Süddeutsche Zeitung

Faire Produktionsbedingungen:Wissen, woher die Ware kommt

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Die Reaktionen in Freising auf das geplante Lieferkettengesetz sind sehr unterschiedlich. Vor allem Vertreter der Biobranche finden, es sollte auch auf kleine Betriebe ausgedehnt werden. Andere lehnen die Regelung rundweg ab.

Von Thilo Schröder, Maike Velden und Alexandra Vettori, Freising

Nach langem Ringen hat sich das Bundeskabinett auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Es soll Unternehmen dazu verpflichten, fair zu produzieren, vom Rohstoff bis zum Produkt, im In- wie im Ausland. Fair, das bedeutet umweltgerecht und ohne Verletzung der Menschenrechte, ohne Sklaven- und Kinderarbeit. Gelten soll das Gesetz von 2023 an zunächst für Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten, später für solche ab 1000. Wie beurteilen Freisinger Firmen, aber auch Umwelt- und Wirtschaftsvertreter das geplante Gesetz? Und was sagen jene Unternehmen wie Bioläden, die sich grundsätzlich einer fairen Produktion verschreiben?

Vom Gesetz direkt betroffen dürfte im Landkreis Freising kaum ein Unternehmen sein, die meisten sind kleine oder mittelständische Firmen. Ein möglicher Kandidat ist jedoch der texanische Halbleiterkonzern Texas Instruments (TI), der seinen Deutschlandsitz in Freising hat. Laut Angaben auf der Firmenhomepage zählt TI weltweit rund 30 000 Mitarbeiter, 2000 davon in Europa. Freising ist eine von weltweit 14 Produktionsstätten.

Texas Instruments wirbt mit Auszeichnungen für Nachhaltigkeitspraktiken, gibt aber keine Stellungnahme zum geplanten Gesetz

Mehrere Auszeichnungen sind auf der Homepage gelistet, man bemüht sich offenbar, ein diverses, nachhaltiges und inklusives Unternehmen zu sein. Man sei etwa "seit 13 Jahren in Folge vom Dow Jones Sustainability Index für unsere Nachhaltigkeitspraktiken anerkannt", heißt es da. An diesem Index gibt es allerdings Kritik: Wirtschaftliche und soziale Aspekte überwögen, ökologische spielten dagegen kaum eine Rolle. Mehrere Anfragen mit Bitte um Stellungnahme zum geplanten Lieferkettengesetz ließ TI unbeantwortet.

In der öffentlichen Debatte im Fokus sind vor allem die Produktionsketten hinter Konsumgütern. Freisinger Bioläden, die sich grundsätzlich einer fairen und nachhaltigen Produktion verschreiben, verzeichneten zuletzt gesteigerte Umsätze. Dabei stehen sie selbst ganz am Ende der Kette. Was halten sie vom Lieferkettengesetz? "Es ist gut und sinnvoll, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und alle, die an der Lieferkette beteiligt sind, fair und gerecht behandelt und entlohnt werden", sagt Lisa Kronpass, Inhaberin des Freisinger Unverpackt-Ladens "Fräulein Lose". Für sie sei das aber "eher die Pflicht vom Hersteller und nicht vom Vertrieb oder Händler, transparent zu handeln und zu informieren". Kronpass kann die Lieferketten ihrer Produkte im System überprüfen und kennt die Leute hinter den Produkten. Vom Anbau über die Ernte bis zu Verarbeitung und Lieferung ist für sie Transparenz im Handel wichtig.

"In der Biobranche darf die Offenlegung von Lieferketten kein Mehraufwand sein"

Ob das Gesetz für alle Betriebe gelten sollte? Da ist sie sich unsicher, denn je kleiner die Läden, desto schwieriger wäre die Überprüfung. "Das würde dann mehr Arbeit für kleine Betriebe bedeuten. Ich bin zum Beispiel hier alleine, das wäre sehr viel mehr Arbeit für mich." Ähnlich sieht es Johannes Frankel, Leiter des Biosupermarkts Denn's in Freising. "Kleine Läden und Betriebe in der Innenstadt können das vielleicht gar nicht leisten, ein Massensterben von Läden in der Stadt will man ja auch nicht", sagt er. Frankel findet das Gesetz sinnvoll und richtig, wenn er etwas kauft, will er wissen, was das ist, wo es her kommt, dass die Erzeuger und Erzeugerinnen fair bezahlt werden. "Dann weiß ich, dass für meine Produkte beispielsweise keine Regenwälder gerodet wurden,"

Kathi Zanker, Inhaberin des Biomarktes Lebenskunst in Freising, findet dagegen, das Lieferkettengesetz sollte für alle Betriebe gelten. Für kleinere Läden wäre das ihrer Meinung nach ein geringer Aufwand, da man oft mit Vertrieb und Produzenten in Kontakt stehe. "In der Biobranche darf die Offenlegung von Lieferketten kein Mehraufwand sein", betont sie. "Wir haben Trauben aus Südafrika, das ist ein Kleinbauernprojekt. Die Trauben werden mitgeliefert, wenn Urlaubsflieger von dort starten. Dafür wird auch kein extra CO₂ ausgestoßen", erklärt sie.

