Süddeutsche Zeitung

Jazz:Klangrausch ante portas

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Vier Festivals locken in den kommenden Wochen mit feinstem Jazz, ungewöhnlichen Spielorten und traumhaften Landschaften bayerische Besucher über die Grenze nach Österreich.

Von Oliver Hochkeppel, Diersbach/Schwaz/Bezau/Saalfelden

Der Corona-Nachholeffekt ist groß. Überall in Bayern finden im August mehr Kulturveranstaltungen statt als sonst. Trotzdem lohnt sich der Blick über den Tellerrand hinaus. Vor den Toren Bayerns starten in Kürze mehrere interessante, vor allem dem Jazz gewidmete Festivals. Interessant nicht nur wegen ihres hochkarätigen Programms mit spezifischer musikalischer Ausrichtung, sondern auch wegen ihrer Spielorte und Landschaften, also wegen ihres touristischen Mehrwerts. Ein kleiner Überblick.

Jazz auf dem Bauernhof

Los geht es am kommenden Freitag in Oberösterreich mit dem Inntöne Festival. Kurz vor Passau fährt man bei Schärding über die österreichische Grenze und einige Kilometer ins Hinterland, bis man in Diersbach über ausgeschilderte Feldwege ans Ziel geleitet wird. "Jazz auf dem Bauernhof", der Untertitel des Festivals trifft es perfekt. Hinter dem rustikalen Erlebnis steckt der 61-jährige Jazz-Posaunist und -Impresario Paul Zauner, der seit Jahren auch nahezu alles veranstaltet, was in und um Passau an Jazz passiert. Schon 1986 gründete er außerdem das "Jazzfestival Siegharting", das seit 1995 "Inntöne Jazzfestival" heißt. Zunächst fand es an wechselnden Orten statt, nie so ganz nach Zauners Gusto, sodass er das Ganze 2002 einfach auf den elterlichen Hof verpflanzte.

Das für Jazz ungewohnte Flair erregte schnell Begeisterung bei Musikern und Publikum. Zumal dank Zauners Näschen kaum ein anderes Festival ein derartiges Sprungbrett ist wie die Inntöne. Stars wie Gregory Porter, Jazzmeia Horn oder Kamasi Washington waren schon hier, als sie noch nicht berühmt waren. Auch heuer finden sich im Programm Namen, von denen man noch hören wird. Die junge katalanische Posaunistin und Sängerin Rita Payés Roma etwa. Der brasilianische Wundergitarrist Yamandu Costa. Oder der androgyne, genderneutrale schottische Sänger Luca Manning.

Ebenso erstaunlich ist die Zahl der renommierten Stars, die Zauner in seine ländliche Idylle lockt. Diesmal schon beim Eröffnungskonzert mit dem Trio Michel Portal, Lionel Loueke und Christi Joza Orisha. Auch Star-Gitarrist Bill Frisell ist mit seinem Trio da, die Belmondo Brüder mit ihrem Brotherhood Quintet oder die mit Rufus und Chaka Khan groß gewordene R'n'B-Sängerin Paulette McWilliams, begleitet von Nat Adderley und als Special Guest von ihrer Kollegin Chanda Rule, die zu Zauners Musikerfamilie gehört. Eine echte Weltpremiere gibt es bei den wie schon im vergangenen Jahr von Pfingsten auf Ende Juli und von der Scheune auf die Wiese verlegten 15 Konzerten: Erstmals präsentiert sich das Duo des französischen Gesangsstars Camille Bertault und des österreichischen Pianisten David Helbock.

Brooklyn Connection

Ein paar Tage später lockt Tirol. Das weltoffene. Auch hinter dem Outreach Festival in Schwaz steht eine zwischen Ländern, Stilen und Funktionen angesiedelte Musikerpersönlichkeit. Der Trompeter Franz Hackl lebt und arbeitet seit vielen Jahren in New York, doch die Verbindung zur alten Heimat ließ er nie abreißen, schon wegen des Schwazer Trompetenbau-Betriebs, den er nach wie vor zusammen mit seinem Vater betreibt. Und eben wegen seines Festivals, das er seit 1993 stets am ersten August-Wochenende (heuer vom 5. bis 7. August) ausrichtet - eingebettet in eine dazugehörige dreiwöchige "Academy" für Musiker und solche, die es werden wollen. Von Anfang an als Gegenentwurf zu hohlen Heimatklischees und xenophobem Nationalismus konzipiert, ist es eine Art österreichisch-amerikanisches Familientreffen mit starkem Experimentalcharakter, eine "Kreativplattform für Musiker, Zuhörer und Lernbegierige." Wuchtig ist immer schon das Motto, heuer "Music to my ears - Silence is devastating". Diese Beschallung beginnt wie im vergangenen Jahr mit "Schaufensterkonzerten" in seiner Instrumentenschmiede, bevor es hinüber in den großen, modernen Saal des Veranstaltungszentrums Schwaz geht.

