Süddeutsche Zeitung

Fantasy Filmfest:Keira Knightley feiert in "Silent Night" zum letzten Mal Weihnachten

Lesezeit: 3 min

Das 35. Fantasy Filmfest hat außergewöhnliche Dystopien und Thriller zu bieten. Knapp 40 neue Independent-Werke werden im Kino gezeigt, darunter Bizarres aus Cannes.

Von Bernhard Blöchl

Wenn Keira Knightley an Weihnachten stirbt, Nicolas Cage aus tiefstem Herzen ein Schwein liebt, und auf einer isländischen Farm ein Menschenbaby mit dem Kopf eines Schafes zur Welt kommt, dann kann das eigentlich nur eins bedeuten: Das Fantasy Filmfest ist wieder in der Stadt. Zum 35. Mal kommen hier Thriller, Horror- und Sci-Fi-Schocker groß heraus. Genrefilme, die inhaltlich und formal Grenzen sprengen. Mit den Mainstreamfilmen, die Woche für Woche in den Kinos anlaufen, haben diese so viel gemein wie Keira Knightleys "Silent Night" mit einer schönen Bescherung.

In dem gleichnamigen Film aus Großbritannien versammeln sich Freunde in einem verschneiten Cottage, um gemeinsam Weihnachten zu feiern - und um gemeinsam zu sterben. Die Prämisse: Giftige Gase hüllen die Erde ein und werden in Kürze alles Leben auslöschen. Die Regierung hat deshalb "Exit-Pillen" verteilt. Lieber ein sanfter Tod als ein sicheres qualvolles Ende, so die Devise. Einmal abgesehen von der Frage, ob man in Pandemiezeiten bereit ist für ein filmisches Endzeitszenario wie dieses, ist das Langfilmdebüt von Camille Griffin ein konsequentes und durchaus spannendes Experiment. Die prominent besetzte Ensemblekomödie (neben Knightley spielen Matthew Goode, Lily-Rose Depp und Roman Griffin Davis) setzt auf das Zwischenmenschliche vor dem Super-Gau, auf lange Dialoge in der Familie über das drohende Ende und auf schwarzen Humor. Ein bohrendes Kammerspiel mit der einen oder anderen Überraschung.

Arthouse-Horror aus Skandinavien, Splatter-Comedy aus Kasachstan

Eine Woche lang, von 31. Oktober an, macht das in sieben Städten verankerte Fantasy Filmfest Station in München. Einzeltickets gibt es ab sofort. Knapp 40 Filme sind dann ausschließlich auf großer Kinoleinwand zu erleben, zum ersten Mal in der neuen Spielstätte Rio Filmpalast in Haidhausen (das Cinema stand laut Veranstalter in diesem Jahr nicht zur Verfügung). Eine Hybridlösung mit Streaming-Angeboten wie bei anderen Festivals gibt es nicht, wie schon im Vorjahr, als das Festival pandemiebedingt zwar nur eingeschränkt, aber ebenfalls rein physisch stattfand. Jeder Film wird nur einmal gezeigt, immer in der Originalversion (teilweise mit Untertiteln). Die 35. Ausgabe ist damit eines der ersten großen Filmfestivals in München, das ausschließlich dort über die Bühne geht, wo Kinofilme hingehören.

Eröffnet wird mit einem Actionspektakel um eine Schar kampf- und schießerprobter Frauen: "Gunpowder Milkshake" (Regie: Navot Papushado) ist eine internationale Koproduktion mit Karen Gillan und Lena Headey über eine Profikillerin und ihre Gefährtinnen, die in einen Bandenkrieg und andere Konflikte geraten. Gedreht wurde hauptsächlich in Berlin.

Stars in ungewöhnlichen Rollen kann man beim Fantasy Filmfest immer wieder entdecken. Neben Keira Knightley sticht vor allem Nicolas Cage heraus. Und, so viel sei verraten, er ist umwerfend in "Pig", einem Film, der nur vordergründig als Rache-Thriller daherkommt, dem Oscar-Gewinner darüber hinaus eine psychologische Tour de force und tiefschürfende Charakterstudie ermöglicht.

Cage spielt, mit langen Haaren und Zauselbart optisch eine Mischung aus Captain Jack Sparrow aus "Fluch der Karibik" und Chuck Noland aus "Cast Away", den Aussteiger Rob. Er lebt zurückgezogen in einem Wald in Oregon und verbringt seine Zeit hauptsächlich mit seinem Trüffelschwein Apple. Als dieses entführt wird, macht sich Rob zusammen mit seinem Bekannten Amir (Alex Wolff) nach Portland auf, um das Schwein zu suchen. Dass die Spurensuche nicht nur körperlich äußerst schmerzvoll für ihn wird, sondern tief in sein früheres Leben als Spitzenkoch führt, macht das Spielfilmdebüt des US-Amerikaners Michael Sarnoski zum Ereignis.

Unter die Haut geht auch "Lamb" aus Island. Der Arthouse-Film von Valdimar Jóhannsson läuft wie "Pig" in der Festivalsparte "Fresh Blood", wo zehn weitgehend unbekannte Talente um den Publikumspreis konkurrieren. Szenerie des ausdauernd langsam erzählten Mystery-Horror-Dramas ist eine einsam gelegene isländische Farm. In den ersten Einstellungen sieht man aufgeschreckte Pferde und Schafe, dazu hört man ein monströses Schnauben. Etwas Unheimliches ist hier unterwegs, man sieht es nicht. Später aber sieht man, wie das kinderlose Ehepaar, das die Farm betreibt, das Neugeborene ihrer Herde in Händen hält und aufzieht. Es hat den Körper eines Menschen, nur der Kopf passt nicht dazu. Es ist der Kopf eines Schafes. Der verstörende, allerlei Tabus brechende Film hatte seine Premiere im Sommer in Cannes.

In München sind noch weitere Entdeckungen von dem renommierten A-Festival zu sehen. Der skandinavische Film "The Innocents" (Regie: Eskil Vogt) ist Arthouse-Horror vom Feinsten, über Kinder mit übersinnlichen Fähigkeiten und ihre dunklen Seiten. Auch die französische Actionkomödie "Oss 117: From Africa With Love", dritter Teil der Agentenreihe, lief zunächst in Cannes. In München wird der Film von Nicolas Bedos in einer Sondervorführung gezeigt. Darüber hinaus gibt es eine moderne Version von "Barbarella" ("After Blue"), Splatter-Comedy aus Kasachstan ("Sweetie, You Won't Believe It"), Vampir-, Werwolf-, Zombie- und Zeitreisekomödien sowie einen Kurzfilmwettbewerb.

Einige Filme mögen irritieren, zu viel Kunstblut fließt, zu groß sind die Schock- und Gruselmomente. Die Verlockung aber, mutige Kinofilme endlich wieder auf großer Leinwand und mitunter tatsächlich physisch zu erleben, dürfte für viele noch größer sein.

35. Fantasy Filmfest, 31. Okt. bis 7. Nov., Rio Filmpalast, München, Einzeltickets ab 18. Okt., fantasyfilmfest.com

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