Süddeutsche Zeitung

Kultur in München:Wenn Luftschlösser real werden

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2017 machte die Stadt Max Wagner zum Chef des Gasteig. Der Kulturmanager fand ein Interimsquartier und überwand allerlei Kritik. Nun gibt es einen Sanierungsplan - und neue Herausforderungen.

Interview von Susanne Hermanski und Michael Zirnstein

Max Wagner wechselte seinerzeit von einem großen Sanierungsfall in München zum anderen. Bevor die Stadt ihn als Geschäftsführer an den Gasteig holte, war der studierte Jurist und Sänger Kaufmännischer Direktor des Gärtnerplatztheaters. 35 Ausweichplätze hatte man für das Kulturzentrum geprüft und verworfen, da wurde Wagner fündig. Heute stehen die Sanierungspläne und ein Umzugstermin ins Interim an. Auf dem Weg dahin musste der Kulturmanager manche Kritik einstecken. Nun aber ein erster kleiner Lorbeerkranz für den 51-Jährigen: Sein Vertrag als Gasteig-Chef ist um fünf Jahre verlängert worden.

SZ: Hinter Ihnen hängen zwei Plakate: der Neue Gasteig wie er einmal aussehen soll und das Interim. Sind Sie zufrieden?

Max Wagner: Es war nicht immer einfach, aber wir haben zusammengehalten und es hinbekommen. Vergangenen Juni haben wir unsere Pläne für die Sanierung im Aufsichtsrat abgegeben. Wir lagen dabei in der Zeit und im Kostenrahmen. Wer hätte das gedacht?

Um nur ein paar Schwierigkeiten zu rekapitulieren: Der Stadtrat hat im Planungsprozess immer neue Bedenken vorgebracht - lieber doch nur das Nötigste reparieren statt zukunftsorientiert sanieren. Die Verhandlungen mit den Ursprungsarchitekten waren unerwartet hart. Es gab Knatsch beim Wettbewerb. Und schließlich kam die Pandemie. Kann man da überhaupt noch gestalten?

Auf alle Fälle, ich sehe in dem Ganzen eine positive Geschichte: Was ist nicht alles eingestampft worden in letzter Zeit? Aber hier beim Gasteig hat die Stadt gesagt, das größte Kulturbauprojekt, das je in München angegangen wurde, wird trotz Corona-Krise umgesetzt. Und das ist doch wunderbar.

Viele Münchner scheinen unterdessen noch gar nicht recht mitbekommen zu haben, dass das Interim fast fertig in Sendling steht. Spüren Sie eine Dissonanz zwischen dem, was geschafft ist, und dem, was bei den Leuten angekommen ist?

Es ist für mich ja selbst noch schwer zu fassen: Diese Luftschlösser, die man sich vorstellt - und dann steht man im Interim und sieht es ganz konkret, greifbar. In der Philharmonie kann ich schon erkennen, wo bald die einzelnen Stuhlreihen angeschraubt werden. Wo ich einmal sitzen werde, weil dort unsere Dienstplätze sind.

Die Sanierung des Gasteig ist unterdessen immer noch nur ein 3D-animierter Traum aus dem Hause Henn, des Architekten. Was können Sie jetzt noch tun, damit er Wirklichkeit wird?

Wir haben stark gerungen um einzelne Details in dieser Vision zu erhalten. Aber das ist wie bei einer Staffelübergabe, man gibt den Stab aus der Hand. Jetzt hat das Baureferat übernommen, und das ist auch gut so, die Beamten dort haben große Expertise in der Umsetzung. Sie werden gemäß der Entscheidung des Stadtrats einen Investor suchen für das Projekt. Jetzt sind wir streng genommen statt Bauherr nur noch die Vertreter der Nutzer und müssen darauf achten, dass deren Interessen in der Umsetzung gewahrt bleiben.

Können Sie sich jetzt auf die Eröffnung des Interimsgeländes konzentrieren?

Genauer gesagt, erst mal auf den Umzug dorthin. Und der hat es in sich.

Wie sieht der Umzug konkret aus? Ameisenstraße die Isar aufwärts?

Oh, nicht nur das! Wir haben alles in verschiedene Umzüge gestaffelt. Ein Teil der Medien aus der Stadtbibliothek - 1,7 Millionen hat sie insgesamt - wurde schon aus dem Archiv nach Oberschleißheim gebracht. Der restliche Teil geht ins Motorama gegenüber und nach Sendling. Insgesamt sind es sieben Standorte, in die der Gasteig umziehen wird.

Auf dem Dach der Philharmonie sitzt es sich mit einzigartigem Ausblick über München. Das wissen außer Max Wagner bisher nur wenige aus eigener Erfahrung.

In Zukunft soll dort ein Café jedermann Zugang eröffnen.

Die Bauten auf dem Interimsgelände sind unterdessen schon weit gedienen. Diese Aufnahme entstand Anfang Februar.

Was passiert gerade im Motorama?

Da sind die Handwerker schon zugange. Von November an ist dort die Kinder- und Jugendbibliothek zu finden, aber auch eine Anmeldung zur Volkshochschule.

In Sendling wird die Bibliothek sozusagen im Foyer der Philharmonie stehen. Kann das gut gehen?

