Süddeutsche Zeitung

Modellbau:Fans, ich habe die Stadien geschrumpft

Lesezeit: 4 min

Der 32-jährige Josip Marsic bastelt aus Abfall und Pappe Fußballarenen nach - so präzise, dass man drauf wartet, dass gleich die Spieler einlaufen.

Von Nicole Graner

Der erste Blick kommt von oben, im Stehen. Auf eine grüne Rasenfläche, auf Zuschauertribünen. Das Flutlicht im Sechzger-Stadion in Giesing an der Grünwalder Straße ist aus, kein Torwart im Tor, keine Zuschauer auf den Tribünen. Dann beugt man sich tiefer, schaut direkt hinein in das kleine Modell aus Pappe, das auf einem kleinen Tischchen steht - und entdeckt vieles: Dass neun kleine Spiegel, an vier kleine Holzspieße geklebt, jene Flutlichter sind, die niemals strahlen, höchstens blitzen werden, wenn sich das Licht einer Lampe in ihnen spiegelt. Oder dass die Brüstung hinter den Tribünen aus einem feinmaschigen Edelstahlgewebe geformt ist. Modellbauer Josip Marsic hat es sich aus der Küche stibitzt.

Aus der Küche? Marsics braune Augen ziehen sich zu kleinen Schlitzen zusammen, wenn er lacht. Und er erzählt, wie er einfach den Pfannenspritzschutz demontiert hat. Nicht zur großen Begeisterung seiner Freundin allerdings. "Sie war echt ein bisschen sauer", sagt der 32-Jährige.

Aber sonst nutze er eigentlich nur Abfallprodukte: Zahnstocher, Kabel, vor allem aber Pappe. Aber Pappe ist nicht gleich Pappe. Es gibt welche, die sich gut biegen lässt, eine, die härter ist und eine, die man noch für etwas ganz anderes benutzen kann. Als Tribünen zum Beispiel. Der gelernte Elektroingenieur, der seit 2015 bei BMW in München arbeitet, löst vorsichtig die obere Schicht eines weißen Kartons ab. Die Rückseite sieht - und dass er das weiß, zeigt, wie viel er schon ausprobiert hat - plötzlich aus wie ganz feine Wellpappe mit Rillen. Genau richtig für winzige Sitzplatzreihen. Transparenter Bastelkleber für Kinder drauf, schon wirkt das Ganze sehr haptisch, sehr echt. Auch für ein anderes Stadion war das gut: für den Signal Iduna Park von Borussia Dortmund.

Das Dortmunder Stadion ist sogar beleuchtet

200 Stunden hat er für das Grünwalder Stadion gebraucht. Ein bisschen mehr für den Iduna Park mit seinen gelben, weithin sichtbaren Stahlpylonen. Bei Marsic sind die allerdings aus Holz. Das Stadion ist sogar beleuchtet. Dortmundfan? "Nein, nein", sagt Marsic, der in Zagreb geboren und in der kleinen Stadt Maria Bistrica aufgewachsen ist, "hat einfach nur Spaß gemacht, Licht einzubauen." Sein Schmunzeln könnte anderes vermuten lassen, aber Marsic erklärt dann nur, dass er eigentlich immer lache und einfach ein fröhlicher Mensch sei. Viele Stadien aus seiner Heimat Kroatien hat er schon im Bonsai-Format nachgebaut.

Zuerst macht der 32-Jährige Fotos von den Stadien. Oder sucht sich Bilder im Internet, manchmal Satelliten- oder Luftbilder. Dann schneidet er eine Styropor- oder Hartschaumplatte zurecht. Darauf kommen die gefertigten Gebäude aus Pappe. Er druckt die Straßen aus und klebt dann die Papierstreifen auf. Das macht er auch mit farbigen Oberflächen. Nicht ohne Grund. "Ich kann Farben nicht gut unterscheiden, Rot und Grün sind schwierig für mich." Manchmal habe er Braun und Rot vertauscht. Auch die Bäume macht Marsic selbst. Ein kleines Ästchen als Stamm und daran farbiges, fluffiges Dekormoos geklebt - zwei Tage hat er das für die Begrünung rund um das Dortmunder Stadion gemacht. Ein Mini-Bäumchen, nicht größer als ein Daumen, nach dem anderen.

