Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Opposition wirft der Stadt "desaströses" Krisenmanagement vor

Lesezeit: 4 min

Besonders Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek gerät wegen der Pannen zunehmend unter Druck - sie nennt die Vorwürfe "schlicht und einfach falsch". Bereits Ende September gab es bei der Stadt Probleme, positive Fälle zeitnah zu bearbeiten.

Von Heiner Effern, Anna Hoben, Ekaterina Kel und Thomas Kronewiter

Die Kritik am Corona-Krisenmanagement der Münchner Verantwortlichen ebbt nicht ab. Die CSU warf Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) am Freitag vor, dass die Landeshauptstadt München wegen der falschen, zu niedrigen Inzidenzangaben vom Freistaat zu wenig Impfstoff erhalten habe. "Das desaströse Missmanagement des Gesundheitsreferats zieht nun einen immer längeren Rattenschwanz nach sich", sagte Fraktionschef Manuel Pretzl. "Wir haben eine heftige Diskussion in der Fraktion, ob Frau Zurek dem Job noch gewachsen ist."

Die Gesundheitsreferentin wies den Vorwurf als völlig aus der Luft gegriffen zurück. Zusätzliche Lieferungen hätten nur bayerische Hotspots mit extrem hohen Fallzahlen bekommen wie Traunstein, das am Freitag eine Inzidenz um 930 aufwies, sagte sie.

Am Freitag habe man zudem vom Freistaat die Zusage für eine kurzfristige Zusatzlieferung bekommen. Das bayerische Gesundheitsministerium äußerte sich auf konkrete Anfrage dazu nicht, sondern verwies allgemein auf Regelungen zur Verteilung des Impfstoffs. Das Gesundheitsreferat hatte im Lauf der Woche eingeräumt, dass die veröffentlichten Inzidenzzahlen aus München seit Wochen deutlich zu niedrig lägen. Der Wert pendelte um eine Inzidenz um die 100, tatsächlich liegt er nach Zureks Schätzungen bei etwa 300, vielleicht bei 350. Grund für die falschen Meldungen war ein akuter Personalmangel bei der Aufnahme von Fällen und der Kontaktnachverfolgung.

Gesundheitsreferentin Zurek widerspricht auch hier entschieden den Vorwürfen, zu lange nichts dagegen unternommen zu haben. Die Bundeswehr, die seit einer Woche die Kontaktnachverfolgung der Stadt unterstützt, habe man etwa schon vor drei oder vier Wochen angefordert. "Natürlich haben wir auch rechtzeitig Personalanfragen gestellt", sagt die Referentin. "Es ist nicht so, dass wir geschlafen haben." Aber Zuweisungen dauerten einfach, und das Personal müsse dann noch geschult werden. "Wenn man gleichzeitig ein exponentielles Wachstum hat, dann reichen schon zwei Tage, die explodieren, und man ist direkt im Rückstand." Den schleppe man dann lange mit.

Bereits im September hatte das Referat Probleme, Corona-Fälle zeitnah zu bearbeiten

Ein Beispiel für die dynamische Entwicklung brachte sie zu einer Pressekonferenz am Donnerstag mit: Im Zeitraum vom 14. September bis 10. November 2020 habe es 440 infizierte Schüler gegeben. Im gleichen Zeitraum ein Jahr später waren es mehr als 3000 - fast neunmal so viele. Man bade im Gesundheitsreferat aus, dass die Menschen zu lange Hygieneregeln missachtet hätten.

In der Tat hatte das Gesundheitsreferat bereits Ende September Probleme, positive Corona-Fälle auch zeitnah zu bearbeiten. Damals stauten sich viele Nachmeldungen, und die aktuell gemeldete Inzidenz lag niedriger, als sie in der Realität gewesen sein müsste. Im derzeit wöchentlich tagenden städtischen Krisenstab ist dieses Problem allerdings erst seit etwa drei Wochen ein Thema. Das bestätigte dessen operativer Leiter Wolfgang Schäuble an diesem Freitag auf Anfrage. Man habe dann gleich Maßnahmen ergriffen.

