Süddeutsche Zeitung

Olympia-Attentat von 1972:Ankie Spitzer sagt München-Besuch ab

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Die Hinterbliebenen-Sprecherin will nicht nach Deutschland reisen, solange die Entschädigungsfrage nicht geklärt ist. Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle zeigt Verständnis und spricht von "Staatsversagen".

Von Roman Deininger und Uwe Ritzer

Es ist ein herber Rückschlag im Bemühen von Stadt und Freistaat, die Feierlichkeiten zu den Olympischen Spiele von München pietätvoll mit dem Gedenken an die Opfer des palästinensischen Attentats auszubalancieren: Ankie Spitzer, Witwe des bei dem Anschlag auf das israelische Olympiateam 1972 ermordeten Fechttrainers Andrei Spitzer und Sprecherin der Hinterbliebenen, hat aus Verärgerung über die Bundesrepublik einen für diese Woche geplanten München-Besuch kurzfristig abgesagt. Die 76-Jährige will nicht nach Deutschland reisen, so lange die Frage einer finanziellen Entschädigung für die Angehörigen nicht geklärt ist.

Eigentlich sollte Spitzer auf Einladung von Ludwig Spaenle (CSU), dem Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Staatsregierung, an diesem Dienstag in der Ludwig-Maximilians-Universität bei einer Gedenkveranstaltung sprechen. Für Mittwoch war ein Auftritt mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an der Gedenkstätte im Olympiapark geplant. Beide Termine wurden am Montag abgesagt. Spaenle zeigte Verständnis für die Haltung von Ankie Spitzer und verlangte, dass "die Bundesrepublik Deutschland die Mittel für eine gerechte Entschädigung der Opfer und ihrer Angehörigen bereitstellt". Auch sei es an der Zeit, dass Deutschland "das Versagen des Staates bei dem Attentat endlich einräumt".

Die Hinterbliebenen warten seit 50 Jahren auf eine Entschuldigung

Bis heute sind behördliche Akten gesperrt, und nie gab es eine umfassende historische oder politische Aufarbeitung der Vorgänge vom 5. und 6. September 1972. Damals brachte ein Terrorkommando der Organisation "Schwarzer September" im olympischen Dorf Athleten, Betreuer und Kampfrichter aus Israel in seine Gewalt. Der Versuch, damit die Freilassung von 328 inhaftierten palästinensischen Gesinnungsgenossen zu erpressen, scheiterte. Die Geiselnahme endete in einem Massaker auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Bei dem Anschlag starben elf Israelis und ein deutscher Polizist. Trotz gravierender Versäumnisse und Fehler der Polizei und der Behörden wurde nie ein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen.

Seit 50 Jahren warten die Hinterbliebenen ebenso vergeblich auf eine Entschuldigung für dieses Versagen, wie auf eine angemessene finanzielle Entschädigung. In einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verlangte Ludwig Spaenle bereits im Juni, den Überlebenden und Angehörigen der Opfer Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Konstantin von Notz, grüner Fraktionsvize im Bundestag, sagte der Mediengruppe Bayern, der staatliche Umgang mit dem Attentat, den Opfern und Hinterbliebenen sei bis zum heutigen Tag "unsensibel und völlig unzureichend". Die Bundesregierung arbeite "intensiv daran, dass weitere Entschädigungen an die Familien gezahlt werden könnten".

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