Süddeutsche Zeitung

Landgericht München II:Axt-Attacke verfolgt Polizistin bis heute

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Ein Rentner griff eine Polizistin mit einer Axt an. Vor dem Amtsgericht Dachau wird er zu einer Haftstrafe verurteilt. Er geht in Berufung und kommt milder davon.

Andreas Salch

Dachau - Polizisten werden immer häufiger Opfer von Gewalt: Nicht nur bei Fußballspielen oder Demonstrationen, auch beim Versuch familiäre Streitigkeiten zu schlichten, sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Bayern, Helmut Bahr. Auch Oliver Platzer, Pressesprecher im Bayerischen Innenministerium, bestätigt dies. Der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sei in Bayern zwischen 2003 und 2009 - bezogen auf 3202 Fälle - um 20,6 Prozent gestiegen. Ein dramatisches Beispiel aus dem Landkreis ist der Fall einer 28-jährigen Beamtin der Polizeiinspektion Dachau.

Sie wurde Anfang April vergangenen Jahres in Hilgertshausen-Tandern von einem Rentner mit einer fast ein Meter langen Axt angegriffen. "Ich habe mit dem Leben abgeschlossen in dieser Situation, so etwas kann sich kein Mensch vorstellen", berichtete die 28-jährige Polizeiobermeisterin am Donnerstag mit tränenerstickter Stimme vor dem Landgericht München II, wo sie als Zeugin aussagte.

Der Rentner nämlich hatte Berufung gegen seine Verurteilung durch das Amtsgericht Dachau eingelegt. Im Juni vorigen Jahres hatte es ihn wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Richter am Landgericht änderten das Urteil jedoch und verhängten stattdessen eine einjährige Bewährungsstrafe. Der Grund: Laut einer psychiatrischen Sachverständigen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer Alkoholisierung von knapp 2,5 Promille sowie einer "hirnorganisch bedingten Wesensänderung" erheblich vermindert.

Am 10. April letzten Jahres stritt sich der Rentner mit seiner Frau und warf ihr vor, sie habe zu wenig gekocht. Dann schleuderte er ihr die Fernbedienung des Fernsehers an den Kopf. Als seine Frau bei den Nachbarn Zuflucht suchte, alarmierten diese die Polizei. Bei dem Versuch der 28-jährigen Polizeiobermeisterin und ihres Kollegen, den Rentner zur Rede zu stellen, lief dieser davon. Die Beamten verfolgten ihn. Dabei rannte die Polizistin in einen schmalen Gang, zwischen einem Schuppen und aufgeschichtetem Holz.

Plötzlich bemerkte sie, wie der Rentner mit einer Axt, die er mit beiden Händen über dem Kopf hielt, auf sie zu kam. "Er hat mich mit riesigen starren Augen angesehen", berichtete die Beamtin bei ihrer Vernehmung. Ihre Waffe habe sie nicht mehr ziehen können. Und so hielt sie eine Mappe schützend vor sich. Dass sich hinter ihr eine Tür befand, durch die sie hätte flüchten können, wusste sie nicht. Als ihr Kollege diese entdeckte, riss er sie auf und zog seine Pistole. Doch schießen konnte er nicht. Zwischen ihm und dem Angeklagten stand seine Kollegin. Die Beamten rannten davon und holten Verstärkung. Als der 66-Jährige festgenommen wurde, saß er vor einer Flasche Bier.

Die Polizistin sagte am Donnerstag, die Attacke an jenem Tag verfolge sie bis heute. Als der Angeklagte sich zögerlich bei ihr entschuldigen will, kann die Beamtin nicht mehr an sich halten: "Das fällt Ihnen heute ein", schrie sie. "Seit der Tat sind 341 Tage vergangen." Am meisten verletzt habe sie, dass der 66-Jährige vor dem Amtsgericht Dachau gesagt habe, er habe die Axt nur deshalb gesenkt, weil sie wie seine Tochter aussehe. Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob sie Revision gegen das Urteil einlegt.

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SZ vom 18.03.2011
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