Das ist eine sehr experimentelle Sache, eine Open Library. Die Bücher sind nicht gesichert, man kann sie einfach mitnehmen. Dadurch steht sie immer offen, auch nach dem Konzert oder in der Pause. Das will die Bibliothek später auch im Gasteig haben, wenn wir wieder zurückziehen.

Gibt es schon einen Stichtag für die Eröffnung in Sendling?

Ja. Am 8. Oktober wird das große Eröffnungskonzert sein. Und danach folgt eine Eröffnungsstaffel über sechs Monate.

Was ist die größte Hürde davor?

Das hängt noch von vielem ab. Allein die Einspielphase in der Philharmonie - da wird Yasuhisa Toyota die von ihm konzipierte Akustik nachjustieren. Wir werden Studenten einladen, die alle Wege ablaufen, um zu sehen, wie fließt das überhaupt? Wo steht am besten das Einlasspersonal?

Sie hatten manchen Kampf auszufechten, um so weit zu kommen. Von den kleineren, welcher kommt Ihnen in dem Sinn?

Die zusätzlichen Parkplätze auf dem Gelände der Großmarkthalle! Wir bekommen sie nun doch. Wir schreiben gerade die Stelle für den Pächter aus und überlegen noch, ob man die Plätze etwa nur in Kombination mit einem Konzertticket nutzen kann.

Sie haben sicher mit vielen Verwaltungskollegen in der Stadt zu tun gehabt in den vergangenen Jahren ...

Und wen ich alles kennengelernt habe! Den Chef des Großmarktes, den Direktor des Heizkraftwerks, auch den MVG-Chef natürlich. Von ihm habe ich gelernt, es gibt sogenannte Spitzenbrecher bei der U-Bahn. Wagen, die extra eingesetzt werden, wenn ein Konzert aus ist. Für die braucht es im Schichtplan der U-Bahnfahrer dann aber auch extra Platz.

Wie ist die Lage in puncto Anbindung durch den ÖPNV sonst?

Es hält ein zusätzlicher Expressbus beim Interim - also vorausgesetzt, der Stadtrat beschließt das noch. Der geht vom Hauptbahnhof ab, die Lindwurmstraße entlang, biegt zum neuen Volkstheater ab und fährt von da zur Großmarkthalle, wo man von den Parkplätzen aus ebenfalls zusteigen kann. Nach dem Halt bei uns geht es weiter zum Tierpark. So würden drei wichtige Institutionen der Stadt verbunden.

Wie ist es aktuell um das Miteinander auf dem Interimsgelände bestellt? Zuletzt haben Künstler sich gefreut, dass Sie sich persönlich dafür eingesetzt haben, dass sie ihre Lagerflächen behalten dürfen.

Ja, anfangs hat man mich in Sendling noch fast mit Tomaten beworfen. Heute ist das anders. Und wie wichtig diese Lager sind, ist mir klar, mein Vater ist selber Maler. Gerade die Künstler im Haus F machen tolle Arbeit. Wir planen einen kleinen Film zu drehen, der zeigt, was das ganze Areal ausmacht. Das ist ein Kreativquartier, wie man es selber gar nicht erfinden könnte, samt Reifenhändler und Schreinerei.

Gedeiht da ein Biotop, das man nach sieben Jahren wird kaum auflösen können?

Beim Richtfest der neuen Philharmonie hat der Oberbürgermeister klar darauf angespielt, dass davon etwas bleiben soll. Wegen des Brandschutzes ist dort nun viel Beton verbaut worden, und am Ende steht da ein Toyota-Saal mit Welt-Akustik. Aber offiziell ist mein Auftrag, ein Interim zu schaffen. Doch allein dass die Stadt einen Namenswettbewerb auslobt, weist darauf hin: Es wird nicht verschwinden.

Hätten Sie das neue Kulturzentrum nach dem Rückzug gern weiter in Ihrer Obhut?

Das kann ich nicht entscheiden, aber wenn es gewünscht wird, bringen wir unser Know-how gerne ein. Der Betrieb eines solchen Hauses ist ja etwas sehr Diffiziles.

Die Pandemie hat Ihnen viel Diffiziles beschert. War das Schwierigste, dass die Kulturschaffenden der Politik ständig auch noch ihren Wert erklären mussten?

Ich habe mir oft überlegt, warum die Kultur in der Krise so stiefmütterlich behandelt wird. Ich glaube, dass viele Politiker und Leute in Chefetagen keinen Bezug mehr zur Kultur haben. Sie wissen nicht, dass ihr Land die reichste Kulturlandschaft der Welt hat, dass es im Unesco-Weltkulturerbe als größte Orchester-Theater-Landschaft steht.

Klingt Trotz aus Ihren Worten?

Das ärgert mich natürlich erst mal, aber ich denke auch weiter. Was müssen wir tun, die wissen, Kultur macht uns erst zum Menschen? Die Antwort ist: Kulturvermittlung. Wir müssen, wenn diese Krise vorbei ist, die Kinder in diese Häuser holen, damit sie, wenn sie später mal in verantwortlichen Positionen sitzen, wissen, wie wichtig das ist.

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Quelle:
SZ vom 20.03.2021
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