SZ-Serie: Lieder der Stadt, Folge 8:Schwabinger Schelmenstück

SZ-Serie: Lieder der Stadt, Folge 8: An einem der langen Tische im "Alten Simpl" dichtete Benedikt Feiten Hubsi Dax' "Schriftsteller"-Song über die Künstlerboheme.

An einem der langen Tische im "Alten Simpl" dichtete Benedikt Feiten Hubsi Dax' "Schriftsteller"-Song über die Künstlerboheme.

(Foto: Robert Haas)

Benedikt Feiten hat in seinem Roman "Hubsi Dax" eine Münchner Wirtshauslegende erschaffen. Die Lieder des fiktiven Volkssängers textete der Autor und Musiker gleich mit - und tritt mit ihnen auf

Von Barbara Hordych

Ein Beobachter ist er, dieser Hubsi Dax, melancholisch und randständig. Und wie es diese Außenseiterfiguren so an sich haben, spottet er gerne. Am liebsten über die, die im Mittelpunkt stehen, die sich gerne selber bespiegeln, denen der Schein dessen, was sie vorgeblich machen, wichtiger ist, als es wirklich zu tun. Posen eben. Und so überzieht Hubsi, die Wirtshauslegende aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die Schwabinger Boheme mit Hohn. "Du hast dein Bücherl dabei und die Stifte gespitzt, du bist ein Schriftsteller, aber nur, wenn du nicht am Schreibtisch sitzt", singt Hubsi. Der nur einen Makel hat: Es hat ihn nie gegeben.

Erdichtet hat ihn der Münchner Autor Benedikt Feiten, der ihn zur Titelfigur seines aktuellen Romans machte. In dem es um die Gentrifizierung oder besser gegen die Gentrifizierung von Giesing geht. Um diese zu verhindern, inszeniert Mark, der Ich-Erzähler des Romans, in einem Akt des Widerstands ein Schelmenstück, indem er mit Hubsi Dax eine fiktive historische Figur zum Leben erweckt, die es aus Gründen des Denkmalschutzes unmöglich machen soll, das Haus abzureißen, in dem er und seine kleine Familie wohnen.

Ein Kleinkünstler soll dieser Hubsi Dax gewesen sein. Lieder soll er gesungen, Gedichte aufgesagt, kleine Schauspielstücke aufgeführt haben. "War subversiv, immer auf der Seite des kleinen Mannes. Antiautoritär, das schon, aber gleichzeitig traditionsbewusst", erklärt der im Leben so vor sich hinschlingernde Gitarrenlehrer Mark Frau und Tochter sein fiktives historisches Konstrukt. Hubsi habe "größere Zusammenhänge an der kleinen Giesinger Welt illustriert" - vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, "ein perfekter Zeitraum, um später in Vergessenheit zu geraten".

Und weil der 1982 geborene Autor, der für seinen Erstling "35 Stufen"das Münchner Literaturstipendium erhielt, sich nicht nur in seiner Doktorarbeit mit der Funktion von Musik in den Filmen von Jim Jarmusch beschäftigt hat, sondern auch selbst als Musiker auftritt, lieferte er die Lieder der fiktiven Wirtshauslegende gleich mit. Nicht nur im Roman, sondern auch auf der Bühne. Bei musikalischen Lesungen im Literaturhaus etwa oder am Kulturstrand, wo Feiten mit Trompete und Gitarre die von ihm getexteten Lieder begleitet, die sein Bandkollege Andreas Hirth für den Hubsi komponiert hat.

"Und in Schwabinger Lokalen ist an jedem klar, du bist a Künstler, doch halt vor allem an der Bar."

