Süddeutsche Zeitung

Ausgrenzung im Alltag:Wie Betroffene mit Diskriminierung umgehen

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Seit 30 Jahren kämpft der Verein "Lichterkette" gegen Ausgrenzung. In mehr als 100 Interviews berichten nun Menschen von ihren Erfahrungen - und ihren Strategien gegen den Hass.

Von Andreas Schubert

Vor 30 Jahren, nach den ausländerfeindlichen Pogromen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen sowie den rassistischen Morden von Mölln, gingen am 6. Dezember 1992 in München 400 000 Menschen auf die Straße und setzten mit einer Lichterkette ein international beachtetes Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Der kurz darauf gegründete Verein "Lichterkette" engagiert sich bis heute mit zahlreichen Projekten für die Bekämpfung von Rassismus und für ein friedliches Miteinander. Unterstützt wird er dabei unter anderem von der Stadt München.

Doch von einem Jubiläum will der Verein nicht sprechen. Rassismus, Diskriminierung und Hass gegen Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund und gegen Minderheiten sind längst nicht aus der Welt verschwunden. Besonders in den sogenannten sozialen Netzwerken, aber auch auf der Straße, werden Menschen aufs Übelste beschimpft und bedroht. Und sie werden nicht nur verbal angegriffen, wie die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" oder der Mordanschlag von Hanau in jüngerer Vergangenheit zeigten.

Nun will der Verein wieder ein deutliches Zeichen setzen: Am Donnerstag hat er die Kampagne "Mensch. Deutschland. 30 Jahre Lichterkette e. V." vorgestellt. Diese fordert dazu auf, keinen Menschen auszugrenzen und Unterschiedlichkeit nicht als Bedrohung, sondern als Gewinn zu begreifen.

Dazu erstellt der Verein in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma Lupa Film mehr als 100 Interviews mit Menschen jeden Alters aus unterschiedlichen sozialen, religiösen und kulturellen Milieus und mit den verschiedensten Biografien. Was diese Menschen eint, ist die alltägliche Erfahrung von Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zu Gewalt. Alle berichten von ihren individuellen Strategien, damit umzugehen. Vom 6. Dezember an werden die Videos auf allen gängigen Kanälen im Netz als "digitale Lichterkette" nach und nach ausgespielt.

Zwei Münchnerinnen haben bei der Präsentation am Donnerstag von alltäglichen Diskriminierungen berichtet. Lise-Christine Kobla Mendama, die als Rapperin und Model unter dem Künstlernamen Queen Lizzy auftritt und in der Afro-Jugend München aktiv ist, wegen ihrer Hautfarbe; die Studentin Feriha Ipek Akti wegen ihres Kopftuchs. Beleidigungen, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln, bekommen sie von Menschen zu hören, die sonst freundlich auftreten und nach der hiesigen verbreiteten Vorstellung als "ganz normal" gelten. Es sind solche Biederleute, die etwa in der AfD ihre politische Heimat finden. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der ebenfalls zur Vorstellung der Kampagne gekommen war, will diese Partei nicht einmal beim Namen nennen. Auch er habe damals in der Lichterkette gestanden, erzählt er. Dass man 30 Jahre später immer noch über diese Themen reden müsse, habe er damals nicht geglaubt.

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