Süddeutsche Zeitung

Tassilo:Ein Preis fürs Durchhalten

Lesezeit: 3 min

2021 steht die Verleihung ganz im Zeichen der Pandemie. Doch für die drei Gewinner aus Ebersberg haben sich Ausdauer und Einfallsreichtum gelohnt: Ihr kreatives Schaffen läuft wieder auf Hochtouren. Ein Rückblick.

Von Anja Blum, Ebersberg

Als fielen Weihnachten und Ostern zusammen - so war der Tassilo 2021 für den Landkreis Ebersberg. Denn die Jury hatte gleich drei seiner Kandidaten mit einem Preis bedacht. Sowohl der Aktionskünstler Peter Kees aus Steinhöring als auch die Grafinger Artistikgruppe Movimento und die Glonner Schrottgalerie durften sich über die Auszeichnung durch die Süddeutsche Zeitung freuen. Und so geriet die Preisverleihung im wunderschönen Künstlerhaus in München denn auch zu einer Art Klassentreffen, zu dem auch noch Axel Tangerding aus Moosach als Mitglied hinzustieß. Sein Meta Theater wurde schon vor vielen Jahren mit einem Tassilo geehrt. "Das ist eine der schönen Folgen dieses Preises: Der Austausch zwischen uns Ebersbergern ist danach wirklich nochmal intensiver geworden", sagt Hanno Größl, Macher der Glonner Musikbühne.

Dabei hatte es die Kulturszene 2020/21 ja sehr schwer gehabt, die Pandemie brachte sie zeitweise schier zum Erliegen. Doch genau deshalb empfanden alle drei Preisträger aus dem Landkreis Ebersberg den Tassilo als besonders wohltuende Wertschätzung zur richtigen Zeit - fürs Durchhalten unter widrigsten Bedingungen nämlich. Die Movimentos trainierten unter freiem Himmel, die Schrottgalerie öffnete selbst für kleinstes Publikum und Kees holte sein Arkadien-Festival aus der Galerie heraus auf öffentliche Plätze. "Diese Auszeichnung war eine tolle Bestätigung, dass unsere Arbeit auch gesehen wird", sagt Stefan Eberherr, Chef von Movimento. Und die gute Nachricht ist: Bei allen drei Ebersberger Kandidaten haben sich Ausdauer und Einfallsreichtum während der Pandemie gelohnt, ihr kreatives Schaffen läuft nun wieder auf Hochtouren.

Dass das indes nicht selbstverständlich ist, betont Eberherr: "So manche uns ähnliche Gruppe gibt es nicht mehr." Die Movimentos jedoch könnten sich momentan vor Anfragen kaum retten, in manchen Bereichen habe man sogar einen Aufnahmestopp verhängen müssen. Obendrein seien schon wieder etliche Projekte - sprich: Auftritte - in Planung. Gerade dem Nachwuchs wolle man in nächster Zeit ein Podium bieten, im März wird es eine "Young Stage" geben, in der alle, die sich einer neuen Disziplin verschrieben haben, egal ob jung oder schon etwas älter, ihr Können zeigen dürfen. Ende April dann soll es eine "Minimento-Show" geben für alle Anfängergruppen, und im August fahren rund 50 Artisten aus Grafing zur Weltgymnastrada nach Amsterdam. Außerdem in Planung seien neue, sozial ausgerichtete Kooperationen unter dem Fördermotto "Kultur macht stark" erzählt Eberherr, etwa mit dem Betreuungszentrum Steinhöring. Denn gerade auch der Inklusionsgedanke gehört quasi zur Movimento-DNA.

Größl wiederum hat gerade erst ein Winterprogramm in der Schrottgalerie aufgelegt und ist bereits bei der Planung für das Frühjahr. Weiter vorausdenken allerdings kann er aktuell nicht, da über der kleinen Bühne leider seit geraumer Zeit das Damoklesschwert eines Bauprojekts schwebt: Gut möglich, dass die Galerie bald neuem Wohnraum weichen muss. Doch so lange es geht, werde man weitermachen, verspricht Größl. Denn gerade jetzt, nach all den Corona-Problemen, herrsche bei den Konzerten eine extrem intensive Atmosphäre. "Die Leute sind sehr dankbar für die wiedererlangte Freiheit, entspannen sich und gehen endlich wieder aus sich raus", sagt der Programmchef. "Wir erleben zur Zeit jedenfalls ganz viele Gänsehautmomente - vor, aber auch auf der Bühne." Hinzu kämen viele tolle neue Anfragen vonseiten der Musiker sowie etliche schöne, bislang aufgeschobene Gastspiele. "Deswegen sehe ich momentan sehr positiv in die Zukunft."

Auch das Engagement von Peter Kees für Kunst, Kultur und Kritik ist ungebremst. Gerade erst hat er wieder von sich reden gemacht, und zwar mit einer Aktion des Berliner Kollektivs Peng! - beziehungsweise dank der Reaktion der Behörden darauf. Am Übergang zu Österreich in Bayerisch Gmain hatten die Künstler ein großes Plakat aufgehängt mit der Aufschrift "Diese Grenze existiert nicht", inklusive Bundesadler und einem Signet der Europäischen Kommission. Diese offizielle Anmutung allerdings fand die Polizei offenbar nicht sonderlich lustig: Sie hat das Plakat entfernt und Vorwürfe gegen Kees als Kurator erhoben. Man ermittelt nun, unter anderem wegen Amtsanmaßung.

Kees wiederum wittert "einen massiven Eingriff in die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit". Einerseits. Andererseits verbucht er den Medienwirbel freilich als Erfolg. Der bekannte Kollege Klaus Staeck jedenfalls habe ihm bereits gratuliert: "Er hält es für ein kleines Wunder, dass es uns in Bayern noch gelingt, nur mit Plakaten zu provozieren." Aufmerksamkeit erregen wird sicher auch wieder das Arkadien-Festival, das Kees und der Kunstverein im Mai bereits zum dritten Mal veranstalten. "Und so viel sei schon mal verraten: Es wird 2023 weit über Ebersberg hinausgehen. Richtig weit."

Vom Tassilo und seiner festliche Verleihung übrigens schwärmen alle drei Ebersberger Preisträger. Zum Beispiel sei es sehr bereichernd gewesen, an dem Abend im Künstlerhaus von so vielen unterschiedlichen, tollen Projekten in und um München zu erfahren, sagen sie. Größl hat dabei vor allem das vielfältige soziale Engagement der Kulturschaffenden beeindruckt, allen im Gedächtnis geblieben ist etwa der Gehörlosen-Chor Sing&Sign aus München, der zeigt, wie barrierefrei Kultur sein kann. "Mich hat dabei auch fasziniert, wie es der Gebärdendolmetscher verstanden hat, nicht nur Sprache, sondern sogar Musik in Bewegung zu übersetzen", sagt Kees. In diesem Sinne freuen sich auch die Movimentos ganz besonders über den Tassilo: "Gerade weil er kein sportlicher Erfolg ist, sondern ein Kulturpreis", erklärt Eberherr, "denn wir wollen uns mit unserer Artistik ja künstlerisch ausdrücken". Der Tassilo sei ein Preis für Menschen, "die etwas bewegen - und das ist wunderbar", sagt Kees. "Außerdem wird so eine Auszeichnung durch die Süddeutsche Zeitung auch außerhalb wirklich goutiert."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5727586
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.