Süddeutsche Zeitung

Umstrittene Impfstoff-Auswahl:Heftige Reaktionen

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Die Impf-Reihenfolge und die Art des Impfstoffs erregen die Gemüter. Selbst Ärzte regen sich auf - aus unterschiedlichen Gründen.

Von Iris Hilberth und Bernhard Lohr, Unterhaching/Ottobrunn

Wenn es um den Corona-Impfstoff von Astra Zeneca geht, kochen die Emotionen schnell hoch. Da sind die einen, die vermutlich noch lange auf eine Immunisierung warten müssen und sich aufregen, dass das Vakzin in den Impfzentren des Landkreises herumliegt, weil 14 Prozent der Impfberechtigten unter 65 Jahre ihren Termin wieder abgesagt haben. Und da sind diejenigen, die sagen: Impfen ja, aber nicht mit Astra Zeneca. Die Vorbehalte bleiben trotz Beschwichtigungen von Experten und selbst nach neuen, viel versprechenden Studien bestehen. Der Stoff des britisch-schwedischen Herstellers hat ein Imageproblem, das sich kaum wegdiskutieren lässt. Vor allem wenn auch Ärzte dankend ablehnen.

Soyoun Maisch ist Kinderärztin und hat eine Praxis in München. Weil sie aber in Unterhaching wohnt, wurde sie zur Immunisierung ins Impfzentrum nach Oberhaching geschickt. Sie wusste, dass dort die Spritze mit dem Impfstoff von Astra Zeneca auf sie warten würde. Wenn bei der Terminvergabe zwischen der ersten und zweiten Impfung zehn Wochen liegen, handelt sich nun mal um das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers.

Dass ihr das Vakzin von Biontech/Pfizer lieber gewesen wäre, gibt sie offen zu. Allein schon, weil sie dann innerhalb von drei Wochen den kompletten Impfschutz gehabt hätte, während bis zu ihrer zweiten Astra-Zeneca-Impfung Ende April noch zwei Notdienste mit halbem Schutz auf ihrem Plan stehen. Ihre wesentlich jüngeren Arzthelferinnen, die im Gegensatz zu ihr in München wohnen, wurden mit Biontech geimpft - noch dazu viel früher - und sind längst vollimmunisiert. "Diesen Algorithmus der Terminvergabe versteht keiner", sagt Maisch. "Und diese Unflexibilität regt mich auf."

Dass sie sich dennoch sobald wie möglich impfen lässt, auch mit Astra Zeneca, stand für die Kinderärztin außer Zweifel. Am Anfang sei man zwar auch unter Ärzten etwas verunsichert gewesen. "Der Impfstoff hat in einer unglaublichen Geschwindigkeit alle Studien durchlaufen", begründet sie die anfängliche Skepsis in ihrem Berufsstand. Aber sie sagt auch: "Wenn ein Impfstoff in Deutschland zugelassen wird, kann man ihm auch vertrauen." Sie selbst habe sich fachlich intensiver damit beschäftigt und neueste Studien angeschaut. "Die haben mich überzeugt", sagt sie. Schließlich seien die Todesrate und die Fallzahlen in Großbritannien, wo Astra Zeneca verimpft wird, deutlich zurückgegangen.

Ähnlich argumentiert Klaus-Detlev Jost, ehemaliger Hausarzt aus Ottobrunn und inzwischen im Corona-Drive-Trough sowie als Impfarzt in der Messe Riem tätig. Er sagt zwar: "Jedem - auch meinen Kollegen - steht es zu, Impfungen zu verweigern." Als die ersten Informationen über eine geringere Wirksamkeit von Astra Zeneca erschienen, habe er auch spontan geäußert: "Damit möchte ich nicht geimpft werden." Heute sehe er das völlig anders. "Die Studien waren schlecht gemacht, kaum Alte, eine große Gruppe erhielt versehentlich nur die halbe Impfstoffdosis. Nun gibt es eine neue Studie aus Schottland, die sogar gering bessere Ergebnisse als die des Biontech- beziehungsweise Moderna-Impfstoffs zu zeigen scheint." Jost geht sogar so weit, dass er fordert, den Impfstoff auch für über 65-Jährige zuzulassen. Durch die Impfungen in England habe man ja quasi eine Live-Studie. Er selbst ist 66 Jahre alt und wurde mit Biontech geimpft.

Stärkere Impfreaktion bei Jüngeren

Auch der Ärztliche Leiter des Impfzentrums in Unterschleißheim, Friedrich Kiener, sagt: "Ich finde es sehr traurig, dass einige Leute Vorbehalte haben. Der Impfstoff ist mindestens so gut wie die anderen." Er verhindere, an Corona zu sterben und massiv zu erkranken. Nebenwirkungen über die dokumentierten hinaus seien ihm nicht bekannt. Wichtig sei, mit den Menschen vorher darüber zu sprechen. Dass Impfwilligen auch in Oberhaching der Astra-Zeneca-Impfstoff angepriesen wird, hat auch Soyoun Maisch bei ihrem Termin dort festgestellt.

Im Gegensatz zu Laien wusste die 50-Jährige, worauf sie sich einlässt, auch dass die Impfreaktion durchaus heftig ausfallen kann. Kolleginnen aus Sauerlach hatten von Fieber und Schüttelfrost berichtet. "Ich hatte eingeplant, zwei Tage voll auszufallen." Genauso sei es dann auch gewesen: Völlige Erschöpfung mit Kopfschmerzen und ein Gefühl wie schwerer Muskelkater, schildert sie die Symptome. "Aber das zeigt ja auch, dass der Körper etwas damit macht", sagt sie. Längst geht es ihr wieder gut. Vor allem aber war sie froh, ihren Impftermin von Sonntag auf Freitag vorverlegt zu haben, um nicht am Montag ihre Praxis schließen zu müssen. Allerdings sei dies nur durch viele E-Mails und Telefonate möglich gewesen.

Eine ähnliche Impfreaktion schildert Jost von einem jüngeren Kollegen, der allerdings Biontech verabreicht bekam. "Es hängt wohl auch mit dem Alter zusammen", sagt der Arzt. Er appelliert an alle, sich unbedingt impfen zu lassen. Und er findet: "Jeder, der die Impfung mit Astra Zeneca ablehnt, sollte erst einen weiteren Termin zur Impfung erhalten, wenn alle anderen geimpft sind."

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Quelle:
SZ vom 27.02.2021
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