"Das funktioniert sehr gut, der Roman profitiert von den Liedern, die Lieder vom Roman", sagt Feiten bei einem Treffen an einem sonnigen Augustmittag draußen vor dem "Alten Simpl". Den hat er ausgesucht, weil er ihn sich gut vorstellen kann als Soziotop für seinen Hubsi. Natürlich habe es ihn nie gegeben. Andererseits musste er ihn beim Schreiben trotzdem gefühlsmäßig und historisch irgendwo verorten. Und wo sollte sich der historische Hubsi besser aufgehoben fühlen als im einstigen Theaterlokal "Simplicissimus"? Dort trat Max Hansen als junger Kabarettist mit teils selbst geschriebenen Texten und Liedern auf, bevor er zum Film- und Schallplattenstar wurde. Und natürlich auch der legendäre Wortakrobat Karl Valentin. "Beide sind dem Gstanzl-Gesang vom Hubsi sehr ähnlich, wenn es ihn gegeben hätte, könnte ich ihn mir gut im Umfeld des Simplicissimus vorstellen", sagt Feiten. Ein nostalgischer Ort sei dieser Simpl für ihn, auf dessen Anfänge als Kabarettlokal immer noch das Wirtshausschild mit dem roten Simplicissimus-Hund verweise.

Besonders gut gefalle ihm dieses Bulldoggenlogo, das Thomas Theodor Heine damals für die Wirtin Kathi Kobus zeichnete. Auch wenn der Hund nicht die Ketten der Zensur sprenge, sondern mit seinen Zähnen eine Sektflasche entkorke. Eine Aufforderung, der Künstler wie Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf, Franz Marc und Franziska von Reventlow nur zu gerne nachkamen. Nicht von ungefähr dichtete Joachim Ringelnatz über die Künstlerkneipe, die sich zum bekanntesten Treffpunkt der Münchner Boheme entwickelte: "Und mich zieht's mit Geisterhänden, ob ich will, ob nicht, ich muss, nach den bildgeschmückten Wänden, in den Simplicissimus." Immerhin, die bildgeschmückten Wände, die Ringelnatz einst beschrieb, gebe es auch heute noch, stellt Feiten zufrieden fest. Dazu gekommen sind im Lauf der Zeit weitere Bilder, Fotos von Valentin, Ringelnatz und anderen. Auch die Lampen schimmern heute genauso düster wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Holzvertäfelung ist ebenso dunkel und die Theke immer noch groß. Der Urform von Hubsi Dax' Song "Schriftsteller" liegen recht krakelige Notizen zugrunde, die hier drinnen entstanden sind, an einem der langen Tische, die in ähnlicher Anordnung wohl schon damals im Simpl zu finden waren.

"Du bist ein Schriftsteller, aber nur wenn du nicht am Schreibtisch sitzt/ Du bist ein Künstler, aber heute vor allem an der Bar" - diese Worte treffen auf die Schwabinger Boheme damals und auf die Hipster heute gleichermaßen zu, sagt Feiten. Inwieweit schlägt sich diese Kritik in Hubsis Liedern nieder? "Unsere Lieder sind nicht wohlgefällig, nicht stimmig und glatt. Sie enthalten Reibungen, durch Töne, die sich in Spannung zur Harmonie setzen", erklärt Feiten. Dichter und düsterer seien die Texte durch diese Art der Vertonung geworden, das korrespondiere gut mit Hubsis Hohn und Verachtung, seiner Außenseiterperspektive, die München eigentlich öfter nötig hätte, meint Feiten. "Wir wollten die Lieder nicht überladen, trotzdem brodelt und schwelt es in den Untiefen", sagt Feiten. Ihm und seinen Bandkollegen Andreas Hirth und Johannes Hafner von der Formation My Boys Don't Cry, die die "originalen" Songs von Hubsi Dax vortragen, habe so etwas vorgeschwebt wie die experimentelle Musik von Velvet Underground, deren eindringliche Texte eine Symbiose mit den Melodien bildeten. Genau, die Texte. War es nicht ein gewagtes Unterfangen für ihn als gebürtigen Berliner, für einen bairischen Volksliedsänger zu schreiben? Feiten schmunzelt. "Camouflage-Bairisch" nennt er seine Mundart-Variante, die er in München aufgeschnappt hat. "Unser Sänger Andi, der kommt aus Straubing. Der hat schon drübergeschaut, dass das stimmt." Und schmettere mitunter Vorwürfe bei Konzerten ab. "Da stehen dann die Oberbayern und meinen, dass die Niederbayern kein richtiges Bairisch sprechen." Ihm ist das egal. "Ich stehe zu den Brüchen".

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