Süddeutsche Zeitung

Natascha Kohnens Blick auf 2021:"Ich bin niemand, der einfach mal einen raushaut"

Lesezeit: 4 min

Man hatte ihr vorgeworfen, zu wenig Präsenz gezeigt und auf die falschen Themen gesetzt zu haben. Nun verabschiedet sich Natascha Kohnen vom Vorsitz der Bayern-SPD und aus der Riege der Spitzenpolitiker im Land. Ihre neuen Pläne.

Von Iris Hilberth, Neubiberg

Es ist ein Dezembervormittag in Neubiberg und Natascha Kohnen gerade im Redefluss darüber, was sie politisch im nächsten Jahr vor hat. Das ist jede Menge, auch wenn sie dann nicht mehr Vorsitzende der Bayern-SPD ist. Sie muss das Telefongespräch kurz unterbrechen, weil es an ihrer Haustür läutet. "Das ist unser total netter Postbote", entschuldigt sie sich. Sie habe ihm ein paar selbstgemachte Marmeladen bereitgestellt. Selbstgemacht? Wann hat eine Frau wie Natascha Kohnen Zeit, zwischen Landtag und Kreistag, zwischen Partei und Mandaten, zwischen München, Bayreuth, Regensburg und Aschaffenburg auch noch Marmelade zu kochen? Selbst wenn im Corona-Jahr Politik häufig im Homeoffice und digital gemacht wird. "Naja", gibt sie zu und lacht, die Familie habe die Marmelade gekocht. Aber bald, da ist sie sich sicher, hat auch sie selbst mehr Zeit für so etwas.

Mehr Zeit, das sei der Luxus, auf den sie sich freut, wenn die Parteispitze im neuen Jahr andere übernehmen. Das "Kochen mit der Familie" gehört zu den Dingen, die sie sich vorgenommen hat. Und Lesen natürlich. So viele Bücher habe sie noch daliegen, in die sie noch nie reingeschaut habe. Freude ja, aber dies sind auch ein bisschen ihre "Trostpflaster", gibt sie zu. Man wird nicht von ihr hören, dass nun eine Last von ihr abfällt, dass sie diesen Job, bei dem man seit vielen Jahren immer nur verliert, endlich los ist. So ist das nicht. Auch wenn es für sie stets anderes gab, ihr Zuhause und ihre Familie schon immer ihr Rückzugsort waren: Sie brennt für die Politik. Und sie liebt ihre Partei. Noch immer. Oder gerade jetzt.

Kohnen hat stets beteuert, sie klebe nicht an dem Posten, vor allem wenn ihre Kritiker sie wieder mal zum Rücktritt aufforderten. Mit Überzeugung gemacht hat sie den Job trotzdem. "Ich bin niemand, der einfach mal so ein Amt übernimmt", sagt sie. Als sie damals, im Jahr 2009, gefragt wurde, ob sie SPD-Generalsekretärin werden wolle, habe sie um dreimonatige Bedenkzeit gebeten. Sie habe sich gefragt, ob sie das hinkriege, ob sie dem eigenen Anspruch gerecht werde. Heute ist sie überzeugt: "Ein Mann hätte da gar nicht drüber nachgedacht."

So schwingt auch "etwas Wehmut" mit, wenn sie, die Bayern-Chefin, die einstige Mitverhandlerin der Koalitionsverhandlungen in Berlin, bald ihren Fokus wieder auf ihren Stimmkreis im Landkreis München legt. Sie habe in den letzten Jahren wahnsinnig viel erlebt, "und ich möchte keinen Tag dieser Zeit missen", sagt sie rückblickend. Auch wenn manches hart war, wenn der Abend der Landtagswahl 2018, als die SPD mit Spitzenkandidatin Kohnen nur 9,7 Prozent und damit ihr schlechtestes Ergebnis einfuhr, sogar "super hart" war, wie sie sagt.