Die CSU hatte Zurek harsch kritisiert, von einem "unglaublichen Organisationsversagen" gesprochen. Stadträtin Sabine Bär führt ein weiteres Beispiel an: Sie habe für den sogenannten Runden Tisch Corona des Stadtrats die steigende Zahl der Infektionen bei Kindern besprechen wollen. Doch das Treffen, anberaumt am 28. Oktober, müsse mangels Themen und Interesses ausfallen, habe das Referat sie informiert. "Die haben da noch nicht wahrgenommen, dass sich die Situation zuspitzt." Doch nicht nur die CSU, auch die FDP zeigte sich entsetzt über die Pannen. "Wenn man den ganzen Sommer über schläft, kommt es so, wie es jetzt der Fall ist", sagte FDP-Stadträtin Gabriele Neff. Sie wirft Beatrix Zurek "Versagen an der Spitze des Referats" vor. Aber auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hätte "viel früher eingreifen müssen".

Die Linke macht für Engpässe auch Oberbürgermeister Reiter verantwortlich

Zurek wies am Freitag einen weiteren massiven Vorwurf der CSU als "schlicht und einfach falsch" zurück. Diese hatte behauptet, das Gesundheitsreferat hätte ein Personalangebot des Freistaats zur Unterstützung bei der Kontaktverfolgung nicht oder kaum angenommen. Man habe zwar Anfang November eine Liste vom Freistaat bekommen, allerdings nicht mit 97 Personen, wie die CSU behaupte, sondern mit 93. "Wir mussten mit Überraschung feststellen, dass viele die Abordnung aus beruflichen oder persönlichen Gründen abgelehnt haben", so Zurek. Bis 8. November seien lediglich drei Dienstkräfte verfügbar gewesen. Aus einer zwei Tage später aktualisierten Liste habe man am 11. November nochmals 25 Kräfte abrufen können.

Ein Ministeriumssprecher bestätigt zwar, dass der Stadt eine Liste mit mehr als 90 Kontakten übermittelt worden sei. "Abrufschwierigkeiten" seien allerdings trotz ausdrücklichem Hinweis "nicht zeitnah zurückgespiegelt" worden. Die Regierung von Oberbayern habe dann "von sich aus auf Grund der Berichterstattung über Verzögerung der Meldungen" eine weitere Liste mit 27 Unterstützungskräften übersandt.

Zurek nannte die Kritik aus der CSU zu diesem Thema schädlich. "Es fällt alles auf meine Leute zurück. Die sind seit zwei Jahren hart am Arbeiten und bekommen nur Vorwürfe statt Anerkennung."

Die Gesundheitsreferentin erhielt jedoch auch politische Rückendeckung. Die Grünen waren zwar ob der falschen Zahlen irritiert, maßen diesen aber keine entscheidende Rolle bei der Corona-Bekämpfung bei. Sie hatten sich am Donnerstag vielmehr für eine konsequente Kontrolle der 2-G-Regel in Innenräumen und bei Veranstaltungen im Freien ausgesprochen. Möglicherweise müsse jedoch bald mit 2-G-plus nachgesteuert werden, sagte Fraktionschef Florian Roth - dabei müsste zusätzlich ein negativer Test verlangt werden.

Stefan Jagel, Sprecher der Fraktion von Linke/Die Partei, macht für die Engpässe beim Personal OB Reiter und Personalreferent Alexander Dietrich (CSU) verantwortlich. Reiter habe Druck gemacht, das Personal in der Kontaktverfolgung am Ende des Sommers abzubauen und die ausgeliehenen Mitarbeiter wieder in ihre Referate zu schicken. "Nur weil sie für vier Wochen kaum etwas zu tun hatten. Es wurde aber gewarnt, dass sich das bald wieder ändern würde", sagte Jagel. Personalreferent Dietrich habe dem Gesundheitsreferat gegen Ende der Sommerferien oder danach etwa 100 Mitarbeiter zugewiesen, von denen etwa 70 in dieser Zeit einen schon genehmigten Urlaub genommen hätten.

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