Süddeutsche Zeitung

Hans-Georg Küppers:Abschied von Münchens Kultur-Ermöglicher

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Von der Stadtteilarbeit bis zum Theater-Neubau: Nach zwölf Jahren weiß München, wie viel Glück es mit seinem Kulturreferenten Hans-Georg Küppers gehabt hat. Nun geht er in den Ruhestand.

Von Alex Rühle

Robert Musil macht sich im "Mann ohne Eigenschaften" immer wieder stark für den "Möglichkeitssinn". Das ist eine kreative Gabe, die ihm mindestens so wichtig erscheint wie der allseits gefeierte Wirklichkeitssinn: "Wer ihn besitzt, sagt nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehn; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein."

Menschen, die mit diesem Möglichkeitssinn gesegnet sind, kommen oft besser klar mit sogenannten Sachzwängen, weil sie eben ahnen, dass diese oft gar nicht so zwingend sind, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Womit wir bei Hans-Georg Küppers wären, der an diesem Samstag nach zwölf Jahren aus dem Amt des Münchner Kulturreferenten verabschiedet wird und der in Sachen Möglichkeitssinn doch einigermaßen hochbegabt zu sein scheint.

Nun darf man möglichkeitssinnliche Menschen auf keinen Fall mit depperten Traumtänzern gleichsetzen. Küppers sagte zum Amtsantritt 2007, befragt nach Visionen, recht trocken: "Luftschlösser sind unbewohnbar." Er kam da aus Bochum, wo er denselben Job des Kulturdezernenten auch schon neun Jahre gemacht hatte. Im seinerzeit innig zerstrittenen Münchner Stadtrat raunte man sich während der Bewerbungsphase zu, dieser Küppers sei in Bochum nach den ersten vier Jahren wiedergewählt worden, unbegreiflicherweise parteiübergreifend, ohne Gegenstimme. Als Küppers dann bei seinem Vorstellungsgespräch im Stadtrat erklärte, München sei Deutschlands Kulturhauptstadt, waren alle moderat verblüfft, fanden das aber auch aus dem Stand heraus außerordentlich einleuchtend.

Sicher kam ihm anfangs zupass, dass das Kulturreferat in Trümmern lag. Erst war Julian Nida-Rümelin, dieser Diskurs-Pfau und Impresario seiner selbst, mitten in seiner Amtszeit nach Berlin verschwunden. Danach hatte Lydia Hartl das Referat in der Burgstraße nach innen in ein Ministerium der Angst und nach außen in einen Hochbunker verwandelt. Sie degradierte Mitarbeiter nach Belieben, arbeitete mit einer Intransparenz, dass der Kreml dagegen wie eine hierarchiefreie Plauderbude wirkte, und tätigte beherzt eine Fehlentscheidung für München nach der anderen.

Okay, ein surreales Partyschiff macht noch keine Kulturhauptstadt

Und dann war da plötzlich dieser promovierte Germanist, der sagte, das Wichtigste sei ihm Zusammenarbeit und er selbst sehe sich als "Ermöglicher". Seinen ersten Tag im Amt begann er im Stadtteil Pasing, wo er bei der Feier zum 25-jährigen Bestehen der Volkshochschule in einer kleinen Rede die selbstgestellte Frage: "Wie viel Volkshochschule braucht die Stadt?" ungefähr so beantwortete: So viel wie möglich. Abends saß er dann auf dem Klassik-Open-Air auf dem Odeonsplatz. Im Grunde hat er an diesem Tag schon klargemacht, wie weit sein Kulturbegriff gespannt ist.

Nun kann so Ermöglicher-Zeug erst einmal jeder sagen. Der Witz ist: Küppers hat anscheinend zwölf Jahre lang genau das gemacht: zugehört, ermutigt, Überzeugungsarbeit geleistet. Es muss im ganzen Kulturreferat ausnahmslos runde Tische geben, so reibungslos ging dort das meiste vonstatten. Und das Schwierigste in der Recherche für diesen Text war tatsächlich, kritische Stimmen zu finden. Ob nun Hoch- oder Alternativkultur, Arne Ackermann, der Direktor der Münchner Stadtbibliothek, oder Tanja Graf, die das Literaturhaus leitet, Clemens Schuldt vom Münchener Kammerorchester, Heiner Lünstedt vom Comicfestival oder der Kulturveranstalter und Gastronom Daniel Hahn, der den "Bahnwärter Thiel"" und die "Alte Utting" ins Stadtbild gezaubert hat - alle geraten sie ins Instantschwärmen, wenn der Name Küppers fällt. Als Daniel Hahn mit der irren Idee vorstellig wurde, ein ausrangiertes Schiff auf eine Brücke zu stellen, waren es seinen Worten zufolge Küppers und seine Leute, die all den anderen involvierten Referaten "Mut zusprachen, dass sie sich trauen, das zu genehmigen. Und die vom Kulturreferat sind auch seither immer, immer da, wenn was ist."

