Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Influencer im Landkreis, Folge 2:"Likes sind quasi eine eigene Währung"

Lesezeit: 4 min

Seinen Lebensunterhalt verdient der Indersdorfer Josef Schilcher durch das Produzieren von Videos und Fotos, viele davon macht er für andere Influencer. Trotzdem hat er zu den sozialen Netzwerken eine Hassliebe entwickelt.

Von Eva Waltl, Markt Indersdorf

Josef Schilcher war 14 oder 15 Jahre alt, er erinnert sich nicht mehr so genau, als er das erste mal eine Videokamera in der Hand hielt. "Ich habe begonnen, wirres Zeug zu filmen, einfach weil ich Freude daran hatte." Anfänglich filmte er lustige Videos mit seinem Nachbarn, ein paar Monate später die Hochzeit seiner Cousine. Dies war der Startschuss für seine Vernarrtheit in die Video- und Bildkunst. Er bastelte aus vier Stunden Hochzeitsvideomaterial einen zehnminütigen Clip. Die Emotionen dieses Tages in einem kurzen Video zu konservieren, hat ihn so begeistert, dass er bereits als Jugendlicher herausfand, worin seine Berufung bestehen sollte.

Josef Schilcher lebt seit kurzem in Augsburg, seine Heimat bleibt dennoch Markt Indersdorf. "Meine Familie und meine Firma sind dort." Der 28-Jährige ist Webvideoproduzent, Blogger, führt einen Account auf Instagram. Von ihm veröffentlichte Videos auf seinem Youtube-Kanal zählen über 20 000 Aufrufe. Anfänglich nutzte er die verschiedensten Plattformen, einfach weil es ihm Spaß bereitete. Heute bereitet es ihm noch immer Spaß, sein Umgang mit ihnen ist jedoch ein ernster geworden. Er arbeitet inzwischen mit verschiedenen Künstlern, Sportlern oder Influencern zusammen, um für deren Auftreten auf sozialen Netzwerken Videos und Fotos zu produzieren. Für seine eigenen Accounts entfernt er sich mehr und mehr davon, motorisch perfekt inszenierte Inhalte zu posten. Er erkannte, welche Gefahren die Nutzung von Social Media bergen kann. In der zweiten Folge der Serie, in der die SZ Dachau einflussreiche Influencer des Landkreises vorstellt, erzählt der 28-jährige Josef Schilcher aus Markt Indersdorf seine Geschichte des Wandels.

"Ich verdanke Youtube und Instagram wahnsinnig viel"

Schilcher kam früh in Berührung mit der Materie Film. Nach seinem Schulabschluss begann er ein Praktikum und erlernte den professionellen Umgang mit Video und Bild. Er drehte Sportvideos und teilte diese auf seinem Youtube- und Instagramaccount. Die Anzahl von Abonnenten stieg schnell. "Ich nutzte soziale Plattformen zunächst mehr als eine Art Portfolio meiner Arbeit", erzählt Schilcher. Seine Accounts dienten ihm als Sprungbrett, um seine Laufbahn zu starten. "Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete, markierten mich auf ihren Posts und so kam eins zum anderen", erklärt er. Seine Reichweite wuchs und damit auch die Anfragen von Kunden. Er konnte sich binnen kurzem ein Netzwerk aufbauen und international Aufträge ergattern. "Ich verdanke Youtube und Instagram wahnsinnig viel", sagt er heute. Die Plattformen boten ihm die Möglichkeit, seine Kunst und Arbeit mit der ganzen Welt zu teilen, zu wachsen und damit Geld zu verdienen. Er postete täglich ein neues Bild, interagierte mit seinen Abonnenten und immer mehr Menschen wurden auf ihn aufmerksam. 2018 begleitete der heute 28-Jährige ein Jahr lang den ehemaligen Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg. Er war von früh bis spät mit ihm unterwegs, filmte, dokumentierte.