Mit Kindern zu basteln, das war eine der schönsten Erfahrungen

Ja, Marsic hat auch sehr gerne Fußball gespielt. In Zagreb und hier in München. Aber das ist nicht der Grund, warum er Stadien nachbaut. Corona, und die damit verbundene Kurzarbeit, hat ihn eigentlich dazu gebracht, wieder mit etwas anzufangen, das er schon immer gern gemacht hat: werkeln, kreativ sein. Früher hat er schon mal eine Whiskey-Flasche zum Lampenständer, ein T-Shirt zum Lampenschirm umfunktioniert, Hobbit-Häuser nachgebaut. Oder das Ferienhaus seines Vaters in Kroatien. Zehn Monate hat er das EU-Erasmus-Programm genutzt, um Deutsch zu lernen, und arbeitete in Wien in einem Kindergarten. Basteln steht da auf der Tagesordnung. Und die Freude der Kinder, "das war eine meiner schönsten Erfahrungen", sagt Marsic.

Nichts tun ist nichts für Marsic. Auch dann nicht, wenn Corona alles schwerer macht. "Ich kann nicht herumsitzen. Ich muss was tun." Als ob er diese Worte untermauern möchte, rutscht der Modellbauer aus Pasing unruhig auf dem Sofa herum, bewegt seine schlanken Hände hin und her. Zum Glück sind sie schlank. Sonst könnte er wohl nicht so behutsam und geschickt super-winzige Tore auf den Rasen kleben, so genau und präzise arbeiten. Präzision, eine Eins-zu-eins-Umsetzung ist ihm wichtig. Ein Grund, warum er auch mit seinem Modell des Olympiastadions nicht zufrieden ist. "Das muss ich nochmal machen. Das sei "nicht identisch genug". Er meint unter anderem die Dachkonstruktion aus einem Kartoffelnetz.

Einige Modelle spendet Josip Marsic für einen Verein in Kroatien

Bis jetzt hat der Modellbauer die meisten Objekte, die er bei seinen Eltern in Kroatien einlagert, nicht verkauft, sondern einige dort für einen Verein gespendet, der sich für an Krebs erkrankte Frauen einsetzt. Das ist ihm sehr wichtig. "Meine Mutter hat Krebs, und die Schwester meiner Freundin ist an dieser Krankheit gestorben." Er sagt es und blickt sofort zu einem Bild hinüber, das im Regal steht. Es zeigt die Schwester seiner Freundin. 3000 Euro hat er auf diese Weise schon für den Verein zusammenbekommen.

Doch jetzt hat Marsic viele Anfragen von Fußballfans, von Vereinen. Auf dem Boden steht schon ein angefangenes Modell vom Stadion von Borussia Mönchengladbach. Er überlegt, ein Gewerbe anzumelden. Nach den Stadien vielleicht Kirchen nachzubauen. Anfangen will er dann mit der Kirche in seiner Heimatstadt Maria Bistrica. "Mehr als Geld freut mich eigentlich, dass es den Menschen gefällt", sagt Josip Marsic. "Aber wenn ich durch die Modelle zweimal im Jahr in Urlaub fahren könnte, warum nicht?"

Der weiße Wohnzimmertisch hat etliche Farbflecken. Aber auch ordentlich Bastelkleber hat sich verewigt. An diesem Tisch sitzt Marsic abends. Schaltet, wie er sagt, einfach ab, wenn er Bäume klebt, Tribünen einsetzt. Einen neuen Wohnzimmertisch wird er aber wohl bald kaufen müssen. Das hat er seiner Freundin versprochen.

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