Die Lieferketten des Weltladens sind verfolgbar, da es auch viele kleine Kooperationen gibt

Kein Problem wäre das Lieferkettengesetz auch für die Erzeugergenossenschaft Tagwerk. "Das kommt aber natürlich darauf an, wie bürokratisch das aufgebaut ist, welche Zertifizierungen es braucht", sagt Vorstandsmitglied Klaus Hutner. Generell findet er es gut, dass etwas gemacht wird. Tagwerk trat zwar seit seiner Gründung 1984 mit dem Grundsatz an, dass die Produkte aus einem Umkreis von 100 Kilometer um den Sitz in Dorfen im Landkreis Erding kommen. Aber in den Tagwerk-Bioläden gibt es natürlich auch überregionale Waren. Ihren Anteil schätzt Hutner auf 20 Prozent, vor allem Obst und Gemüse, wobei man Bio-Betriebe auswähle, die zumindest soziale Mindeststandards gewähren. "Es ist aber schwer, diesen Mehrwert an den Verbraucher zu kommunizieren", so Hutner.

Auch das Team vom Weltladen Freising setzt sich für das Lieferkettengesetz ein. Es sei wichtig, dass Kundinnen und Kunden verstünden und nachvollziehen könnten, woher die Produkte kommen, sagt Teamleiterin Theresia Endriß. "Wir haben Kleidung von "Global Mamas" aus Afrika. Näherinnen von dort waren hier schon zu Besuch und haben Fragen zur Kleidung beantwortet und unterschreiben auf den Schildern der Kleidung persönlich." Die Lieferketten des Weltladens sind verfolgbar, da es auch viele kleine Kooperationen gibt. Für Endriß ist Transparenz sehr wichtig.

Es sei schade, dass man so ein Gesetz überhaupt brauche, sagt die Inhaberin des Ludwigsmarkt Naturkost

"Das Lieferkettengesetz ist dringend nötig und sollte für alle Betriebe gelten. Es darf nicht sein, dass deutsche Firmen in anderen Ländern Menschenrechte verletzen und Umweltschäden anrichten", betont sie. Kleine Läden hätten bessere Möglichkeiten, transparent und fair zu arbeiten und die Ketten offen zu legen. "Kleine Kaffeehändler wissen meistens eher, wie es den Familien in Nepal geht, die den Kaffee anbauen, als große Firmen und Konzerne."

Keinen erhöhten Aufwand würde ein Lieferkettengesetz für alle auch für Conny Zaczek, Inhaberin von "Ludwigsmarkt Naturkost", bedeuten. "Wir wissen sowieso, wo unsere Produkte herkommen. Unser Frischebereich wird auch oft kontrolliert. Dann kommen Kontrolleure ohne Vorwarnung in den Laden und wollen wissen, ob die Hokkaido-Kürbisse wirklich aus Deutschland und Bioanbau kommen. Ich gehe dann Lieferscheine und Rechnungen holen und kann das bestätigen und nachweisen", sagt sie. Es sei schade, dass man so ein Gesetz überhaupt brauche.

"Der Tenor ist bei allen Umweltverbänden, dass es eine Mogelpackung ist", heißt es bei Greenpeace Moosburg

Greenpeace spricht sich zusammen mit anderen Umweltverbänden für ein schlagkräftiges Lieferkettengesetz aus. Für den derzeitigen Entwurf findet Hans Forstner von der Moosburger Ortsgruppe keine positiven Worte: "Der Tenor ist bei allen Umweltverbänden, dass es eine Mogelpackung ist, keine Durchsetzungsmöglichkeiten hat. Die Hoffnung ist nun, dass der Bundestag da nachbessert."

Dass das Gesetz nur für große Unternehmen gelten soll, stößt bei ihm auf Unverständnis. "Die Großen sind natürlich viel stärker in die internationalen Lieferketten verwickelt - aber das ist kein Grund, warum man die kleinen von dem Gesetz ausnimmt." Das Argument des unverhältnismäßig hohen Aufwands macht ihn "misstrauisch, das ist eine Standardbegründung".

Ein Wirtschaftsverband sieht nicht deutsche Unternehmen im Ausland, sondern jeweilige Staaten in der Pflicht

Ganz anders die Perspektive des Landesverbands Bayern Großhandel-Außenhandel-Dienstleistungen (LGAD), der nach eigener Aussage für 22 000 Unternehmen in Bayern mit 267 000 Beschäftigten spricht. "Klar ist, dass Menschenrechte ein universelles Gut sind, das es jederzeit zu schützen gilt", sagt Sprecher Helmut Ruhland. "Die UN-Leitprinzipien schreiben den Staaten jedoch nicht vor, ihren ansässigen Unternehmen für deren Aktivitäten im Ausland Verhaltens- und Sorgfaltspflichten aufzuerlegen und zu sanktionieren."

Dieses Spannungsfeld werde im aktuellen Entwurf zum "Sorgfaltspflichtengesetz", wie er es nennt, nicht weiter thematisiert, sondern die Gesamtverantwortung den Unternehmen aufgebürdet. Damit werde implizit unterstellt, andere Staaten könnten entsprechende Regelungen nicht durchsetzen, deutsche Unternehmen im Ausland sollten dies aber dort tun. 90 Prozent der Großhandelsbetriebe hätten weniger als zehn Mitarbeiter, so Ruhland.

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SZ vom 07.04.2021
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