Schon während seiner Anfänge konnte Schilcher viele neue Orte bereisen und mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenarbeiten. "Dies scheint auf den ersten Blick wie ein Traumleben. Aber ich arbeitete in rasanter Geschwindigkeit. Das ist auf Dauer nicht gesund", erzählt er. Durch die intensive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Plattformen verändert sich im Laufe der Jahre sein Blick auf sie: "Ich habe eine Hassliebe zu den sozialen Netzwerken entwickelt", sagt Schilcher heute. Er erkennt zwar die Chancen, die Instagram, Youtube, Facebook und Co. ihm bieten, sieht aber auch deren Gefahren. Nutzer vergleichen sich mit den dargestellten Inhalten und dies sei bedenklich, sagt er. Bilder sind bis zur Perfektion hin bearbeitet und gaukeln eine Welt vor, die es so oft gar nicht gibt. Sie kreieren Ideale von Perfektionen. Daher kann sich auch das Verhältnis der Nutzer zu dem verändern, was man für seine eigene Welt als wahr anerkennen möchte. In den sozialen Medien existieren Likes und Kommentare als Form von Anerkennung. "Das ist quasi eine eigene Währung", erklärt Schilcher. Besonders für junge Menschen sei es schwierig, sich darin einzuordnen.

Auch für Schilcher musste erst lernen, mit dieser Währung umzugehen. Likes und Kommentare wurden zur Sucht. Er fühlte sich gefangen in der Jagd nach neuen Posts und noch mehr Resonanz. Damit umzugehen erlernte er auf "sehr schmerzhafte Weise." Das ständige Vergleichen und die Suche nach Anerkennung verzerrten seine Wahrnehmung. Nicht nur deswegen leidet er seit mehreren Jahren an einer rezidivierenden depressiven Störung, einer wiederkehrenden Depression. Es folgten Klinikaufenthalt, Konzentrationsschwäche und lange Phasen der Verdrängung. "Es wurde über die Jahre immer schlimmer", erzählt er. Sich die Krankheit einzugestehen, sei einer der schwersten Schritte gewesen. "Es passte nicht in das Männerbild der Medienbranche und der Gesellschaft, schwach zu sein", so Schilcher. Während seines dreimonatigen Klinikaufenthalts erhielt er Hilfe und versteckte sich nicht länger vor der Krankheit. Seinen Blog "Sepp Morrison" führt er seit 2014. Darin schreibt er auch über seine Depression, an der er noch immer leidet. "Der erste Text über meine Depression hat mich viel Überwindung gekostet, aber es war auch befreiend, endlich dazu zu stehen", erzählt er. In den etwa 60 Blogbeiträgen nutzt er seine Stimme um auf Themen aufmerksam zu machen. Es ist aber auch eine Art Selbsttherapie: "Ich benötige die kreative Möglichkeit, um zu verarbeiten, was in meinem Kopf herumgeistert."

"Ich passe jetzt viel besser auf mich auf"

Der Blog bietet dem Leser einen Einblick in eine persönlichere Seite von Schilcher und in eine tiefgründigere. Neue Beiträge erhalten in etwa 700 bis 800 Aufrufe pro Tag. Er lädt nicht länger nur Beiträge hoch, die schöne Seiten seines Lebens zeigen, sondern äußert auch seine Meinung. Er schreibt über Themen wie Egoismus in Zeiten von Corona, den Verzicht auf Alkohol oder Einsamkeit. Es half ihm. Heute fühlt er sich stärker. "Ich passe jetzt viel besser auf mich auf. Ich werde von Woche zu Woche ambitionierter und habe mehr Energie." Es sei aber noch immer ein langer Weg, der vor ihm liegt, sagt er.

Fragt man Josef Schilcher nach einer Definition für seine Tätigkeiten, gerät er kurz ins Grübeln. "Ich würde mich als Kreativling beschreiben." Von stundenlangem Aneignen theoretischen Wissens haltet er wenig. Es sei wichtig, einfach anzufangen, Fehler zu machen und diese dann gegebenenfalls zu korrigieren. Sein Motto: "Learning by Doing". Für ihn scheint es aufzugehen.

In einer losen Serie stellt die SZ Dachau einflussreiche Persönlichkeiten des Landkreises vor, die auf sozialen Netzwerken eine große Reichweite und eine beträchtliche Zahl an Abonnenten erreicht haben. Was steckt hinter den regelmäßig veröffentlichten Bildern? In aufschlussreichen Gesprächen erzählen Influencer ihre individuelle Geschichte, sprechen über Erfahrungen mit Instagram und Co. und zeigen, dass mehr notwendig ist als fröhliche Hundefilter und glitzernde Spaßvideos.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2021
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