Süddeutsche Zeitung

Theater:Lukas Nimscheck kommt mit seinen "Bürobiestern" ins Werksviertel

Lesezeit: 4 min

Der Sänger von "Deine Freunde" und Coach bei "The Voice Kids" bringt seine Musicalkomödie ins Werk 7. Im Vorfeld kritisiert er die deutsche Theaterlandschaft, sieht aber auch eine Chance für München.

Von Michael Zirnstein

Man unterschätzt Lukas Nimscheck, wenn man ihn nur als Moderator der ARD-Kindersendung "Tigerentenclub" kennt oder als Coach beim Mini-Sängerwettstreit "The Voice of Germany Kids" oder von Deine Freunde. Bei diesem Rappelkiste-Rappern, so sagte er mal selbst, sei er als Sänger "der Flächenklaus", also für die gefällige, melodische Basis zuständig: "Immer wenn es ein bisschen kitschig klingt, ist es von mir." Nimscheck ist in den deutschen Kinderzimmern der nette, große Bruder. Nichts dagegen, die Rolle spielt er großartig, eben weil sie seinem Naturell entspricht.

Er mache nur, was ihm Spaß macht, sagt er. Das ist ein Teil des Erfolgs seiner Hip-Hop-Bande, dass Deine Freunde nun schon seit elf Jahren "durch die Decken gehen", alle fünf Alben hoch in die Charts kamen und die Hallen gefüllt sind mit kleinen wie großen Fans, folgt aber auch einem Plan.

Nimscheck weiß, was ankommt, und wie man es inszeniert. Wer mal in einem Deine-Freunde-Konzert war, erinnert sich an eine höchstalberne Modenschau darin oder daran, wie man ganz, ganz leise im Dunkeln kauern musste, weil der böse Hausmeister mit der Taschenlampe die Party sprengen wollte. "Mir ist wichtig, auch wenn ich selber wohin gehe, dass da nicht einfach Leute auf einer Bühne herumstehen", sagt Nimscheck, "es muss in irgendeiner Form Bilder geben, vielleicht kleine Geschichten. Ich bin nicht der klassische Konzertgänger. Ich brauche jemanden, der mich an der Hand nimmt und mich durch den Abend führt, ich möchte, dass sich jemand über jede Minute dramaturgisch Gedanken gemacht hat, das Publikum zu unterhalten." Und so jemand ist Lukas Nimscheck.

Mit erst 33 Jahren hat er schon eine erstaunliche Berufs-Ansammlung vorzuweisen: Sänger, Moderator, Musiker, Musikproduzent, klar, und dazu kommen Komponist, Texter und Regisseur für Musicals, Kulturunternehmer und Betreiber des "Escape Room"-Spiels Skurillum auf der Hamburger Reeperbahn, für das er zusammen mit dem Musical-Kollegen Heiko Wohlgemut ("Der Schuh des Manitu") selbst die Geschichte und Kulissen entworfen hat.

Er hat das Theatermachen nie als Ausbildungsberuf gelernt, er hat es aufgesogen. Nach dem Abitur machte der gebürtige Ostberliner ein Praktikum im Hamburger Krimitheater Imperial, wo er erlebte: Bühne müsse nicht bedeutungsschwer wie "Kabale und Liebe" im Gymnasium sein, sondern dürfe auf britische Weise auch entertainen. Dann leitete er jahrelang als Assistent der Geschäftsleitung das Büro des Reeperbahn-Renommier-Theaters Schmidt. Mit seinen besten Freunden von der St.-Pauli-Gang gründete er vor zwei Jahren "Die Musicalmacher", eine Theater-Produktionsfirma, in der alle Beteiligten entweder schreiben, komponieren, inszenieren oder spielen, und das alles irgendwie gleichzeitig.

Der momentane Renner unter ihren bisher vier Stücken ist "Bürobiester", das sie nun im Theater Werk 7 in München spielen. Es war eine Blitzaktion im Sommer 2021: Mit den Autorinnen Franziska Kuropka und Kathi Damerow habe er sich vier Wochen lang in einen Keller in St. Pauli eingeschlossen: "Womit können wir rauskommen, wenn der ganze Corona-Mist vorbei ist? Wir brauchen ein Stück, das Party ist und die Leute nicht belastet."

