Süddeutsche Zeitung

Freie Wähler:Parteifreunde gehen auf Distanz zu Aiwanger

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FW-Kommunalpolitiker werfen dem Vorsitzenden vor, mit seiner Impfverweigerung der Immunisierungskampagne zu schaden und nach Querdenkern zu schielen. Landratsstellvertreter Otto Bußjäger nennt das ein "brandgefährliches Spiel".

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

Die Aussage ist deutlich, auch wenn sie im Konjunktiv formuliert ist: Wäre ihm Hubert Aiwangers Haltung zum Thema Impfen schon vor dem Landesparteitag der Freien Wähler Anfang Juni im Nürnberger Fußballstadion bekannt gewesen, sagt Otto Bußjäger, hätte er ihn nicht erneut zum Landesvorsitzenden gewählt. "Meine Stimme hätte er dann nicht bekommen", sagt der FW-Kommunalpolitiker und Landratsstellvertreter aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn über seinen Parteifreund. Er bescheinigt Bayerns Wirtschaftsminister, ein "brandgefährliches Spiel" zu betreiben, das die gesamte Impfkampagne gefährde.

Seit Tagen tobt ein Streit um Aiwangers Haltung zum Impfen. Der Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident ist das einzige Kabinettsmitglied, das sich noch nicht gegen das Coronavirus hat immunisieren lassen. Von Jagd auf Ungeimpfte spricht Aiwanger angesichts der Kritik an ihm und davon, dass die "Einheitsspritze" nicht die Lösung sein könne und er selbst in seinem persönlichen Umfeld Menschen kenne, die massive Impf-Nebenwirkungen erlebt hätten. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warf seinem Stellvertreter daraufhin vor, bewusst Falschinformationen zu verbreiten und sich bei rechten Gruppen und Querdenkern anbiedern zu wollen.

Ein Vorwurf, den auch der CSU-Kreisvorsitzende und stellvertretende CSU-Generalsekretär Florian Hahn erhebt: Vor der am 26. September anstehenden Bundestagswahl sei Aiwanger offenbar jedes Mittel recht, um sich bei Querdenkern und Rechtspopulisten beliebt zu machen, sagt der Bundestagsabgeordnete aus Putzbrunn. "Anders sind seine ebenso faktenfreien wie absurden Äußerungen zum Thema Impfung nicht erklärbar." So würden es die Freien Wähler sicher nicht in den Bundestag schaffen, sie spalteten vielmehr das bürgerliche Lager, kritisiert Hahn, konstatiert aber: Es stehe jedem frei, sich impfen zu lassen oder nicht.

Dies unterstreicht auch der FW-Kreisrat und frühere Neubiberger Bürgermeister Günter Heyland: "Wie jeder Normalbürger kann auch Hubert Aiwanger selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt." Gleichwohl trage er qua Amt eine besondere Verantwortung und habe bisher alle Maßnahmen der Staatsregierung bei der Corona-Bekämpfung mitgetragen.

Als "unglücklich" bezeichnet Heyland Aiwangers Aussagen rund ums Impfen. "Aber es war nicht seine Absicht, die Impfkampagne zu beschädigen. In dieser Debatte wird man schnell in eine Schublade geschoben, alles ist entweder schwarz oder weiß. Und vieles ist dem Wahlkampf geschuldet, das ist auch ein bisschen ein Sturm im Wasserglas."

Mit Aiwangers Wortwahl hat Erika Aulenbach, Vorsitzende der zu den Freien Wählern gehörenden Bürgervereinigung Ottobrunn (BVO), ihre Probleme. "Abfällige Begriffe wie Apartheid dürfen nicht fallen", sagt die Gemeinderätin. Solche Begriffe würden Ängste befeuern und könnten der Impfkampagne Schaden zufügen.

Aulenbach gesteht Aiwanger ebenfalls die Freiheit der Entscheidung zu, sich impfen zu lassen oder nicht. "Auch ein Politiker kann darüber frei befinden", sagt sie. Aiwanger sei aber ein Typ, der gerne mal "spontan" agiere - vor allem im Wahlkampf.

Anders als der Freie-Wähler-Chef hat sich der Gräfelfinger Kreisrat Florian Ernstberger bewusst und mit Überzeugung impfen lassen. "Und ich bin dafür auch sehr dankbar und rate jedem, den ich treffe, sich ebenfalls impfen zu lassen." Aiwangers Äußerungen hat er mit Befremden zur Kenntnis genommen, hält sich mit harter Kritik aber zurück: "Gefreut habe ich mich darüber nicht", sagt er.

Ganz anders als Otto Bußjäger, der am deutlichsten wird. "Ich halte Aiwangers Positionen für grundlegend falsch. Er spricht von Impffolgen im persönlichen Umfeld, benennt sie aber nicht", so Bußjäger. Und er rät seinem Vorsitzenden: "Wenn es einen gesundheitlichen Grund gibt, warum er sich nicht impfen lässt, dann muss er ihn auch benennen."

Der Stellvertreter von Landrat Christoph Göbel (CSU) kritisiert vor allem das "gebetsmühlenartige Wiederholen" von Aiwanger, gerade dies mache die Position, für die er eintritt, so gefährlich. Der Aussage Söders, Aiwanger rücke immer weiter in die Nähe von Querdenkern und Rechtspopulisten, widerspricht Bußjäger nicht: "Dazu gibt es eigentlich nicht viel zu sagen."

Noch offener bekräftigt dies ein Vorstandsmitglied der Freien Wähler, das namentlich nicht genannt werden will: "Aiwanger will im Wahlkampf ganz klar Profit aus seiner Impfskepsis schlagen und fischt ganz bewusst am rechten Rand nach Stimmen. Das ist mit den Werten der Freien Wähler nicht vereinbar." Ein Rücktritt sei eigentlich nur konsequent, so das prominente Mitglied.

Diesen fordert Bußjäger nicht konkret ein, er sagt aber: "Die Sache ist noch nicht ausgestanden und ich bin mir sicher, dass im Landesvorstand und in der Koalition darüber noch gesprochen wird." Denn, so Bußjäger weiter, wer Zweifel säe, spalte bewusst die Gesellschaft.

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SZ vom 04.08.2021
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