Süddeutsche Zeitung

Verein Music Connects:Beats, Bass und Perspektiven

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Jochen Manggold begleitete einen umgebauten Truck in eine Flüchtlingssiedlung in Uganda. Unzählige Arbeitsstunden hat er investiert, um Menschen mit Musik Abwechslung und Lebensmut zu geben.

Von Sabine Buchwald, München

Die Idee wurde an einem Küchentisch geboren. An einem Ort, wo sonst Essen und Trinken dominieren. An jenem Abend aber füllte die Idee von einem Musik-Truck den Raum. Das war im Dezember 2019. Corona war damals nur eine Biermarke und für Jochen Manggold Afrika ein noch unbekannter Kontinent. Vieles hat sich seitdem verändert.

Auch für Jochen Manggold. Er hat bei dem Bau des Musik-Trucks mitgeholfen und den nördlichen Teil von Uganda kennengelernt. Dort gibt es den umgebauten Lastwagen nun tatsächlich. Er fährt durch die zweitgrößte Flüchtlingssiedlung der Welt, genannt Bidi-Bidi. Aus einem gebrauchten Lkw wurde eine mobile Bühne, ein Tonstudio, eine Musikschule und eine Anlaufstelle für die Bewohner dieser Gegend.

Es sind überwiegend Flüchtlinge aus dem Süd-Sudan und einige Einheimische aus Uganda, für die der Musik-Truck seit Herbst vergangenen Jahres zum Arbeitsplatz und Lernort geworden ist. Und manchmal wird er zu einer Open-Air-Disco, in deren Schatten man einfach nur Spaß haben kann. Die Leute stehen vor dem Truck und tanzen zur Musik, erzählt Jochen Manggold. Im Oktober war er zehn Tage in Uganda, zusammen mit den Initiatoren des Projektes, den Mitgliedern des Münchner Vereins Music Connects. Aus ihren Reihen stammt der initiale Gedanke, entstanden am Küchentisch. Jochen Manggold, 33, haben sie über einen Aushang an der Hochschule München gefunden.

Ein Blick auf das Schwarze Brett, das klingt heutzutage wie Einkaufen im Tante-Emma-Laden. Aus dem vergangenen Jahrhundert. Altmodisch. Aber so hat Manggold den Verein Music Connects und das Thema seiner Masterarbeit gefunden. "Ich wollte etwas machen, was nicht einfach nur in der Schublade landet", sagt er. Manggold hat früher selbst mal Posaune gelernt und in der Bigband seiner Schule gespielt. Er weiß also, wie schön es sein kann, gemeinsam Musik zu machen.

Manggold ist kein junger Student mehr, der nach Lebenserfahrung giert. Er war auf Reisen in Südamerika und Asien, von Afrika hatte er nur ein vages Bild im Kopf. Manggold ist Vater einer zweijährigen Tochter und arbeitet schon seit Jahren bei einer Autofirma als Projektleiter für strategische Personalplanung. Seinen MBA zum Wirtschaftsingenieur hat er in drei Jahren neben Familie und Beruf gemacht. Seine Aufgabe zum Ende seines Studiums war, das Projekt "Lab Uganda" zu dokumentieren. Vom Ankauf des Wagens, über dessen Umbau, den Transport und Einsatz in Uganda. Aber er hat mit allen seinen Möglichkeiten auch mitgeholfen.

Es fällt Manggold schwer, zusammenzuzählen, wie viele Stunden es am Ende waren, die er am Telefon hing oder bei Vereinssitzungen mitdiskutierte. 200, 300 Stunden, vielleicht mehr, Manggold kann nur schätzen. Und dann musste ja auch die Masterarbeit geschrieben werden. Es war eine unglaublich arbeitsintensive Zeit, sagt er und wirkt selbst überrascht, wie weit ihn "pure Begeisterung" tragen kann. "Ich habe erlebt, was alles geht, wenn man sich voll engagiert."

Seine Masterarbeit wäre eine gute Blaupause für einen weiteren Truck. Man könne bei ihm nachlesen, sagt Manggold, wie es gehe, einen leeren Lkw in ein volles Musiklabor zu verwandeln. Was es alles brauche, um so eine Idee zu realisieren. Unzählige Anrufe bei Firmen etwa, die es zu überzeugen gilt, Material zum Einkaufspreis herzugeben. Um Kosten zu sparen, damit die Gehälter der Helfer in Afrika vielleicht länger bezahlt werden können.

