Süddeutsche Zeitung

Hochschulen in München:Die TU bekommt eine Briefmarke zum Jubiläum

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Von Jakob Wetzel

Es ist nicht nur die Forschung an selbstfahrenden Autos, die den Bundespräsidenten ins Grübeln bringt. Was sei mit intelligenten Maschinen, fragt Frank-Walter Steinmeier am Donnerstagvormittag im Herkulessaal der Münchner Residenz. Was sei mit Firmen, die gigantische Datenmengen sammeln? Und was mit Gehirnimplantaten, die künftig womöglich nicht nur aus medizinischen Gründen verbaut werden könnten, sondern auch, um Menschen gewissermaßen aufzurüsten?

Neue Technologien könnten Eckpfeiler der Demokratie ins Wanken bringen und auch, wie im Fall von Facebook, ihre Handlungsfähigkeit infrage stellen, warnt der Bundespräsident. Und darüber müssten sich nicht nur Politiker Gedanken machen, sondern die ganze Gesellschaft - und nicht zuletzt diejenigen, die an jenen neuen Technologien arbeiten: die Wissenschaftler an den Universitäten.

Viele dieser Forscher sieht Steinmeier vor sich sitzen: Er spricht vor 1200 Gästen, die mit ihm sowie mit Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz sowie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder das 150-jährige Bestehen der Technischen Universität (TU) München feiern. Am 12. April 1868 hat König Ludwig II. von Bayern die damalige "Polytechnische Schule" gegründet. Heute sitzen Politiker im Publikum, Wissenschaftler und Wirtschaftslenker. Im Anschluss an den Festakt lädt Söder zum Staatsempfang, und die universitätseigene Brauerei in Weihenstephan hat ein eigenes Bier gebraut, es heißt, ganz im TU-Stil, "JubilaTUM".

Ministerpräsident Söder wird Steinmeiers Worte später aufgreifen. Er wird sagen, man müsse mehr die Möglichkeiten als die Risiken der Technik sehen, und es sei in Bayern auch "kein Widerspruch, am Sonntag in die Kirche zu gehen und am Montag an künstlicher Intelligenz zu forschen". In seiner Regierungserklärung am 18. April werde er einen deutlichen Akzent für die Forschung setzen, wird er ankündigen.

Und auch Scholz wird für Optimismus werben: Man dürfe "nicht das Gefühl haben, dass wir uns vor Veränderungen fürchten müssen", wird er sagen - und Söder und dem seit 1995 amtierenden TU-Präsidenten Wolfgang Herrmann eine Sonderbriefmarke zum Jubiläum überreichen. Sie ist bunt geworden, weil die TU ja Leben ausstrahle. Der Nennwert beträgt 150 Cent. Man könne die Marke also etwa für Kompaktbriefe ins Ausland nutzen, so Scholz.

Doch zunächst mahnt der Bundespräsident. Er will die Forschung nicht bremsen, im Gegenteil: Er wünsche sich Deutschland als ein "Land mit Lust auf Zukunft", sagt er. Eine solche Lust sei an der TU zu spüren. Doch Deutschland müsse auch über die Auswirkungen des technischen Fortschritts diskutieren. Es gehe auch darum, das Vertrauen der Menschen in den Fortschritt nicht zu verspielen. Dieses sei essenziell für ein Land wie Deutschland, das arm an Rohstoffen sei, aber reich an Ideen. Und das Vertrauen sei zwar grundsätzlich noch da. "Aber wir müssen es pfleglich behandeln." Und dabei sei auch die Universität in der Verantwortung: "Wir sollten uns nicht auf den Weg einer falschen Arbeitsteilung begeben - nach dem Muster: Wirtschaft und Wissenschaft treiben die technische Veränderung voran, und die Politik beschäftigt sich dann irgendwie mit den Folgen."

An der TU trifft Steinmeiers Mahnung auf offene Ohren. Bei aller Forschungsstärke und Wirtschaftsnähe hat die TU bereits vor Jahren für sich entschieden, dass zu einer technischen Universität mehr gehört als Laboratorien und das Streben nach immer leistungsstärkerer Technik. Seit 2012 bereits beschäftigen sich etwa Soziologen und andere Geisteswissenschaftler im interdisziplinären "Munich Center for Technology in Society" mit politischen Rahmenbedingungen oder auch den Auswirkungen neuer Technologien auf die Gesellschaft. 2016 gründete die Universität eine eigene Fakultät für Politikwissenschaft.

Dabei geht es der TU nicht nur darum, Sozialwissenschaftler auszubilden, die Ahnung von Technik haben, sondern auch darum, über Risiken zu diskutieren. Ingenieure und Forscher müssten lernen, die Folgen ihres Tuns kritisch abzuschätzen, sagte TU-Präsident Herrmann zuletzt. Technikgläubigkeit sei nicht mehr zeitgemäß, da habe sich viel verändert. "Ich bin noch in einer Zeit aufgewachsen, in der die Menschen ein nahezu grenzenloses Vertrauen hatten in den technischen Fortschritt."

Gerade die Chemie habe als Wissenschaft der Zukunft gegolten, erinnert sich Herrmann, selber preisgekrönter Chemiker. Er denkt etwa an Hemden aus Perlon, in denen jeder fürchterlich schwitzte, auf die man aber stolz war. Gegen Umweltschutzthemen hingegen habe die chemische Industrie früher noch protestiert. Dabei lägen in einer Debatte über Risiken auch Chancen. "Man muss immer bereit sein, die Gewohnheiten des Denkens zu überwinden", sagte Herrmann. Heute etwa sei die deutsche Umwelttechnik weltweit führend.

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Quelle:
SZ vom 13.04.2018
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