Man hatte ihr vorgeworfen, zu wenig Präsenz gezeigt und auf die falschen Themen gesetzt zu haben. Mit ihrer ruhigen, freundlichen und sachlichen Art von den Wählern zu wenig wahrgenommen geworden zu sein. "Ich bin niemand, der einfach mal einen raushaut, die SPD ist keine Partei der einfachen Worte", sagt sie, "Anstand und Respekt ist nach wie vor das, für was ich stehe." Sie habe sich damit nicht durchsetzen können, das stimmt wohl. "Ich glaube aber, dass auf lange Sicht sich vieles ändern muss." Sie will dem Populismus und der Vereinfachung von Themen etwas entgegensetzen. "Nichts ist einfach", sagt Kohnen. Es geht ihr weiterhin um Sachlichkeit, darum, den Leuten die komplexen Vorgänge zu erklären, "das ist ein wichtiger Aspekt von Politik".

Nach dem Wahldebakel vor zwei Jahren und ebenso schlechtem Abschneiden bei der Europawahl 2019 kamen immer wieder Gerüchte auf, Kohnen würde in die Bundespolitik wechseln. "Ich bin Landtag durch und durch", stellt sie weiterhin klar, "ich gehe doch nicht nach Berlin!" Hier könne sie schließlich auch Dinge gestalten und auf den Kreistag will sie keineswegs verzichten, "da wird man immer wieder auf den Boden gestellt." Ihr Blick richtet sich in die andere Richtung, hin zur unteren Ebene der Politik. Dorthin, wo sie vor 20 Jahren mit dem Eintritt in die SPD und als Gemeinderätin begann. "Ich komme von der Kommunalpolitik, das ist ein Zirkelschluss", sagt sie und will das als Botschaft an den Landesvorstand verstanden wissen. "Das Kommunale muss nach vorne." Auf die Rathäuser verweisen SPD-Politiker reflexartig immer, wenn sie deutlich machen wollen, dass es auch noch Bereiche gibt, in denen sie der Chef sind. "Elf Oberbürgermeister in großen Städten", betont auch Kohnen.

Sie fordert die engere Verschränkung der Ebenen,weil sie überzeugt ist: Nur so können dringende Probleme gelöst werden. Für sie steht nicht erst seit der Landtagswahl ein Thema ganz oben auf ihrer Agenda: Wohnen und Bauen. Darin sieht sie eine zentrale Aufgabe ihrer Politik und die der SPD, denn dort gehe es um soziale Gerechtigkeit. Auch wenn das Thema im Wahlkampf nicht zündete, Kohnen wird nicht müde, nun als wohnungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion hier weiterzumachen. Für sie ist das Thema auch ein Vermächtnis von Hans-Jochen Vogel.

"Housing First" zum Beispiel, eine gelungene Strategie gegen Obdachlosigkeit in Finnland, will sie etablieren. Erst bekommt ein Obdachloser eine eigene Wohnung, dann beginnt die Re-Integration und er kann wieder arbeiten. "Die Wohngeldanfragen explodieren gerade, und es muss alles daran gesetzte werden, die Wohnungen auf jeden Fall zu halten", sagt sie. Mit drei Veranstaltungen startet Kohnen ins neue Jahr, die alle unter der Überschrift stehen: Wie wollen wir leben? Online will sie am 11. Februar visionäre Ideen beim Thema Wohnen mit Rupert Voß, einem Bau- und Sozialunternehmer, diskutieren. Anschließend steht der Oberbürgermeister von Mannheim, Peter Kurz, auf ihrer digitalen Einladungsliste. Dabei soll es um die Frage gehen, wie sich die Welt verändern würde, wenn Bürgermeister sie regierten. Kurz ist Vorsitzender des "Weltparlaments der Bürgermeister". Und schließlich plant Kohnen noch, mit Professor Michael Butter von der Universität Tübingen, einem Experten für Verschwörungstheorien, den Bildschirm zu teilen.

Bleibt da noch Zeit für einen Jodelkurs? Kohnen lacht. Seit ihr Double auf dem Nockherberg, Nikola Norgauer, "Mit Gejodel wär ich populär" trällerte, durchaus ein Option. "Wir haben uns seitdem angefreundet", verrät Kohnen, "Sagen wir mal so: Ich bin nah dran."

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Quelle:
SZ vom 02.01.2021
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