Tochter aus der Ukraine geflohen, seit eineinhalb Wochen ist sie in München, untergekommen ist sie bei Bekannten. Ihr Mann sei noch in der Ukraine, erzählt sie, auch ihre Eltern sind in der Stadt in der Nähe von Kiew geblieben, die Mutter ist Ärztin. Sie selbst wolle heim, sobald sie könne, erzählt Tkachenko: "Am Anfang haben wir gehofft, dass das in ein oder zwei Wochen ist", sagt sie auf Englisch. Nun aber wisse sie nicht, wie lange sie in München bleiben werde, "das ist das Deprimierendste an der Situation". Sie werde ihre Tochter bald im Kindergarten anmelden: "Wir versuchen jetzt einfach, unser Leben zu organisieren."

Das Wohnungsamt bearbeitete allein am Montag 900 Anträge

Dass die Menschen so viele Stunden in der Kälte ausharren müssen, nennt Simone Schneider eine "Katastrophe". Sie steht mit einer ukrainischen Mutter und deren Kind in der Schlange, Schneiders Bruder hat die beiden aufgenommen. Die Gruppe hat einen Campingstuhl dabei, seit halb sechs sind sie da. Schneider hat morgens erst mal 60 Semmeln gekauft und verteilt, erzählt sie, "die waren sofort weg". Die Reihenfolge in der Schlange werde kontrolliert, das klappe gut, sagt sie: Wer drängeln wolle, werde zurückgeschickt.

Freiwillige unterstützen die Wartenden, Valeria Jasarevic verteilt heiße Getränke. Sie engagiert sich in einer Nachbarschaftshilfe und sagt: "Ich bin hier, weil ich helfen will." Das Angebot werde sehr gut angenommen. Jakob, der sich in einem Flüchtlingsverein engagiert und nur seinen Vornamen in der Zeitung lesen will, wünscht sich mehr Unterstützung: "Uns geht das heiße Wasser aus", sagt er, "es wäre schon gut, wenn die Stadt da mehr machen könnte." Das Wasser für den Tee bringen an diesem Tag Leute vom Kindergarten nebenan, auch Mitarbeitende der Firma gegenüber helfen aus.

Den Ausnahmezustand im ohnehin notorisch überlasteten Wohnungsamt illustrieren zwei Zahlen, die Sozialreferentin Dorothee Schiwy nennt: Normalerweise würden durchschnittlich 50 Unterstützungsanträge von Flüchtlingen bearbeitet - pro Woche. Allein an diesem Montag hingegen waren es 900. Seit 8. März habe man 1700 Haushalte versorgt. Nun versucht man gegenzusteuern. Die Zahl der Beschäftigten in der zuständigen Stelle habe man erhöht. Und von diesem Mittwoch an sollen nur noch die Geflüchteten in die Werinherstraße kommen, die in einem Hotel oder einer Notunterkunft übernachten. Nun sei ein Termin nötig.

Das Wohnungsamt sagt, es stehe mit den Unterkünften in Kontakt, von dort aus bringe man die Menschen mit Bussen zum Amt. Wer privat untergekommen ist, soll in das jeweilige Sozialbürgerhaus gehen. Pro Familie müsse nur eine Person aufs Amt, aber die Pässe von allen anderen Angehörigen müsse man vorlegen. Und ganz wichtig: Aufs Münchner Amt sollen nur die Geflüchteten kommen, die in München wohnen. Zuletzt seien immer wieder welche aus anderen Kommunen in der Schlange in Ramersdorf gestanden.

Im Wohnungsamt erhalten die Menschen die ihnen zustehenden Leistungen. Ihre finanzielle Unterstützung richtet sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie das Sozialreferat mitteilt. Sie erhalten bar ausgezahlt, was im Amtsdeutsch "Regelbedarf" heißt. Das sind für einen alleinstehenden Erwachsenen maximal 367 Euro im Monat, Minderjährige erhalten bis zu 326 Euro.

Erstattet werden auch Kosten für die Miete, sofern die Gastgeber in München überhaupt etwas verlangen. Wer Kleidung benötigt, bekommt auch dafür Geld. Eine rückwirkende Auszahlung sei laut einem Sprecher nicht möglich, entscheidend sei der Tag der Antragstellung. Den Antrag könne man vorab online stellen, und später, mit Termin, zum Amt gehen.

"Ich habe einfach meinen Rucksack genommen und bin gegangen", erzählt ein Geflüchteter

Wer privat untergekommen ist, darf in München bleiben. Wer einen Platz in einer Notunterkunft braucht, muss damit rechnen, bald weitergeschickt zu werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte bei einem Besuch am Hauptbahnhof, dass die Menschen in den Notquartieren nach dem üblichen Schlüssel für Flüchtlinge in Bayern verteilt würden. Wer sich bei der Regierung von Oberbayern registriert hat, werde laut einem Sprecher schon jetzt in Quartiere an anderen Orten im Bezirk geschickt.

In München steht am Dienstag auch Mawuli Mensah in der Schlange - ganz hinten. Er brauche Kleidung und Geld dringend, sagt er: Er habe kaum etwas dabei, weil er überstürzt aus Dnipro in der Landesmitte aufgebrochen sei, dort habe er gewohnt. Es sei schwierig geworden, aus der Stadt wegzukommen, "ich habe einfach meinen Rucksack genommen und bin gegangen".

Seit Sonntag ist er nun in München, derzeit übernachtet er in einer Halle. Welche das ist, weiß er auch nicht genau. Sein Gefühlszustand? "Erleichtert", sagt er: Er sei einfach froh, aus der Ukraine draußen zu sein. Möglich war das, weil er ursprünglich nicht von dort stammt. Während ukrainische Männer das Land nicht verlassen dürfen, hätten Ausländer die Option auszureisen, sagt Mensah.

Alexandra Kachioni, die ein paar Meter vor Mensah steht, erzählt, wie schwer die Situation für sie ist: Ihre Kinder und ihre Eltern seien noch in der Ukraine, sie versuche jetzt, sie nach Deutschland zu holen. Untergekommen ist sie bei ihrem Cousin Simon Swadzba, der seit 19 Jahren in Deutschland lebt: "Ich helfe meiner Familie herzukommen", sagt er.

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