Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grünwald:In der Identitätskrise

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Bekannte Münchner Vororte werden regelmäßig der Stadt zugeschlagen, außer wenn sie Steueroasen sind. Neuerdings trifft es sogar weniger mondäne Gemeinden wie Feldkirchen.

Kolumne von Udo Watter, Grünwald

Jetzt ist schon wieder was passiert. Oder besser: Jetzt ist es schon wieder passiert. Noch bevor Thomas Heinze als der neue "Alte" zum ersten Mal am Bildschirm ermittelt - an diesem Freitagabend im ZDF - hat er einen neuen exemplarischen Fall zur identitären Problematik und psycho-geografischen Ambivalenz im Verhältnis zwischen Stadt und Landkreis München geliefert. Der 58-jährige Schauspieler, der sein Metier an der Otto-Falckenberg-Schule gelernt hat und somit über eine gewisse lokale Kompetenz verfügen sollte, hat über seine neue Rolle als Kommissar der Münchner Mordkommission in einem Interview gesagt: "Bei meinem München-Bild ist mir schon wichtig, dass nicht alles Bogenhausen oder Grünwald ist. Ich finde es wichtig, dass ,Der Alte' auch eher ein moderneres Bild von München zeigt und nicht nur das Postkarten-Image der Stadt abbildet."

Da hammas wieder: Die Reichen und Schönen der Landeshauptstadt. Am Isarhochufer. In München-Grünwald. Gegenüber vom einstigen BND-Hauptsitz München-Pullach. Aber halt! Sind das nicht die zwei berüchtigten, als "Steueroasen" verschrienen Gemeinden, die mit ihrem niedrigen Gewerbesteuer-Hebesatz ständig die Firmen aus der armen Stadt abziehen? Gerade erst hat die Bayerische Hausbau ihren Firmensitz nach Pullach verlegt.

Es ist ein Kreuz. Einerseits sonnt es sich durchaus angenehm im Glanz der mutmaßlichen Weltstadt, das geht sogar über den Landkreis München hinaus: Es gibt Künstler, die wohnen laut Eigenbeschreibung in München-Wolfratshausen. Andererseits ist es schon dämlich, wenn man selbst in lokalen Zeitungen der Isarmetropole zugeschlagen wird, nicht nur als mondäner Villenvorort, sondern auch, wenn eine eher unmondäne Schotterebene zwischen Gemeinde und Stadt liegt. So wurde vor Kurzem die Geschäftsstelle des Bayerischen Jagdverbandes (BJV) in "München-Feldkirchen" verortet.

Solch geografische Nonchalance dürfte auch den jüngst überraschend im Amt gebliebenen BJV-Präsidenten Ernst Weidenbusch aus München-Haar verwundern. Droht Landkreisbewohnern also generell die Identitätskrise? Laufen sie Gefahr, der Schizophrenie anheim zu fallen? Vielleicht hilft ein Bonmot von Otti Fischer, der in der Serie "Irgendwie und sowieso" den Sir Quickly verkörpert: "Dahoam is do, wo's Gfui is." Er und seine Spezln vom Land haben München immer als "Manhattan" bezeichnet.

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