Süddeutsche Zeitung

Debatte um Doktorarbeit:Ermittlungen gegen Münchner Arzt wegen Plagiatsaffäre

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Einem Rechtsmediziner wird vorgeworfen, Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Doch dann zeigt sich: Die vermeintliche Originalquelle ist wahrscheinlich fingiert. Wer steckt dahinter?

Von Hanno Charisius

Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in der Plagiatsaffäre um den Rechtsmediziner Matthias Graw gegen einen Mann aus München. Eine Sprecherin bestätigte auf Anfrage, dass ein Verfahren "gegen Herrn Z." geführt werde wegen Urkundenfälschung, Verleumdung, Urheberrechtsverletzung und Betrugs. Der Münchner Merkur nennt den Beschuldigten Otto Z. Dieser habe mutmaßlich einen wissenschaftlichen Tagungsband gefälscht, mit dem Graw in Verruf gebracht werden sollte.

Ein Kapitel in dem fast 400-seitigen Buch in englischer Sprache liest sich wie eine Vorlage zu Graws Doktorarbeit, die dieser 1987 an der Universität Hamburg eingereicht hatte. Einige Formulierungen und Datenreihen in beiden Werken gleichen sich bis in Details. Im Juli hatten die Plagiatsgutachter Stefan Weber und Martin Heidingsfelder deswegen Plagiats-Vorwürfe gegen Matthias Graw erhoben, den Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

Nachdem sich im Oktober Hinweise häuften, dass es sich bei dem Tagungsband mit dem Titel "Colchicine - 100 Years of Research" wahrscheinlich um eine Fälschung handelt, zog Weber seine Vorwürfe zurück, entschuldigte sich bei Graw und zahlte nach eigenen Angaben das Honorar an den Auftraggeber zurück. Dieser hatte Weber und Heidingsfelder im Frühjahr mit der Begutachtung der Doktorarbeit Graws beauftragt und ihnen auch den mutmaßlich fabrizierten Sammelband zugespielt. Der Merkur bezeichnet Z. als Auftraggeber der Plagiatssuche. Weber bestätigt die Identität des Auftraggebers nicht, er ist vertraglich zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Ein anderer Zeitungsbericht, der im August nach den Plagiatsvorwürfen in der Bild erschienen war, weist darauf hin, dass es zuvor zwischen Z. und Graw zu Verwerfungen gekommen war. In dem Bild-Text wirft ein Allgemeinmediziner, der darin Otto C. genannt wird, der Münchner Rechtsmedizin vor, dass dort ein Goldzahn seiner verstorbenen Mutter verschwunden sei. Die Frau starb im Juni 2020 in ihrer Wohnung. Otto C., den die FAZ als Otto Z. identifiziert, stellte den Totenschein selbst aus, als Arzt sei er dazu berechtigt.

Aufgenommen wurde das Verfahren aufgrund einer Strafanzeige

Nach Bild-Darstellung wurde der Bestatter misstrauisch, schaltete die Polizei ein, die eine Obduktion der Verstorbenen in der Rechtsmedizin anordnete. Gegen C. alias Z. wurde wegen Verdachts des Totschlags ermittelt. Bei der Obduktion stießen die Ärzte unter anderem auf das Pflanzengift Colchicin. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch wieder ein, da eine direkte todesursächliche Beteiligung der nachgewiesenen Arzneistoffe nicht belegt werden konnte und eine natürliche Todesursache angesichts des Alters der Verstorbenen und ihrer Vorerkrankungen als plausibel angesehen wurde. Und dann kommt Z. mit dem Goldzahn-Vorwurf. Bild zeigt ihn mit einem Foto seiner Mutter vor dem Gebäude der Münchner Rechtsmedizin. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist Z. in die versiegelte Wohnung seiner Mutter eingedrungen, weswegen derzeit ein Berufungsverfahren am Oberlandesgericht in München läuft.

Ob Z. wirklich hinter dem Rufmordversuch gegen Rechtsmediziner Matthias Graw steckt, ob er den Tagungsband gefälscht hat und ob er alleine war, das versuchen die Ermittlungsbehörden nun zu klären. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen, heißt es von der Staatsanwaltschaft. Aufgenommen wurde das Verfahren aufgrund einer Strafanzeige und der allgemeinen Berichterstattung über den spektakulären Plagiatsfall.

400 Seiten zu fabrizieren und zu einem Buch zu binden, das aussieht wie ein Sammelband mit Beiträgen einer wissenschaftlichen Tagung zu Colchicin, dem Gift der Herbstzeitlosen - da muss jemand erstaunlich viel Energie hineingesteckt haben. Die zwölf Aufsätze darin, die sich wie Fachartikel lesen, wurden womöglich aus anderen Texten zusammenmontiert, Plagiatsgutachter Weber jedenfalls stieß bei einer tiefergehenden Analyse des gesamten Buches im Oktober auf viele mutmaßlich aus anderen Quellen zusammengetragene Passagen.

Das letzte Kapitel, das starke Ähnlichkeit zur Doktorarbeit von Matthias Graw aufweist, hatte Weber bereits zuvor eingehend geprüft. Es lese sich "wie eine absolut seriöse biochemische Untersuchung", hatte Weber der SZ erklärt. Auch zwei Mediziner, die er um Prüfung des Kapitels gebeten hatte, hegten keine Zweifel an der Echtheit. Webers Vermutung: Jemand hat Teile der Doktorarbeit von Matthias Graw ins Englische übersetzt, hat Datenreihen kopiert und zu einem plausibel klingenden Fachartikel zusammenmontiert und zusammen mit den anderen Texten zu einem Buch gebunden, das laut Impressum 1982 in Leipzig gedruckt worden sein soll, aber ziemlich sicher weit jünger ist. So sollte der Eindruck erweckt werden, Graw hätte abgeschrieben. Dass er den Fake nicht früher durchschaut habe, sei ein "Desaster für die Plagiatsforschung", so Weber.

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