Süddeutsche Zeitung

Ausbildungsmessen im Landkreis:Intensives Werben

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Die Absolventen von Mittel- und Realschulen können sich derzeit aussuchen, was sie werden wollen. Doch Firmen und Betriebe tun sich schwer, ihre Stellen zu besetzen. Sie müssen neue Wege gehen, um sich interessant zu machen.

Von Helena Ott und Anna-Maria Salmen, Landkreis

Wenn Schulen im Landkreis München in diesem Frühjahr Ausbildungsmessen veranstalten, stehen die Unternehmen Schlange, um sich den Schülern vorzustellen. Mehr als 30 Firmen sind es am Donnerstag, 7. Februar, in Ismaning, fast 40 Betriebe haben sich für die Messe Anfang März in Höhenkirchen-Siegertsbrunn angemeldet.

Vor zehn Jahren mussten Schulabgänger noch an die 30 Bewerbungen schreiben und mehrere Gespräche und Eignungstests hinter sich bringen, um gute Aussichten auf ihren Wunschausbildungsplatz zu haben. Heute ist das anders: Das Verhältnis von Bewerbern und angebotenen Ausbildungsstellen in Industrie und Handwerk hat sich auf den Kopf gestellt.

Im Landkreis München blieben im Ausbildungsjahr 2018 bei den Industrieberufen 700 Ausbildungsplätze unbesetzt. Die Handwerkskammer München meldet, dass in Stadt und Landkreis für insgesamt 500 Lehrstellen keine Bewerber gefunden werden konnten. Dabei liegt es nicht daran, dass sich Jugendliche heute nicht mehr für einen Ausbildungs- oder Lehrberuf begeistern lassen. Es gibt aber gerade in wirtschaftlich boomenden Regionen wie dem Landkreis München zu wenige von ihnen. Die Agentur für Arbeit zählt mit 260 Jugendlichen derzeit so wenig arbeitslose Schulabgänger wie seit 2008 nicht mehr. Auch diese Jugendlichen befänden sich nur zum Übergang in Programmen der Agentur für Arbeit, um ihre Qualifizierung für den Arbeitsmarkt noch ausbauen, sagt Anne Beck von der Münchner Agentur.

Die Ausbildung als Etappenziel

Niclas Reiter, Schüler der Neubiberger Realschule, zum Beispiel möchte nach seinem Abschluss Kfz-Mechatroniker werden. "Ich will nach der Schule etwas Praktisches machen, ich muss ein Ergebnis sehen, von dem, was ich gearbeitet habe", sagt der 15-Jährige. So wie er denken aber nicht alle Jugendlichen von Mittel- und Realschulen. Einige Mitschüler geben an, dass sie sich für den Einstieg in den Beruf mit 15 oder 16 Jahren noch nicht bereit fühlen und erst noch weiter lernen möchten. "Der Trend zu höheren Schulabschlüssen und einer akademischen Ausbildung, die attraktiver erscheint, ist ungebrochen", sagt Christoph Leicher. Er ist Vorsitzender des Regionalausschuss der Industrie- und Handelskammer (IHK) für den Landkreis München. Ihm ist wichtig zu vermitteln, dass eine Ausbildung ein Studium nicht ausschließt, sondern auf dem Weg dahin "ein wichtiges Etappenziel" sein und Orientierungshilfe bieten kann.

Leicher beobachtet, dass der Azubi-Mangel kleine Unternehmen besonders hart trifft. Sie haben nicht die "Sichtbarkeit" und Ressourcen, aktiver um Schulabgänger zu werben, sagt Leicher. Auch Niclas sagt, dass er zu einer "großen Marke" wie Audi oder BMW möchte. Der IHK-Sprecher macht kleinen Betrieben dennoch Mut: "Es ist das A und O sich mit den jungen Leuten zu vernetzen", sagt er und wirbt dafür, die Jugendlichen auf Berufsmessen kennenzulernen. Gerade kleinere und lokale Unternehmen hätten so die Chance, Nähe zu den Schülern am Ort aufzubauen und sich als "attraktive Arbeitgeber" zu präsentieren.

Vom Lehrlingsmangel betroffen sind auch die Kommunen. Christa Scharl von der Gemeinde Ismaning sagt, dass sie in der Verwaltung die Stellen noch gut besetzten könne, schwierig werde es "im technischen Bereich, wie in Klär- und Wasserwerken". Am dringendsten hätten in den vergangenen Jahren die Baubranche, Pflegeeinrichtungen, Bäckereien und die Gastronomie Nachwuchskräfte gesucht, sagt Anne Beck von der Arbeitsagentur. Und das, obwohl die Zahl der Jugendlichen, die sich ausbilden lassen wollen, in den vergangenen Jahren wieder leicht gestiegen ist.

Respekt und ein sauberer Arbeitsplatz

Im Landkreis München ist der Anteil von Menschen, die studiert haben, größer als in anderen Regionen. Akademiker wünschten sich für gewöhnlich, dass ihre Kinder ebenfalls studierten, sagt Anne Beck. Sie hat sich mit der Generation Z auseinandergesetzt. Deren Angehörige sind Kinder, die zwischen 1998 und 2012 geboren sind. "Wir beobachten, dass es den Jugendlichen dieser Generation wieder mehr um Sicherheit geht. Sie wollen geregelte Arbeitszeiten und ein geregeltes Einkommen", sagt Beck. Gleichzeitig sei ihnen ein respektvolles und gutes Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen sehr wichtig. Auch für Niclas Richter muss das "Flair" im Betrieb passen, was für ihn heißt: "Dass alle einen guten Umgang haben und der Arbeitsplatz schön sauber ist", sagt der Schüler. Dazu seien den Jugendlichen heutzutage Anerkennung und Feedback sehr wichtig, sagt Anna Beck.

Christoph Leicher ist überzeugt, dass sich Unternehmen daher noch mehr "für junge Menschen öffnen" und ihnen Chancen bieten müssen, die Arbeit im Betrieb kennenzulernen wie etwa über Schnupperpraktika. "Das bedeutet natürlich zusätzlichen Aufwand in der Vorbereitung und Betreuung." Leicher glaubt aber, dass diese Zeit "sehr gut investiert ist", weil die Betriebe so auch zeigen könnten, dass sie ein familiäres Miteinander pflegen würden. Ein Punkt, der vielen Jugendlichen heute laut Leicher "besonders wichtig ist".

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SZ vom 04.02.2019
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