Seitenweise hat Manggold das Inventar aufgelistet, mit dem die Metamorphose möglich wurde. Schrauben, Kabel, Holzplatten, aber auch zwei Generatoren, die sogar Starkstrom liefern können. Dazu Instrumente verschiedener Art. Viele sind über Spenden dazugekommen. Mehrere Gitarren, zwei Keyboards mit Computern, ein Schlagzeug, große Trommeln, Trompeten und Posaunen sind nun im Equipment.

Music Connects arbeitet in Uganda mit dem englischen Verein "Brass for Africa" zusammen. Sie sorgen dort für die Musiklehrer und organisieren die Fahrten des Trucks. 15 Menschen haben durch das Projekt Arbeit gefunden. Keine Europäer, nur Einheimische. Als anerkannte NGO darf Brass for Africa anders agieren als der Münchner Verein. Sie haben eine offizielle Zulassung als NGO des UNHCR.

Die Listen von Manggold waren von großem Wert, als das Musikmobil von Bremerhaven nach Kenia verschifft wurde. Dem Zoll dürfte seine Akribie gefallen haben wie auch dem Auswärtigen Amt, von dem 250 000 Euro Fördermittel für das Projekt kommen. Wie schön wäre es, wenn seine Arbeit nicht in irgendeiner Schublade verschwindet. Manggold hofft, dass sie für den Verein oder andere Organisationen eine Hilfe sein wird.

Man hätte gerne mit eigenen Augen gesehen, wie die Menschen in Bidi-Bidi auf das fahrbare Musiklabor reagieren. Die emotionale Schilderung von Manggold lässt ahnen, dass der Zuspruch groß ist. Etwa 16 Stunden dauert die Fahrt über staubige Straßen von Kampala, wo Manggold und die Münchner Vereinsmitglieder im Oktober landeten, in die Flüchtlingssiedlung.

Hier leben auf 250 Quadratkilometern etwa 243 000 Menschen. In festen Hütten, nicht in Zelten, erzählt Manggold. Sie seien überaus offen empfangen worden. Ein angenehmes Gefühl, in so viele freundliche Gesichter zu schauen. "Die Freude mitzuerleben, den Menschen mit der Musik eine Abwechslung und eine Perspektive zu geben, diese Intensität zu erleben, das ist Wahnsinn."

Annette Davidson und Geoffroy Schied waren gerade noch einmal in Bidi-Bidi. Erst vor ein paar Tagen sind sie zurück gekommen. Die Eindrücke von Davidson, studierte Germanistin und als Logistikerin bei DHL tätig, sind noch ganz frisch. Auf die Frage, wie es denn laufe mit dem Musikmobil, antwortet sie umgehend: "Viel besser als erwartet. Der Truck wird geflutet von Menschen. Es wollen so viele mitmachen." Der Truck steht nicht fest an einem Ort, sondern steuert regelmäßig verschiedene Ecken der Siedlung an. Wo und wann er auftaucht, spricht sich offensichtlich schnell herum. Manche Leute müssten längere Fußmärsche in Kauf nehmen und kämen dennoch.

60 bis 70 Musikschüler könnten parallel unterrichtet werden, erzählt Davidson, 400 gebe es aktuell insgesamt. Und das Tonstudio sei ständig für Aufnahmen belegt. Ein wichtiges Ziel des Projektes ist, die Leute an den Musikinstrumenten so gut auszubilden, dass sie ihre Kenntnisse weitergeben können. Und wer vorerst kein Instrument in die Hand bekomme, der habe in der Nähe des Trucks immerhin WiFi-Zugang und die Musik der anderen.

Etwa bis September ist die Finanzierung von Lab Uganda gesichert. Nun bewirbt sich Music Connects für weitere Fördermittel beim Auswärtigen Amt und hofft auch auf Spenden, damit die Idee nicht im Sand stecken bleibt. Der Truck würde sonst unter der ugandischen Sonne verrotten, denn ihn nach Europa zurückzuholen, wäre unbezahlbar. Für die Bewerbung ist die Masterarbeit von Jochen Manggold ein dickes Pfund in der Waagschale. "Wir haben das Leben von Hunderten von Menschen berührt und verändert", sagt Davidson. Von Musikern und Publikum gleichermaßen.

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