Lustigerweise lieferten sie der Homeoffice-Nation dann eine wilde Büro-Revue ("mit Zickenterror") um die Belegschaft des Lebensmittelkonzerns "Wuffins". Dessen Chefin lässt sich zum 40. Geburtstag eine Huldigungsfeier ausrichten, zu der aber nur vier Personen erscheinen. Schwung bringen die Darsteller Sarah Matberg, Franziska Kuropka, Kathi Damerow (alle waren im Theater Schmidts Tivoli aktiv, etwa im Dauerrenner "Heiße Ecke") und Mario Saccoccio ("Alladin", "Moulin Rouge") auch dadurch in die Kiste, dass sie einfach ihre Lieblings-Songs von Britney Spears über Lady Gaga bis Marianne Rosenberg in die Handlung einpassen.

"So viele Anfragen hatten wir noch nie für ein Stück", sagt Nimscheck, der Regie führt. Nach dem Erfolg der ersten Spielzeit im Theater WestAnd in Braunschweig freut er sich nun auf den ersten Gastspielort, das Werk 7. Er hat gespannt verfolgt, wie der Musical-Branchenführer Stage Entertainment mit "Fack ju Göhte" und "Amelie" hier in München einen neuen, hippen Standort aufziehen wollte und letztlich scheiterte. Dass das Werksviertel Mitte das Theater nun unter der Leitung von Nellie Krautschneider selbst weiterführt, hält er für eine "einzigartige Chance" für die Branche.

"Mein Blick als junger Mensch aus der Unterhaltungskultur auf die deutsche Theaterlandschaft ist sehr pessimistisch. Alles wird von gottgleich erhobenen Intendanten entschieden, die dich gar nicht reinlassen in ihren Betrieb. Für mich gehören die weg." Umso lieber sei ihm so ein unvoreingenommenes Haus mit frischem Team wie in München. "Wenn das auch noch nicht so viele Leute kennen, die Musicalszene in Deutschland guckt sehr genau hin, was da passiert."

Denn es brauche Platz für peppige, popkulturelle, schnelle Stücke, die Musical-Szene breche dafür gerade auf. Wobei Nimschek nicht nur auf Halligalli steht, er will auf der Bühne die "Haltung" der Macher erkennen. Etwa in seiner Komödie "Gabi - vom Leben geschlagert" über eine von der Wende gebeutelte Sängerin, da schwang auch seine DDR-Erfahrung mit (er hatte wegen seines Opas, eines Olympia-Trainers, schon als Baby eine Stasi-Akte).

Für die Liedtexte über hormonelle Verwirrung, aber auch Schicksalsschläge in "Jana & Janis" (das wegen Corona nicht im Werk 7 starten konnte) bekamen er und Kuropka den Deutschen Musical Theater Preis. Und in "Wir", sein regenbogenbuntes "Feelgood-Stück" über Familien- und Lebensplanung homosexueller Paare, ließ er seine eigenen Erfahrungen als schwuler Ehemann einfließen.

Viele Theater hätten das Stück abgelehnt, nicht "sexy" genug, eher "schwieriger" Stoff. "Aber es hat sich zum Crowd-Pleaser entwickelt", sagt Nimschek, "eben weil es auch lustig ist". Solche gewagten Eigenkompositionen fehlen ihm noch in Deutschland, "dabei haben viele Autorinnen vier oder fünf solche Geschichten in der Schublade, die können sie aber nicht verwirklichen, weil sie mit irgendeiner erfolgversprechenden Filmadaption beschäftigt sind".

Beim eigenen "Musical Open Air" seiner Firma in Braunschweig bringt er "Jana & Janis" heuer wieder auf die Bühne, dazu die Fortsetzung von "Bürobiester": das Supermarkt-Stück "Kassenkracher". Die Mischung macht's, das Braunschweiger Publikum ziehe schon mit, sagt er und glaubt: "Das kann auch in München klappen."

Bürobiester, Premiere 27. März, Werk 7, Werksviertel Mitte, www.eventfabrik-muenchen.de/werk7theater-erleben

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