Den gesellschaftspolitischen Anspruch demonstriert schon das Eröffnungskonzert: Das audiovisuelle Nway Oo Meit Sway Project will den Künstlern wie der Zivilgesellschaft in Myanmar eine Stimme und neue Hoffnung geben. Nicht minder experimentell dürfte es beim Trio des britischen (und auch klassischen) Pianisten Bruno Heinen mit dem Kenny-Wheeler-Bassisten Andrea Di Biase und dem New Yorker Ausnahme-Drummer Gene Calderazzo zugehen. Genau wie bei Animali Notturni, dem neuen austroitalienischen Projekt des Bassisten Marco Stagni, das die Geister der Nacht beschwört.

In die Schlusskurve gehen die 13 Konzerte mit dem Makanda Project, einer dreizehnköpfigen Band aus Boston, die sich seit 2005 den bis heute unveröffentlichten Kompositionen des 2001 gestorbenen Musik-Innovators Makanda Ken McIntyre widmet. Weil diesmal Saxofonist Chico Freeman als Gaststar dabei ist, werden auch Stücke von ihm erklingen.

Beats im Lokschuppen

Leider fast parallel zum Outreach Festival, vom 6. bis 8. August, laufen heuer nebenan in Vorarlberg die Bezau Beatz. Deren Initiator und Leiter ist der Schlagzeuger Alfred Vogel. Seit 2013 ist das Festival sein hausgemachter Ersatz dafür, dass er als eingeheirateter Hausherr (und Sporttrainer) des Hotel Post in Bezau nicht mehr so oft in die großen Jazzmetropolen reisen kann wie früher. Also holt er Bands und Musiker nach seinem Gusto in den traumhaften Bregenzerwald im Dreiländereck mit seinem erstaunlichen, Tradition und Moderne versöhnenden Künstlervölkchen. Und seine Liebe gilt vor allem stilüberschreitenden, wilden Bands mit Indie-Einschlag. Die spielen dann in der urigen Lok-Remise der Museumsbahn "Walderbähnle", die alleine schon einen Besuch wert ist. Zu den progressiven Gästen gehören heuer die Berliner Ensembles Insomnia Brass Band und SoKo Steidle, das stark afrikanisch gefärbte Pariser Quartett Electric Vocuhila oder die schillernde estnische Geigerin und Sängerin Maarja Nuut mit ihrem neuen Soloprogramm.

Erneut ist auch der herausragende französische Geiger Theo Ceccaldi zu Gast, einmal im Trio mit dem Saxofonisten Manuel Hermia und dem Schlagzeuger Sylvain Darrifourcq zu einer "geballten Ladung an Irrsinn, progressiver Struktur und wahnwitziger Dynamik", wie es im Programmtext heißt. Und dann an der Seite seines Bruders Valentin am Cello und Guillaume Aknine an der Gitarre mit Django, seiner eigenwilligen Hommage an Django Reinhardt. So eigenwillig wie alle dreizehn Konzerte.

Musik-Marathon für Hardcore-Hörer

Ins Salzburger Land geht dann Mitte August. Zum Saalfelden Jazzfestival (16. bis 22.), dem ältesten und renommiertesten der hier betrachteten Events. Traditionell stammt ein Drittel der Festival-Besucher laut Erhebung des Tourismusverbandes aus Bayern. Sie kommen eher nicht wegen der malerischen Alpenlandschaft, für die bleibt nämlich kaum Zeit: Saalfelden ist ein nahezu rund um die Uhr laufendes Hardcore-Festival für anspruchsvolle Musik. Seit 2006 mit dem modernen Kongresszentrum als Mainstage (neben dem Nexus, diversen Almen und dem Hauptplatz) läuft hier vor allem, was jung, komplex und innovativ ist.

Nicht zuletzt ist Saalfelden zur wichtigsten Plattform für die Elite der jungen österreichischen Jazzer geworden. Heuer unter anderem für den Pianisten Clemens Wenger mit einem ursprünglich nur online aktiven Kunstprojekt; für das Wiener Trio Dsilton; für die solo auftretende Schlagzeugerin Katharina Ernst; für den extravaganten, Dada-inspirierten, auch schon als Metal Shouter und Rezitator bekannten Christian Reiner, der diesmal "Artist in Residence" ist; oder für das Trio Edi Nulz, das einmal selbst auftritt, dann mit The Great Harry Hillmann aus der Schweiz zum Septett The True Harry Nulz erweitert .

Solche fürs Festival geschmiedeten Begegnungen liebt Festivalleiter Mario Steidl ohnehin. Heuer finden sich sogar große internationale Stars dazu bereit. Der soeben mit drei "Deutschen Jazzpreisen" dekorierte Berliner Schlagzeuger Christian Lillinger etwa, der einmal mit seinem angestammten Trio mit Christopher Dell und Jonas Westergaard zu hören ist. Dann bei KUU!, der um die Kammerspiele-Schauspielerin und Sängerin Jelena Kuljic gruppierten Band, die hier ihr neues Album "Artificial Sheep" vorstellt. Und schließlich in einem Trio mit dem amerikanischen Starpianisten Craig Taborn. Der wiederum spielt auch noch solo und mit seinem Trio mit Tomeka Reid und Ches Smith.

Internationale Glanzlichter setzen dem Festival außerdem Marc Ribot mit seiner Band Ceramic Dog auf , der nigerianische Sänger und Songwriter Devon Miles mit Devon & Jah Brothers oder die slowenische Pianistin Kaja Draksler mit ihrem multinationalen Octet.

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