Okay, ein surreales Partyschiff macht aus München nicht Deutschlands Kulturhauptstadt, also hier mal eine Liste feinster Hochkultur: Das Lenbachhaus und das Deutsche Theater wurden unter Küppers' Ägide saniert, das NS-Dokumentationszentrum eröffnet, das Literaturfest aus der Taufe gehoben, das Metropoltheater zu einer Art drittem Stadttheater aufgewertet. Irgendwie schaffte Küppers es, das Kulturbudget über die Jahre stetig zu erhöhen, von 145 auf zuletzt 220 Millionen Euro. In der extrem kniffligen Gasteig-Diskussion um Um- oder Neubau hat er bei aller Parteiloyalität (Küppers ist seit seiner Geburt in der SPD) "eindrucksvoll Rückgrat gezeigt", wie Arne Ackermann es formuliert. Küppers holte Matthias Lilienthal an die Kammerspiele und hielt dann zu ihm, als der für die CSU und das alteingesessene Abopublikum zum Feindbild wurde. Lilienthals Nachbesetzung mit Barbara Mundel wirkt geschickt wie der Schachzug eines Großmeisters: Die progressive Linie und Öffnung des Theaters in den Stadtraum dürfte von Mundel fortgeführt werden, gleichzeitig kommt endlich mal eine Frau zum Zug, und Küppers kommt außerdem noch allen Kritikern entgegen, die mehr Schauspieltheater einfordern.

Außerdem wurde unter Küppers der Neubau des Volkstheaters auf dem Viehhof beschlossen. Das mit diesem Neubau wirkt so selbstverständlich, aber man schaue sich mal um in Deutschland, wie selten das heute passiert - ein nagelneuer Theatergroßbau, mitten in der Stadt. Bei derart diffizilen Projekten kamen Küppers zweifelsohne seine Selbstironie und mehrfach verschachtelte Bescheidenheit zugute. Irgendwie muss er es geschafft haben, hartleibigen Stadträten diesen Neubau so lange subkutan schmackhaft zu machen, bis diese felsenfest davon überzeugt waren, dass das ganze Projekt ja eigentlich ihre eigene und damit automatisch auch eine ganz hervorragende Idee war.

Küppers selbst übrigens erwähnte, wenn man ihn nach Erfolgen befragte, meist gar nicht die Leuchtturmprojekte. Sondern sprach von der dezentralen Kulturarbeit durch die Förderung der Stadtteilkultur, die Öffnung neuer Stadtteilkulturzentren oder VHS-Dependancen.

Die Riesensanierung des Gasteig-Kulturzentrums, das Stadtmuseum: ein bisschen Arbeit hinterlässt er schon noch

Einiges wurde nicht erledigt: Die internationale freie Theaterszene rauscht im Grunde weiterhin an München vorbei, weil die Jutier- und Tonnenhalle als geplantes Produktionszentrum dieser freien Szene auf immer noch unabsehbare Zeit ihrer Eröffnung harren. Das Stadtmuseum, das Gerüchten zufolge früher ein wichtiger Ausstellungsort war, aber heute eher wie eine anachronistische Asservatenkammer wirkt, soll seit 2012 demnächst nun aber wirklich umgebaut werden.

Die meisten Beschimpfungen handelte Küppers sich ein, als er Christian Thielemanns Vertrag als Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker nicht verlängerte, was er aber ja nicht tat, um das Publikum zu verärgern, sondern weil das Verhältnis zwischen Dirigent und Orchester zerrüttet war. Bei der Berufung des Nachfolgers beugte Küppers sich dann entgegen eigenen Vorlieben d em Willen der Philharmoniker, die Valery Gergiev wollten, weil er wusste, dass man einem Orchester keinen Dirigenten zwangsweise vor die Nase setzen kann.

Küppers selbst misstraute übrigens dem stadtinternen Hype um seine Führungskultur und die Gabe, den verschiedensten Institutionen nach Kräften ihre Wünsche zu erfüllen. "Everybody's darling ist everybody's Depp", sagte er gern.

Kommende Woche tritt Münchens beliebtester Depp vom Dienst nun ab. Es ist im Grunde nur fair, dass er seinem Nachfolger Anton Biebl, der in seiner verbindlich-zugewandten Art wie ein bajuwarischer Cousin von Hans-Georg Küppers wirkt, mit der Gasteig-Großbaustelle oder dem Stadtmuseumsumbau auch noch was zu tun übrig lässt. Küppers aber kann man nur einen angenehmen Ruhestand wünschen. So innerlich autark, wie er aus der Ferne wirkt, wird er es auch nicht mehr nötig haben, Benefizgalas im Prinzregententheater zu kuratieren oder ähnlichen Alterspräsidentenunsinn zu veranstalten, sondern tatsächlich einfach das machen, wonach er sich seit Langem sehnt: wandern, lesen, und ganz für sich im Stillen den Möglichkeitssinn trainieren.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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