Süddeutsche Zeitung

Musikalische Lesung:Leiden in Leiden

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Der Münchner Autor Benedikt Feiten hat einen Roman über das Geschäft mit Leiharbeitern und digitale Polizei-Ermittlungen geschrieben. Auch sein Auftritt im Literaturhaus wird multimedial.

Von Bernhard Blöchl

Was das Netz über Benedikt Feiten weiß: Geboren 1982 in Berlin, lebt in München. Liebt schwarzen Tee. Den Kinnbart trägt er mal länger, mal kürzer. Spielt Trompete und Cello, Keyboard auch. Hat gute Kontakte zum Literaturhaus. Doktorarbeit über Musik und Transnationalität in den Filmen von Jim Jarmusch. Stipendiat in Bamberg. Beschäftigt sich mit Gentrifizierung, Narratologie, Subversion. Komponiert Lieder für seine Romanfiguren. Nennt sich Bene. Manchmal auch @truekoboq.

Die Spuren, die die Menschen in digitalen Räumen hinterlassen, faszinieren den Schriftsteller sehr. Auch die Frage, wie weit man ihnen trauen kann. "Was nicht dokumentiert wird, hat nie stattgefunden", lässt Feiten die Protagonistin seines neuen Romans über den Datensumpf unserer Tage denken. Valerie Stetter ist forensische Informatikerin bei der Polizei. Sie sagt: "Ich seh' den ganzen Tag so viel Zeug von anderen Leuten. Ich sag' dir, irgendwann verdrängt das Leben anderer mein eigenes." In der Geschichte sind die anderen die Akteure eines illegalen Leiharbeiternetzwerks. Ein Toter in einer Münchner Villa (Handy-Code, Feiten konnte es nicht lassen: 1860) ist Anlass für Ermittlungen, die nach Leiden in den Niederlanden, nach Rumänien, in die Vergangenheit aller Beteiligten und in jede Menge digitale Räume führen.

Das ist schon raffiniert, was Feiten da macht

"Leiden Centraal" (Voland & Quist) ist der dritte Roman von Feiten, er hat dafür das Literaturstipendium des Freistaats Bayern bekommen. Nach dem Giesinger Schelmenstück "Hubsi Dax" (2016) und der Verlierer-Satire "So oder so ist das Leben" (2019) geht er neue Wege, indem er sich an einen literarischen Krimi wagt. Das größte Risiko liegt dabei in seinem per se unsinnlichen Hauptthema: in der Technologie und wie sie das Erinnern formt. Feiten hat offensichtlich viel recherchiert. Er lässt sein Wissen über SIM-Karten in Autos in seine multiperspektivische Erzählung einfließen, schreibt über Muster in Hexadezimalzahlen, "SQLite-Datenbanken" und Befehle wie "SELECT * FROM messages WHERE key_remote_jid LIKE %49153212476%" (sic).

Man könnte dem Autor vorwerfen, dass er zu viel will: Krimi, Thriller, Psychogramm, Familien- und Gesellschaftsdrama, Technikstudie und Abhandlung über die Philosophie der Erinnerung. Es wird bestimmt auch Leserinnen und Leser geben, die das Thema tatsächlich so kalt lässt, wie es zunächst erscheint. Andere wiederum werden sich davon nicht abschrecken lassen, werden mitziehen und diese Nische aufregend finden. Feiten beschreibt im Detail, was Mainstream-Formate wie der "Tatort" ausblenden: die Arbeit der IT-Forensikerinnen. Außerdem bleibt Feiten - ganz die alte Storytelling-Schule - immer nah an seinen Figuren; er zeigt, warum der Technikkram für sie und ihr Leben so wichtig ist. Das ist schon raffiniert, was Feiten da macht.

Bei der Lesung im Literaturhaus findet die Konsequenz des Autors eine spielerische Fortsetzung. Auch hier wollen die Beteiligten viel, wenn sie eine "literarisch-musikalische Performance" versprechen, die zum Thema des Buches passt. Im Zentrum: Benedikt Feiten (Cello, Trompete) und Elina Lukijanova (Live-Coding und elektrische Geige). Das Publikum soll hier die Chance bekommen, "Musik nicht als reine Begleitung oder Untermalung wirken zu lassen, sondern Auszüge des Romans als musikalisches Material zu verstehen und sie in eine algorithmische Live-Performance zu überführen, die unter anderem auf eingelesene Passagen und Text-to-Speech-Technik zurückgreift". Auch hier hilft wohl das alte Schriftsteller-Credo: Show, don't tell!

"Leiden Centraal", literarisch-musikalische Performance mit Benedikt Feiten und Elina Lukijanova, Moderation: Katrin Lange, Di., 29. März, 20 Uhr, Literaturhaus, Bibliothek, Infos und Karten unter literaturhaus-muenchen.de

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