Süddeutsche Zeitung

Forstwirtschaft:"Der Wald ist etwas zutiefst Weibliches"

Lesezeit: 3 min

Arbeiten zwischen Bäumen ist eine nahezu reine Männer-Domäne. Die Försterin Kirsten Joas versucht, das zu ändern - und hat spannende Argumente auf ihrer Seite.

Von Korbinian Eisenberger, Oberpframmern

An einem Dienstagmorgen steht eine Frau im Wald und hält eine 50-Pfennig-Münze in die Luft. Der Kalender zeigt das Jahr 2022, deswegen kann sich die Frau im Wald für ihr Geldstück nirgendwo mehr was kaufen. Die Frau im Wald scheint das aber wenig zu kümmern. Nicht alles und jeder ist schließlich käuflich.

Wenn Kirsten Joas mit ihrem 50-Pfennig-Stück in der Tasche durchs Unterholz streift, dann ist sie zumindest nicht ganz alleine im Wald. Sie hat dann Gerda Johanna Werner bei sich. Ein Name, den die wenigsten kennen, doch deren Trägerin so gut wie jeder schon zu Gesicht bekam. Werner stand einst Modell für die Rückseite der Fünfzig-Pfennig-Münze. Motiv: eine Frau, die einen Baum pflanzt.

Bäume sind das Leitmotiv des Försters. In dem Fall: der Försterin. Kirsten Joas ist eine von drei Försterinnen, die im Kreis Ebersberg für den Staatswald zuständig sind - angestellt ist Joas beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ebersberg-Erding. Bei sieben Förstern kommen die Frauen hier auf eine Quote von 30 Prozent. Ähnlich ist der Anteil bei den Waldbesitzern in Bayern: Von den 700 000 Hektar Privatwald gehören 250 000 Hektar Frauen. Hierin liegt der Knackpunkt für Joas. "Ich frage mich seit Jahren, wieso ich diese Frauen nie treffe?"

Vielleicht sieht Joas die Frauen vor lauter Bäumen nicht. Wahrscheinlich ist, dass an ihrer These was dran ist: Der Wald ist im Jahr 2022 eine Domäne der Männer. Zwei Fragen beschäftigen die Frau mit der 50-Pfennig-Münze in der Hand: Warum ist das so? Und wie lässt sich das ändern?

Ein Volkslied, wonach ein Weiblein im Walde steht, still und stumm, mit einem Mäntlein um, das müsste noch erfunden werden. Kirsten Joas hat eine Wollmütze auf und eine Fleecejacke an. Sie ist weder stumm noch still. Ihre Stimme übertönt das Rascheln und Gezwitscher. 20 Menschen haben sich um sie versammelt, manche tragen Mäntlein oder gar Mäntel, die Sonne hat sich noch kaum blicken lassen. Sie hören der Försterin mit dem Geldstück zu, die nun ihre Kernbotschaft verkündet: "Der Wald ist was zutiefst Weibliches."

An diesem Vormittag führt Joas eine Gruppe aus der Region durch ein Waldstück bei Oberpframmern. Alle hier haben in irgendeiner Form etwas mit Wäldern am Hut, einige Männer haben zudem Bänder am Hut. Nicht wenige hier sind Landwirte, die meisten aber sind Frauen. "Ich hätte meine zwei Schwestern gleich mitschleifen sollen", sagt eine Zuhörerin, die sich als die Ebersberger Kreisbäuerin Barbara Kronester entpuppt. Ihr und anderen ist anzumerken, dass die Försterin mit ihrer Sicht der Dinge einen Nerv getroffen hat.

Wald und Weiblichkeit? Joas erklärt das so. Bei der Arbeit im Holz gehe es um Erhalt und Weiterentwicklung. Wie in einer Familie. Das ist zwar keine reine Frauensache, aber eben auch Frauensache. Ohne Frauen täten sich die Übrigen schwer bei der Familiengründung. Darum geht es ihr: Den Wäldern täte es gut, so Joas, wenn dort mehr Frauen mitreden würden.

Spielt es im Wald unbedingt eine Rolle, wer mehr Kraft hat? Darüber gibt es unterschiedliche Ansichten

Unter den Zuhörern ist stellenweise zu vernehmen, dass man das auch anders sehen kann. Ein Mann, Landwirt und Waldbesitzer, erklärt, dass es schon Gründe gäbe, warum es im Holz ist wie es ist. Er erklärt, dass es sich um "eine der gefährlichsten Arbeiten überhaupt" handle. Die naturgemäß kräftigeren Männerkörper seien dafür erfahrungsgemäß besser geeignet.

Es sind Momente, die an frühere Debatten in anderen Branchen erinnern. Etwa das Polizeiwesen oder die Bundeswehr, wo Frauen per Gesetz der Zugang ermöglicht wurde. Manche haben ihre Ansichten darüber verändert, andere nicht.

Kirsten Joas ist der Ansicht, dass das Argument mit der Kraft zu entkräften ist. Wer viel Kraft hat, neigt womöglich eher dazu, das eigene Leistungsvermögen zu überschätzen. Wenn man so wollte, neigen Männer demzufolge mehr zu Risiko, Frauen eher zu Sicherheit. Forscher haben über diese Fragen geforscht, wer möchte findet per Google sehr schnell Studien darüber. Meist ist das Ergebnis, dass Männer sich bereitwilliger in Gefahr begeben als Frauen.

Ein Mann der Männerdomäne Wald heißt Heinz Utschig und leitet den Forstbetrieb von Kirsten Joas. "Försterinnen müssen gerade am Anfang mehr Überzeugungsarbeit leisten als die männlichen Mitarbeiter, um Akzeptanz zu bekommen", sagt Utschig. Joas und ihren beiden Kolleginnen sei das gelungen. "Sie lockern das Team auf, es kommen andere Gedanken rein", sagt er.

In den staatlichen Forstbetrieben steigt die Frauenquote, in der Jägerschaft auch. "Die bayerischen Waldbesitzer sind da weit hinterher", sagt Joas. Dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zufolge verändert sich jedoch die Struktur der Eigentümer zunehmend paritätisch. "Immer mehr Frauen erben Wald und übernehmen die Verantwortung für ihren Waldbesitz", heißt es in einem Faltblatt. Praktisch aber, so Joas, sei das ganz anders. "In der Regel werden diese Aufgaben an Männer übertragen."

Die Försterin kramt in ihrer Tasche. Der Gerda-Johanna-Werner-Moment ist gekommen. Werner ist 2004 gestorben, doch sie hat eine Münze geprägt, die für eine Generation steht. Die Generation des Aufbaus nach dem Krieg. Deswegen zeigt sie die Münze mit dem Prägungsjahr "1949" unter dem Bild der Frau mit dem Eichensetzling. Fünfzehn weitere 50-Pfennig-Münzen hat Kirsten Joas dabei, sie wandern nun aus ihrer Tasche in Frauenhände. Als symbolische Motivationsstütze für mehr Weiblichkeit im Wald. Ob es dazu kommt, kann niemand garantieren. Deswegen bleibt eine Gerda Johanna Werner in der Tasche von Kirsten Joas. Damit die Frau nicht alleine im Walde steht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5601594
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.