Süddeutsche Zeitung

Mittelstetten:Wildschwein im Wohnzimmer

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Ein kapitaler Keiler flüchtet vor Jägern mitten in den Ort. Erst bricht das von zwei Hunden verfolgte Tier durch die Glastür der örtlichen Kita, dann verirrt es sich in ein Haus.

Von Stefan Salger, Mittelstetten

Glücklicherweise nur mit Sachschaden ausgegangen ist am Mittwoch eine Begegnung der besonderen Art in Mittelstetten. Bei einer Treibjagd entweicht ein stattlicher Wildschweinkeiler, der bei seiner Flucht quer durch Mittelstetten eine Spur der Verwüstung zieht. Bevor das von zwei Hunden verfolgte Tier, das Augenzeugen auf um die hundert Kilo schätzen, wieder im Wald verschwindet, läuft es nur knapp an einem Kind vorbei, durchbricht die Glastür des örtlichen Kindergartens und dringt in ein Haus ein, dessen Bewohner sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

Am Donnerstag ist auch Bürgermeister Franz Ostermeier noch der Schreck anzumerken. Ist ja alles noch mal halbwegs gut gegangen, den stattlichen Sachschaden wird wohl die Versicherung des Jagdpächters übernehmen. Aber auch Ostermeier will gar nicht dran denken, was bei dieser wilden Hatz hätte passieren können.

Gegen 15 Uhr flüchtet das respekteinflößende Tier in höchster Panik von Richtung Baindlkirch kommend in den Ort. Es springt an der Glonnstraße über einen Gartenzaun. Vor der Kindertagesstätte Konfetti holt eine Mutter gerade ihr Kind im Grundschulalter vom Hort ab. Dieses wartet schon im Freien, während die Mutter noch im Haus ist - und rennt weg, als das Wildschwein und die beiden Hunde über die Wiese heranjagen. Mit einem lauten Knall durchbricht der Keiler mit den markanten Eckzähnen die Tür aus dickem Sicherheitsglas des Kita-Windfangs. Drinnen im Flur befinden sich noch zwei Kinder, die von der Erzieherin gedankenschnell in die Gruppenräume geschoben werden. Denn sie sorgt sich, dass das Tier auch noch die innere, bereits gesprungene Glastür des Windfangs durchbricht. Die meisten Kinder sind hinter geschlossenen Türen in ihren Gruppenräumen und bekommen gar nichts mit. Im nächsten Augenblick springt der Keiler wieder nach draußen und läuft Richtung Längenmoos davon.

Eine Frau beobachtet von der anderen Straßenseite aus, wie er über den Katzenbach springt und kurze Zeit später in einem Haus an der Schulstraße, kurz vor dem Ortsende, verschwindet. Auch hier durchbricht das Tier eine Terrassentür, landet zunächst in Wohnzimmer, dann im Flur und letztlich im Gästezimmer. Einer Bewohnerin gelingt es, die verängstigten Kinder in Sicherheit zu bringen. Anschließend öffnet sie die Haustür und scheucht den ungebetenen Gast auf vier Beinen mutig nach draußen. Der Keiler rast durch die Hecke und lässt Mittelstetten hinter sich. Die beiden Hunde sind da offenbar nicht mehr zu sehen.

Der Schreck stecke ihr immer noch in den Knochen, sagt die Frau am nächsten Tag am Telefon. Der Sachschaden, den das "im Fluchtmodus durchrauschende" Wildtier hinterlassen hat, ist erheblich. Aber sie sei froh, dass niemand verletzt worden ist. So sieht das auch der Bürgermeister. Lustig sei das gewiss nicht gewesen, sagt Franz Ostermeier, solche Wildtiere sind eben unberechenbar. Was aber wird nun aus dem blutenden Tier? Im Ortsbereich dürfen die Jäger nicht auf den Keiler schießen, das ist klar. Denn Siedlungen gelten als "befriedeter Bereich" die für die Jagd aus Sicherheitsgründen absolut tabu sind. Jäger würden verletzten Tieren in der Regel aber sofort mit Suchhunden nachspüren, sagt der Vorsitzende der Kreisgruppe des Jäger-Landesverbandes, Gerhard von Hößlin aus Maisach.

Auch deshalb, weil verletzte Tiere sehr aggressiv sein und eine Gefahr für Menschen darstellen können. Das Schwarzwild, das auch im Landkreis immer wieder Schäden in Wald und Flur anrichtet, ist nicht nur schlau, sondern "auch sehr wehrhaft", warnt Hößlin. Ob der Keiler im Fall von Mittelstetten verfolgt wurde und ob er einer Rotte angehörte, lässt sich bislang nicht sagen, denn der Jagdpächter ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Laut Polizei war die Jagd jedenfalls korrekt angemeldet.

Hößlin stuft den Vorfall als absolute Ausnahme ein. Dass Wildschweine inmitten von Dörfern und Städten auftauchen, das kenne man bislang bestenfalls aus Berlin. Im Landkreis sei ihm kein weiterer Fall bekannt.

2018 gab es im unterfränkischen Karlstadt einen immerhin ähnlichen Fall: Dort war ein Wildschwein in ein Wohnhaus eingedrungen. Der Bewohner sah es auf dem Heimweg durchs Fenster. Polizei und Jägern gelang es schließlich, das Tier aus der verwüsteten Wohnung zu treiben.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2021
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