Süddeutsche Zeitung

Theater:Blühende Bühnen

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Das Deutsche Theatermuseum widmet sich der freien Szene in der überbordenden Ausstellung "Die Lust am anderen Theater". Das kommt jetzt genau richtig.

Von Yvonne Poppek, München

Es ist doppelt gut. Einerseits ist es ein Zeichen der Wertschätzung einer für München wichtigen und über München hinaus strahlenden lebendigen Szene. Andererseits ist der Zeitpunkt gerade jetzt ein besonderer: Das Theatermuseum nimmt mit seiner neuen Ausstellung "Die Lust am anderen Theater" die freien darstellenden Künste der Landeshauptstadt in den Blick. Also jene Häuser und Ensembles, die keine Institutionen der Stadt oder des Freistaates sind und die doch die Theaterszene seit Jahrzehnten entscheidend mitgeprägt haben und mitprägen. Allesamt Künstler ohne gesichertes Grundeinkommen. Gerade nach den Monaten und Jahren in der Pandemie, die den kleinen Bühnen besonders zugesetzt haben, ihnen großteils die Öffentlichkeit nahmen, beschert dies eine wohltuende Aufmerksamkeit.

Und was für eine. Die Kuratorin und zugleich stellvertretende Museumsleiterin Birgit Pargner hat für die Ausstellung einen großen Rechercheaufwand betrieben und unglaublich viel Material gesammelt, wovon - wie sie sagt - nur ein Bruchteil im Museum zu sehen ist. Blickt man beispielsweise auf die Inszenierungsfotos, die überall zu sehen sind, so lässt sich hier schon sagen: Sie wurden zuvor nicht zentral archiviert und dann bereitgestellt. Die Gruppen, Theaterleiter, manchmal Angehörige galt es einzeln zu fragen, zu treffen, die Bilder zu sortieren und zu sichten. Gleiches gilt für Programmzettel, Kostüme. Und dann vor allem für die vielen Inszenierungen, die als Filme zur Verfügung gestellt wurden. Natürlich keine professionellen Filme, sondern Videos, die die freie Szene vornehmlich für sich selbst aufnahm. Das Theatermuseum hat sie digitalisiert, wohl manche auch gerettet, bevor sie nicht mehr lesbar gewesen wären.

Und so sind da also plötzlich Szenen aus dem pathos transport theater, des Freien Theaters München, des proT, des Meta Theaters und so weiter. Ein wertvoller Fundus, der schon allein mehrere Stunden Aufenthalt im Theatermuseum rechtfertigt, ebenso wie die eigens geführten Video-Interviews mit einigen Protagonisten der Szene. Sie laufen auf schmalen Screens. Mediendesigner Christian Schmid hat ein neues System entwickelt: Die Besucher können mit ihrem Mobiltelefon die einzelnen Stationen anwählen beziehungsweise sich über einen QR-Code zuschalten. Dann können sie die Szenen im Ton mitverfolgen, Kapitel auswählen oder weglassen, sich auch nur einen Eindruck verschaffen. Je nach eigener Vorstellung.

Zu Beginn der Ausstellung hat Pargner zwei Video-Interviews gegenübergestellt. Auf der einen Seite findet sich der einstige Festival-, Theaterleiter und Regisseur Manfred Beilharz. Er gründete 1964 zusammen mit Otto Sander, Peter Stein und Reinhard Hauff die Studiobühne der Ludwig-Maximilians-Universität - aus einem einfachen Grund: Sie wollten das spielen, was die etablierten Häuser verpassten, Stücke, die mit ihrer Realität zu tun hatten, ein Spektrum, das vom absurden Theater über Karl Valentin bis Peter Weiss reichte. Als die Gruppe 1968 allerdings das als gotteslästerlich empfundene Stück "Das Liebeskonzil" von Oskar Panizza auf die Bühne brachte, flog sie fristlos raus, fand aber schnell neue Heimat.

Die Fülle wurde hier versucht zu fassen

Beilharz gegenüber wird das Interview mit der ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverbandes für Freie Darstellende Künste Janina Benduski gezeigt. Sie schildert beispielsweise, wie schwierig eine gemeinsame Interessensvertretung der vielen, sehr unterschiedlichen freien Künstler ist. Gerade während der Pandemie wuchs sich das zum Problem aus. Freies Theater gestern und heute - so also der Einstieg.

Darauf folgt dann exemplarisch die Vorstellung einzelner Bühnen, ihrer Gründer und Programme in Bild, Film und Ton. Die Fülle wurde hier versucht zu fassen und zu ordnen. Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann es nicht geben. An einer Stelle plant Pargner etwa noch wechselnde Vorstellungen der vielen Einzelkünstler ohne eigenes Haus, die wesentlicher Bestandteil der Szene sind, Micha Purucker fällt ihr da sofort ein. Oder Ruth Geiersberger. Das Angebot ist einfach reichhaltig.

Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt indes auf der Entstehung der Szene in München. Und so findet sich gleich am Anfang das Theater 44, das 1959 Horst A. Reichel in der Amalienstraße eröffnete und nach zweimaligem Ortswechsel bis 2009 in der Hohenzollernstraße betrieb. Reichel setzte auf Literaturtheater, Sartre, Camus, Genet, Ionesco. Ein großer Erfolg war Kroetz' "Wunschkonzert". Reichel hielt an seinem Theaterkonzept fest, das dann irgendwann aus der Zeit fiel.

Die Fülle ist überwältigend

Ebenfalls an den Anfang setzt Pargner das "moderne theater", gegründet von Uta Emmer 1967 als experimentierfreudige Bühne, die bis 1998 existierte. Fassbinder gehört dazu und das "Action-Theater", das Theater am Sozialamt (TamS) und die Anfänge der Hallen-Kultur, exemplarisch hier die Alabama-Halle. Es gibt das Meta Theater von Axel Tangerding in Moosach, das sich seit 1980 als Labor und als Stätte für Begegnungen mit außereuropäischen Theatertraditionen versteht. Politische Kollektive wie die "Rote Rübe" werden vorgestellt. Das Theaterfestival, das internationale Künstler nach München holte und der Szene noch einmal andere Impulse gab. Und in einem eigenen Raum das "proT" Theater von Alexeij Sagerer. Und anderes mehr.

Wer von dieser Fülle im Museum überwältigt wird, hat für eine spätere Nachlese eine großartige Stütze: Zur Ausstellung ist mit demselben Titel ein Buch im Henschel-Verlag erschienen. Da wird dann etwa die Bedeutung von Sagerers unmittelbarem oder "Es-ist-was-es-ist-Theater" noch einmal aufgeschlüsselt. Auch findet sich hier - im Gegensatz zur Schau - die freie Tanz- und Musikszene repräsentiert. Und ja: Es gibt auch noch ein Begleitprogramm mit Beginn an diesem Mittwoch, 4. Mai.

Es ist also überbordend, was das Theatermuseum zur Freien Szene zusammengetragen hat. In dieser Dichte und mit diesem dokumentarischen Material ist es eine reiche, einzigartige Fundgrube. Gerade jetzt: doppelt gut.

Die Lust am anderen Theater. Freie darstellende Künste in München , 4. Mai bis 31. Juli, Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4a

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