Süddeutsche Zeitung

München und Corona:Es holpert noch beim Lockern

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Das schöne Wetter und die Lockerungen treiben die Menschen in Scharen auf die Grünflächen. Für die Polizei ein Kraftakt, für viele Geschäftsinhaber eine Enttäuschung. Wer will schon ständig seinen Impfpass vorzeigen?

Von Sabine Buchwald

Die Sehnsucht der Münchner nach Sonne und blauem Himmel übertrifft deutlich die Lust am Einkaufen. Dies spürten sowohl die Einzelhändler der Innenstadt als auch die Polizisten, die am Wochenende im Einsatz waren. Jedes Fitzelchen Stadtgrün wurde belagert und jeder Sitzplatz an der Sonne hat die Leute angezogen. Ein magischer Hotspot sind die Stufen an der Oper etwa.

Wo sonst während der Umbaupausen die Damen in Stilettos mit Sektkelchen rumstehen, saßen grüppchenweise Leute und leerten die mitgebrachten Flaschen. Auch die Kunstakademie war einmal mehr geselliger Versammlungsort im wärmenden Licht. Bei Sonnenuntergang rückten die Besucher dann mehr und mehr zusammen, so dass die patrouillierende Polizei dort die gut 100 Personen zum Gehen aufforderte.

Die kleinen Freiheiten zum Shoppen, die seit Donnerstag gelten, haben weit weniger Leute ausgenutzt, als vermutet. Wer nachweisen kann, dass er durch zwei Impfungen immun gegen das Corona-Virus ist oder eine Infektion hinter sich hat, durfte ohne Schnelltest in die Innenstadtgeschäfte gehen. Vielleicht ist es naiv, sich vorzustellen, dass Scharen von Kunden mit ihren gelben Impfpässen vor den Klamottenläden wedeln? Ohnehin kämen nur die neun Prozent der Münchner, die bereits vollständig geimpft sind, derzeit dafür in Frage. Zu den Modeketten in der Fußgängerzone zieht es vor allem die Jugend. Für die meisten von ihnen ist es derzeit leichter, an eine Flasche Whiskey als an einen Impftermin zu kommen.

Kontrollen vor den Läden gibt es nun schon eine Weile. Mit belegtem Schnelltest darf man hinein, nun öffnet auch noch der Impfpass oder Genesungsnachweis die Tür. Laut Polizei verlief das am Samstag ohne Probleme. Gefälschte Impfausweise wurden in München offenbar nicht vorgelegt. Fabian Wimmer, Azubi am Eingang bei Sport Schuster, hat bereits einen geübten Blick und fühlte sich "ganz entspannt".

Bei den Gastronomen, die nach vielen Monaten Zwangspause Mitte der Woche wieder loslegen dürfen, herrscht hingegen leichte Konfusion. "Ich weiß nicht so recht, wie wir das schaffen sollen", sagt etwa Felix Neuner-Duttenhofer, Betreiber des Café Belstaff und der Weinbar Frank in der Residenz. Die Auskünfte, die er von seinen Gästen verlangen müsse, seien ihm eigentlich viel zu persönlich, sagt er. "Ob jemand geimpft ist oder wo jemand wohnt, das geht mich doch eigentlich gar nichts an." Natürlich freue er sich, dass es nun, wenn auch mit eingeschränkter Gästezahl, wieder los gehe. Noch mit etwas gebremster Vorfreude schaut auch Dieter Hochreiter vom Biergarten am Viktualienmarkt auf die kommende Woche.

Von kräftigen Männern hat er am Samstag das eingezäunte Areal auf dem Markt mit Tischen und Stühlen bestücken lassen. Vier brauchte es, um den massiven runden Stammtisch von einem Transporter herunter zu hieven. "Bestimmt 500 Leuten habe ich erzählt, dass wir ab Mittwoch wieder ausschenken", sagt Hochreiter. Egal, auch wenn's regnet, wie es von Meteorologen vorhergesagt wird. Mit Vorher- oder Aussagen aber ist es so eine Sache. "Man weiß in dieser Zeit nie, wie lange eine Regel gilt."

"Ich musste mich erst mal doch testen lassen", erzählt Ulrich Geiger, der zu den Glücklichen zählt, zwei Mal geimpft zu sein. Zusammen mit seiner Partnerin Andrea Beck-De Meo ist er aus Kempten angereist. Erst im Auto hatte er festgestellt, dass sein Impfpass zu Hause liegt. Umkehren aber wollten die beiden nicht mehr. "Schade, dass es immer noch keine praktischere Lösung gibt, als dieses Büchlein", sagt er.

Die beiden schlenderten mit sprudelnden Getränken in der Hand am Samstagnachmittag über den Viktualienmarkt. "Eigentlich finde es auch gar nicht gut, einen Vorteil daraus zu schlagen, dass ich nun geimpft bin", sagt Ulrich Geiger. Seine Begleiterin sei ohnehin noch nicht geimpft. Ein Bild das man öfters sah: Eine Person ohne Maske - anscheinend risikofrei - neben anderen mit Virenschutz.

Wie üblich ging es tagsüber wimmelig, aber friedlich auf dem Viktualienmarkt zu. Die Leute verhandelten beim Spargel und spülten ihre Leberkässemmeln mit frisch gepressten Säften oder einem Becher Prosecco runter. Erst am späteren Nachmittag verschwammen die Coronaabstände zwischen den Leuten merklich. Darauf reagierte die Polizei mit lautstarken Ansagen durchs Megafon. Gut 300 Leute sollen sich darauf hin getrollt haben. Manche wohl in Richtung Gärtnerplatz. Dort verwelken gerade die Tulpen und Ranunkeln. Zwischen der Menschenmenge sieht die Natur aber ohnehin blass aus. Gut 200 Feiernde vertrieben die Ordnungshüter am frühen Abend und sperrten den Platz. Am nahen Isarufer ging es dann bis 22 Uhr weiter.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2021
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