Süddeutsche Zeitung

Händler-Reaktionen auf Stammstrecken-Debakel:"Nicht schön, aber verdaubar"

Lesezeit: 3 min

Die zweite S-Bahn-Stammstrecke wird viel später fertig als gedacht. Droht den Geschäftsleuten in der Innenstadt nun eine Endlos- Baustelle vor der Tür? Die meisten nehmen es gelassen hin: Corona sei viel schlimmer gewesen.

Von Andrea Schlaier

Die Erschütterungen kamen am Marienhof diesmal nicht aus dem Untergrund, sondern von eineinhalb Kilometern weiter östlich: aus dem Maximilianeum. Vergangene Woche verkündete Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU), dass die S-Bahnen auf der zweiten Stammstrecke erst 2037 fahren würden - und damit neun Jahre später als geplant. Die veranschlagten Kosten schnellen in die Höhe von 3,8 auf 7,2 Milliarden Euro. Während die Nachricht in den politischen Lagern für reichlich Turbulenzen sorgt, hält sich die Aufregung rund um den Marienhof, wo einer von drei neuen unterirdischen Bahnhöfen entsteht, in Grenzen. Gefasst nehmen viele Einzelhändler dort die Hiobsbotschaft auf.

Der kleinen Schrammerstraße im Durchgang zwischen Theatiner- und Dienerstraße rückt die Baustelle besonders dicht auf den Pelz. Bettenrid hat dort sein Geschäft. Michaela Pichlbauer, Vorständin der Rid Stiftung, zu der Bettenrid gehört, setzt auf Moderation statt auf Konfrontation: "Ich würde mich jetzt erst mal selbst informieren wollen - und dann das Gespräch suchen."

Bislang habe es immer ein gutes Einvernehmen mit der Baustellen-Leitung gegeben. "Deshalb gehe ich davon aus, dass es ein nächster Schritt sein wird, dass man sich nochmal zusammensetzt und überlegt, was die Verlängerung jetzt genau heißt für die jeweiligen Baustellenanlieger und wie man die Effekte abfedern kann." Bisher seien die Arbeiten für ihr Haus kein massives Problem gewesen. "Nicht schön, aber verdaubar." Um die Belästigung mit Lärm und Dreck für die Anrainer möglichst gering zu halten, wird am Marienhof unter einem 4800 Quadratmeter großen und 1,2 Meter dicken Betondeckel gegraben.

Auch Edeltraud Küpper, Warenhausleiterin von Manufactum an der Dienerstraße, gibt sich gelassen. Ihr sei nicht bang vor einer Verlängerung der Bauzeit. "Wir fühlen uns an unserer Position kaum beeinträchtigt", sagt sie. "Die Leute, die vom Marienplatz zur Oper gehen, sind unsere Laufkunden, die haben wir nach wie vor alle." Dass weniger los sei, liege an der Pandemie, nicht an der Baustelle.

Die Infoveranstaltungen von den Baustellenverantwortlichen und der Bahn hätten viel dazu beigetragen, "dass wir Ruhe bewahren können", sagt Küpper. "Wenn man das vorher erklärt kriegt, ist es nicht so schlimm." Sie hoffe trotzdem auf ein Ende vor 2037. "Wenn das mal fertig ist, sehe ich für uns einen großen Hoffnungsschimmer, weil wir dann direkt vor der Tür den S-Bahn-Zugang haben und wieder eine große Fläche." München brauche die zweite Stammstrecke "ganz unbedingt".

"Corona war für uns das größere Problem."

Schräg gegenüber, an der Ecke zur Landschaftsstraße, verkaufen Bauer & Hieber im Erdgeschoss des Rathauses Musiknoten und Instrumentenzubehör. "Wir haben die glückliche Situation, dass die Baustelle nicht so nahe ist", sagt Filialleiter Martin Schaffelhofer. "Bis zum U-Bahn-Abgang ist der Weg erst mal frei." Er empfinde "kaum Lärmbelästigung". Die Lastwagen mit ihrem Aushub "fahren bei uns nicht vorbei". Eine längere Bauzeit würde sein Geschäft nicht so sehr belasten, glaubt Schaffelhofer. "Corona war für uns das größere Problem."

Weniger gelassen sieht das eine Mitarbeiterin des Schmuckgeschäfts an der Schrammerstraße. Die Geschäftsleitung sitze in Wien, sie wolle aber trotzdem ihre Meinung loswerden, sagt die Frau. Wegen des Baustellenstaubs müsse sie jeden Tag die Auslagen reinigen und wenn "wieder rumgebohrt wird, die ganzen kleinen Sachen neu ordnen". Das wirklich Schlimme an der längeren Bauzeit sei aber, dass man von außerhalb "ewig in die Innenstadt" brauche.

In München kämen 92 Prozent der Leute nicht mit dem Auto in die Innenstadt, erklärt Wolfgang Fischer, Geschäftsführer des Interessenverbands City Partner. 70 000 Beschäftigte arbeiteten innerhalb des Altstadtrings, viele davon in Handel, Gastronomie und Dienstleistung. "Menschen, die nicht in einer Loftwohnung im Lehel wohnen, sondern oft in der Region." Für sie und die Kunden seien die öffentlichen Verkehrsmittel "von größter Bedeutung". Deswegen sei die lange Bauverzögerung "niederschmetternd in der Dimension und was die Auswirkung auf die komplette Mobilitätsstrategie der Stadt anbelangt".

Trotz dieser düsteren Einschätzung sagt auch Fischer, dass die Arbeiten am Marienhof aus Sicht der Geschäftsleute recht gut laufen würden, "auch durch das kleine Betonmischwerk, das sie direkt hier gebaut haben". Seines Wissens liege die Baustelle im Zeitplan. "Bei einer Verzögerung könnte es sein, dass der Haltepunkt Marienhof mit toller Oberflächengestaltung fertig ist - aber unten hält nichts."

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